Honolulu/Bitterfeld

Big Brother für die Wissenschaft – Physikerin zieht in Marsstation

Die simulierte Marsstation auf Hawaii. In dieser Nachbildung einer Raumstation werden drei Männer und drei Frauen für ein Jahr ab dem 28. August in einer Art Wohngemeinschaft leben und zugleich wissenschaftliche Untersuchungen anstellen.
Die simulierte Marsstation auf Hawaii. In dieser Nachbildung einer Raumstation werden drei Männer und drei Frauen für ein Jahr ab dem 28. August in einer Art Wohngemeinschaft leben und zugleich wissenschaftliche Untersuchungen anstellen. Foto: dpa

Ein Jahr leben wie auf dem Mars – für die Physikerin Christiane Heinicke wird das in wenigen Tagen Realität. Von Kameras überwacht lebt und arbeitet sie dann im Dienste der Wissenschaft in einer simulierten Marsstation auf Hawaii.

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Von Christina Horsten und Andreas Hummel (dpa)

Der Countdown läuft und so hat Christiane Heinicke in diesen Tagen vor allem eines: wenig Zeit. „Der Wecker klingelt immer viel zu früh und es gibt noch so viel zu erledigen“, erzählt die 29 Jahre alte Physikerin. Der Mietvertrag ist gekündigt und auf dem Dachboden ihrer Eltern in Bitterfeld in Sachsen-Anhalt verstaut sie ihre Habseligkeiten. Denn in wenigen Tagen wird sie als erste Deutsche eine Marsstation auf Hawaii beziehen. Ein ganzes Jahr lang ist sie dann weitgehend von der Außenwelt abgeschnitten. Am 28. August sollen sich dort die Türen hinter ihr schließen.

Leben auf dem Vulkan

Die weiße Kugel thront abgelegen auf kargem Gestein am Fuße des Vulkans Mauna Loa. In der Nachbildung einer Raumstation werden drei Männer und drei Frauen in einer Art Wohngemeinschaft leben und zugleich wissenschaftliche Untersuchungen anstellen. Das Projekt „Hawaii Space Exploration Analog and Simulation“ (HI-SEAS) wird von der Weltraumagentur Nasa und der Universität Hawaii betrieben. Hauptziel ist es herauszufinden, wie sich die Gruppendynamik in einer solchen Isolation entwickelt – und wie sie sich steuern lässt. Dazu wird die Crew permanent von Kameras überwacht. Eine Art Big Brother für die Wissenschaft.

Sorgen macht sich Heinicke deswegen nicht. „Die Daten werden verschlüsselt und sind nur ausgewählten Wissenschaftlern zugänglich“, erzählt sie. „Aber wir sind schon wie Labormäuse.“ Denn für die Untersuchungen werden die Insassen mit Armbändern ausgestattet, die Schritte zählen, den Puls messen und den Schlaf überwachen. Ihre Familie freilich sei anfangs wenig begeistert von dem Plan gewesen. „Du bist verrückt“, hätten ihre Eltern gesagt. „Sie waren dann aber doch stolz, als ich mich für die Mission qualifiziert habe.“

Nicht zum ersten Mal für ein Mars-Projekt beworben

Heinicke, derzeit Single, ist in Bitterfeld zur Schule gegangen und hat dann zunächst im südthüringischen Ilmenau, später in Schweden studiert. Für ihre Promotion kehrte sie nach Südthüringen zurück. Zuletzt forschte sie an der Aalto Universität in Finnland über Meereis. 2013 gewann Heinicke den Klaus Tschira Preis für verständliche Wissenschaft. Mit dem Leben in einer Marsstation liebäugelt sie schon länger, hatte sich auch für ein ähnliches Projekt der Mars-Society in der Arktis beworben.

Es ist die vierte Mission in der Station auf Hawaii fernab von Strand und Palmen. Voriges Jahr war die Französin Lucie Poulet vom Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt in Bremen mit dabei. Die nun anstehende Mission ist mit 365 Tagen die bislang längste. „Je länger die Missionen werden, desto besser können wir die Risiken der Raumfahrt verstehen lernen“, sagt Projektleiterin Kim Binsted. „Wir hoffen, dass die nun anstehende Mission auf unserem jetzigen Verständnis der sozialen und psychologischen Faktoren, um die es bei langen Weltraumaufenthalten geht, aufbaut, und der Nasa solide Daten darüber liefert, wie wir am besten eine Crew für so einen Aufenthalt auswählen und unterstützen.“ Die bisherigen Ergebnisse haben die Wissenschaftler schon so überzeugt, dass das Projekt gerade mit einer dritten Finanzspritze der Nasa bis 2018 verlängert worden ist.

Echte Forschung in der „falschen“ Station

Telefonate sind von der Station aus nicht möglich, die Kommunikation über Internet geht nur zeitversetzt. Und verlassen darf die Crew ihr Zuhause nur in Raumanzügen. Dazu hat sich Heinicke gute Bergstiefel eingepackt – wegen des scharfkantigen Lavagesteins. Sie will experimentieren, wie sich durch Verdunstung Wasser aus dem Gestein gewinnen lässt. Eine Frage, die bei einer echten Marsmission überlebenswichtig sein könnte.

Das Leben in der Station wird sich sehr an der Sonne orientieren, sagt Heinicke. Denn sie wird mit Solarenergie betrieben. Ihre künftigen Mitbewohner hat Heinicke bereits bei einer Trekking-Tour in den Rocky Mountains kennengelernt. „Da hatte man nicht mehr die Energie, eine Maske aufzusetzen und gezeigt, wie man ist“, berichtet sie. „Ich erwarte nicht, dass jemand komplett durchdrehen wird.“ Über ihr Leben in der Marsstation will sie der Außenwelt regelmäßig in einem Blog berichten.

Manche wollen wirklich zum Mars (und zurück)

Einige ihrer Mitstreiter wollten sich nach der Mission bei der Nasa als Astronauten bewerben, weiß Heinicke. Wäre sie bei einer echten Marsmission gern mit von der Partie? „Ich wäre dabei“, sagt Heinicke ohne zu zögern. „Aber nur, solange es ein Rückflugticket gibt.“