Strom trotz Atomkraft? Industrie fordert massiven Neubau von Gaskraftwerken
Das Team, zu dem auch die Energieexpertin Claudia Kemfert gehört, kommt zu dem Schluss, dass auch nach dem vollendeten Atomausstieg Ende 2022 „ausreichende Kapazitäten“ da seien, um die Energieversorgung in Deutschland zu sichern. So habe die deutsche Stromwirtschaft im vergangenen Jahr mit 20 Terawattstunden etwa 4 Prozent ihrer Stromproduktion exportiert, schreiben die DIW-Experten.
Auch wegen der Einbindung Deutschlands in das europäische Stromsystem seien „keine Beeinträchtigungen der Versorgungssicherheit zu befürchten“, heißt es weiter. Die Wissenschaftler um Kemfert werben dafür, den Atomausstieg zu vollenden, alle Subventionen für Kernenergie zu streichen und sich auf die Suche nach einem Endlager für die entstandenen hoch radioaktiven Abfälle zu konzentrieren. Dafür sei die Abschaltung der Atommeiler eine „Notwendigkeit“.
Mit dem Atomausstieg 2022 besiegelt Deutschland eine Entscheidung aus dem Jahr 2011. Jüngst hatte es immer wieder Diskussionen über ein mögliches Wiederaufleben der Kernenergie gegeben. Kritiker befürchten Versorgungsengpässe, wenn Deutschland auch noch vor 2038 aus der Kohleverstromung aussteigt.
Erneuerbare schneller ausbauen
Die DIW-Experten halten diese Befürchtung für unnötig: „Nachdem die Abschaltung älterer Kernkraftwerke seit 2011 weitgehend lautlos erfolgte, ist auch für die nächsten beiden Jahre nur mit geringen Auswirkungen auf das Stromsystem zu rechnen.“ Erneuerbare Energien müssten aber schneller als bisher ausgebaut werden.
Die Ökonomen kommen zu dem Schluss, dass der Rückgang der Kernkraft übergangsweise zu einem höheren Einsatz von fossilen Energien sowie Importen führt, was die CO2-Emissionen kurzfristig ansteigen lässt. Diese dürften aber durch den beschleunigten Ausbau erneuerbarer Energien rasch zurückgeführt werden.
Die Versorgungssicherheit sei auch mittelfristig nicht gefährdet, wenn das deutsche Stromsystem „rasch auf erneuerbare Energieträger in Verbindung mit Speichern und Flexibilitätsoptionen“ umsteige.
Neue Gaskraftwerke notwendig?
Die deutsche Industrie hält dagegen in den kommenden Jahren einen massiven Zubau von Gaskraftwerken als Übergangstechnologie für notwendig. Industriepräsident Siegfried Russwurm sprach am Dienstag bei einem Klimakongress des Bundesverbands der Deutschen Industrie (BDI) von einem Zubau von 43 Gigawatt an Gaskraftwerken bis 2030. „Das ist richtig viel.“ Die Gaskraftwerke sollten mit Erdgas betrieben und später auf grünen Wasserstoff umgestellt werden. Die neue Regierung müsse den Bau neuer Gaskraftwerke schnell beschließen.
Dies ist aber umstritten. Im Grünen-Wahlprogramm etwa heißt es, neue Gaskraftwerke und Infrastruktur dürfe es nur geben, wenn sie „aktuell zwingend“ notwendig seien und bereits „Wasserstoff-ready“ geplant und gebaut werden. Einig sind sich Industrie und Umweltschützer aber, dass die Infrastruktur für erneuerbare Energien schneller und massiv ausgebaut werden muss.