Schäubles Kampf: Wie ist der Euro zu retten?

Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble ist es gewohnt, mit seinen radikalen Vorschlägen zunächst im Gegensatz zur großen Masse zu stehen. Doch für die Euro-Rettung sieht er keine Alternative als die, dass die Euro-Länder Teile ihrer Souveränität abgeben. Foto: dpa
Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble ist es gewohnt, mit seinen radikalen Vorschlägen zunächst im Gegensatz zur großen Masse zu stehen. Doch für die Euro-Rettung sieht er keine Alternative als die, dass die Euro-Länder Teile ihrer Souveränität abgeben. Foto: dpa

Berlin/Brüssel – Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) hat sich weit vorgewagt im Vorstand der Unionsfraktion. Mehrfach habe der Minister angedeutet, dass aus seiner Sicht der EU-Vertrag geändert werden muss, um den Euro wirklich dauerhaft zu stabilisieren, berichteten Teilnehmer der Vorstandssitzung.

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Berlin/Brüssel – Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) hat sich weit vorgewagt im Vorstand der Unionsfraktion. Mehrfach habe der Minister angedeutet, dass aus seiner Sicht der EU-Vertrag geändert werden muss, um den Euro wirklich dauerhaft zu stabilisieren, berichteten Teilnehmer der Vorstandssitzung.

Mittelfristig, so signalisierte Schäuble damit, müssen die Euro-Länder noch enger zusammenrücken und noch mehr nationale Kompetenzen an Brüssel abgeben – etwa an einen europäischen Finanzminister, der den Euro-Staaten die Leitlinien der Haushaltspolitik vorgibt und diese kontrolliert. Vielen in der Koalition, vor allem Politikern von CSU und FDP, gehen diese Vorstellungen viel zu weit. Sie tun sich schon schwer damit, der kurzfristig anstehenden Aufstockung des Euro-Rettungsschirms zuzustimmen.

Noch müssen Schäuble und Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) bangen, dass sie am 29. September bei der Abstimmung über die „Ertüchtigung“ des Rettungsschirms keine eigene Mehrheit zustande bringen. Einflussreiche Parlamentarier wie der CDU-Innenpolitiker Wolfgang Bosbach haben ihr Nein bereits angekündigt. Deutschland gehe schon jetzt enorme finanzielle Risiken ein, ohne dass dadurch die Schuldenkrise überwunden werden könne, meint Bosbach. Der Anteil der deutschen Garantien für die Hilfskredite an strauchelnde Euro-Länder wird künftig auf enorme 211 Milliarden Euro steigen – das sind zwei Drittel des Bundeshaushalts.

Parlament bekommt mehr Mitspracherechte beim Hilfspaket

Um die Koalitionsmehrheit zu sichern, gesteht Merkel dem Parlament künftig mehr Mitspracherecht zu, wenn es um die Tätigkeiten des Schirms geht: Der Bundestag soll alle entscheidenden Weichenstellungen des Fonds billigen müssen. Den Bedenken Schäubles, dass der Fonds wegen des Parlamentsvorbehalts im Einzelfall nicht schnell genug handeln kann, begegnen die Haushälter der Koalition mit einer besonderen Regelung. „In Fällen besonderer Eilbedürftigkeit oder Vertraulichkeit wird eine Regelung vorgesehen, die eine Beteiligung des Deutschen Bundestags gewährleistet“, heißt es in einem Beschlusspapier, das am Montag den Fraktionen vorgelegt wird. Dem Bundestag bleibe „unbenommen, jederzeit die Bundesregierung durch Beschluss dazu zu veranlassen, die Auszahlung zukünftiger Tranchen neu zu bewerten“.

Doch die Aufstockung des Rettungsschirms reicht nach Meinung Schäubles nicht, um der Schuldenkrise wirklich Herr zu werden. Mit noch mehr Hilfsmilliarden können schließlich nur die Symptome der europäischen Krankheit gelindert, nicht aber deren Ursachen bekämpft werden, weiß auch die stellvertretende CDU-Vorsitzende Ursula von der Leyen, die zu Wochenbeginn von ihrer Vision der „Vereinigten Staaten von Europa“ sprach.

Die Richtung heißt: mehr Europa, sprich eine Vertiefung der Integration. Schon Helmut Kohl hatte 1991 betont, eine Wirtschafts- und Währungsunion könne auf Dauer nicht ohne politische Union überleben. Doch dafür gab es damals wie heute keine politischen Mehrheiten. So wurde zwar die Kompetenz für die Geldpolitik, nicht jedoch für die nationalen Haushalts- und Finanzpolitiken auf die europäische Ebene übertragen. Ein Geburtsfehler, der das Auseinanderdriften der Euro-Länder begünstigte und die Schuldenkrise mitverursachte.

Die Nationalstaaten wollen ihre Eigenständigkeit behalten

Bis heute schrecken Europas Spitzenpolitiker davor zurück, den Fehler endgültig zu beseitigen. Die jüngsten Vorschläge aus Deutschland und Frankreich für eine Wirtschaftsregierung beschränkten sich auf rechtlich unverbindliche Selbstverpflichtungen der Staats- und Regierungschefs. Die kritische Schwelle wird nicht überschritten. Sie heißt: Die Nationalstaaten übertragen Europa neue, bisher ureigene Souveränitätsrechte, stimmen damit einer Entmachtung zu.

Darauf zielen etwa Forderungen nach einem europäischen Finanzminister, wie sie zuerst der scheidende Chef der Europäischen Zentralbank Jean-Claude Trichet im Frühjahr erhob. Auch Schäuble steht als bisher einziges Mitglied der Bundesregierung dieser Vorstellung aufgeschlossen gegenüber. Dieser Mr. Euro soll die Haushalts- und Wirtschaftspolitik der Euro-Staaten überwachen und lenken dürfen – und überdies Schuldensünder sanktionieren. Denn bisher griffen die Vorgaben des Stabilitäts- und Wachstumspaktes auch deshalb nicht, weil sie von den Nationalstaaten nach Belieben gebogen und aufgeweicht werden können, was auch Deutschland und Frankreich immer wieder gern taten, um Strafzahlungen wegen ihres erhöhten Defizits zu umgehen.

Gegen den Verlust nationaler Souveränitätsrechte stemmt sich vor allem die CSU, doch auch weite Teile von CDU und FDP würden eine Selbst-Entmachtung kaum mittragen. In der Koalition wird befürchtet, die Verfechter einer gemeinsamen Euro-Regierung wollten in Wahrheit nur rasch gemeinsame Staatsanleihen einführen, die sogenannten Euro-Bonds.

Stillstand ist die größte Gefahr für Europas Union

Deutschland, das stabilste und größte Euro-Land, so die Befürchtung in der Koalition, würde dadurch Kreditwürdigkeit an schwächere Länder abgeben – und so selbst auf Dauer hinuntergezogen. Die Opposition kann es sich leisten, an dieser Stelle weniger ängstlich zu sein: SPD, Grüne und Linke sehen in Euro-Bonds die Dauerlösung und fordern sie lautstark. Schäuble hat zuletzt oft Euro-Vordenker Jacques Delors (85) zitiert: Für den sei Europa wie ein Fahrrad. Halte man es an, falle es um. Soll heißen: Stillstand kann sich die Gemeinschaft nicht leisten.

Von unseren Korrespondentinnen Anja Ingenrieth und Birgit Marschall