Rheinland-Pfalz

Mit gutem Gewissen essen: Wie klappt Tierschutz auf dem Teller?

Fleisch mit gutem Gewissen genießen: Das wollen immer mehr Menschen. Jedenfalls wächst die Zahl der Esser, die sich dafür interessieren, welches Leben ein Schwein führt, bevor es zum Schnitzel wird.

Lesezeit: 4 Minuten
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Von unserer Redakteurin Nicole Mieding

Bei gut jedem vierten Konsumenten (26 Prozent) spielen ethische Kriterien wie Nachhaltigkeit, fairer Handel und artgerechte Tierhaltung eine wichtige Rolle. Das hat eine aktuelle Studie ergeben, für die die Gesellschaft für Konsumforschung (GfK) das Einkaufsverhalten von rund 30 000 Haushalten untersucht hat. Diese bewussten Käufer geben im Schnitt pro Haushalt 16 Prozent mehr Geld für Lebensmittel aus. Könnte die Verbindung von Fleischverzehr und artgerechter Haltung da nicht ein lohnendes Geschäftsmodell sein?

Immerhin 66 Prozent der Deutschen sprechen sich dafür aus, die Gesetze und Richtlinien für die Landwirtschaft zu verschärfen, damit Tierhaltung artgerechter wird. „Tierschutz auf dem Teller“ hieß daher eine Debatte, zu der die rheinland-pfälzische Agrarministerin Ulrike Höfken (Bündnis90/ Die Grünen) Landwirte und Vertreter der Fleischindustrie unlängst ins Umweltministerium nach Mainz geladen hatte. Dort wurde erst einmal mit einer weitverbreiteten Vorstellung aufgeräumt – nämlich der, dass es die Bauernhofidylle, wie sie Kinder noch immer in Bilderbüchern kennenlernen, immer noch gibt. Die Fleischindustrie ist zu einer der produktivsten Sparten der Landwirtschaft geworden. Sie macht Tiere zu Produktionseinheiten, deren Ergebnis gesteigert werden muss. Und das, obwohl es in Europa beim Fleisch „eine exzessive Versorgung und Verfügbarkeit“ gibt, wie die Europäische Union konstatiert. Wie also lässt sich in unserem übersättigten Teil der Welt die Wertschätzung für ein Nahrungsmittel und letztlich für das Tier zurückgewinnen? Wohl nur, wenn Tierschutz für die Landwirte rentabel wird.

Initiative Tierwohl setzt sich für eine nachhaltige Fleischerzeugung ein

„Tierschutz ist ja schön und gut, wenn es für den Bauern einen ökonomischen Mehrwert gibt“, brachte Leo Blum, Präsident des Bauern- und Winzerverbands Rheinland-Nassau, für sich den Schwerpunkt der Interessenlage auf den Punkt. Hier setzt die Initiative Tierwohl an, mit der sich Landwirte, Fleischwirtschaft und Lebensmittelhandel branchenweit zu einer nachhaltigen Fleischerzeugung bekennen wollen. Dass die Branche selbst eine solche Initiative anstößt, zeigt, dass Fleisch aus artgerechter Produktion bereits zu einer marktrelevanten Größe geworden ist. Denn „Aldi und Lidl nehmen ein Tierschutzlabel nicht ins Sortiment, weil sie ihr ethisches Gewissen entdeckt haben, sondern weil es da eine Nachfrage gibt“, stellte Eugen Heim von der Wasgau AG nüchtern fest. Heim vertreibt über die Märkte der Händlergenossenschaft schon seit zehn Jahren Rind- und Lammfleisch an der Fleischtheke nur noch in Bioqualität. In der BSE-Krise wollte die Handelskette so das Vertrauen ihrer Kunden zurückgewinnen. Vergraulen ließen die sich durch die höheren Preise für Qualitätsfleisch nicht – das Geschäft wächst.

Auf diesen Zug springt nun die Fleischindustrie mit ihrer Initiative Tierwohl auf, die im kommenden Jahr umgesetzt werden soll. Nicht nur beim Biobauern, auch im Supermarkt soll es vermehrt Fleisch aus artgerechter Haltung geben. Bis zu 100 Millionen Euro will der Lebensmittelhandel im Jahr bereitstellen, um Schweine- und Geflügelmästern einen Zuschuss zu bezahlen, wenn sie die Bedingungen in ihren Ställen freiwillig verbessern. Das klingt zunächst gut, ist bei genauerem Hinsehen aber problematisch. Denn die Tierhalter bestimmen selbst, an welche Regeln sie sich halten und an welche nicht. Sie können aus einem Pool von Kriterien wählen, verbindliche Standards gibt es nicht. Im Laden können Kunden später nicht erkennen, welche Standards jeweils verbessert wurden und ob das Fleisch tatsächlich aus tiergerechter Haltung stammt. „Wir glauben, dass wir mit der Initiative etwas für die Gesamtheit der Landwirte tun“, argumentierte Josef Tillmann für die Großschlachterei Tönnies, die zu den größten Fleischlieferanten in Deutschland gehört. Der Präsident des Deutschen Tierschutzbundes, Thomas Schröder, warnte, dass beliebig kombinierte Haltungsstandards dem Tier am Ende sogar schaden können. Für ihn ist die Initiative ein Täuschungsmanöver, weil die angestrebten Verbesserungen weit unter den Standards anderer Siegel bleiben.

Verbindliche und vertrauenswürdige Kennzeichnung gefordert

Gleiches gilt für das Tierschutzlabel, das der Tierschutzbund selbst vergibt. Es soll „Landwirten eine Brücke bauen, um einen Schritt in Richtung mehr Tierschutz zu gehen“, erläutert Schröder. Die aber bewegen sich nur zögerlich: Seit Einführung des Labels zum Jahresbeginn wurden gerade einmal 55 Betriebe vom Deutschen Tierschutzbund zertifiziert. Positiv formuliert heißt das: Immerhin 40.000 Schweine und 10 Millionen Masthühner leben besser als zuvor. Das Paradies ist das für sie freilich nicht – um den Bauern den Einstieg in den Tierschutz zu erleichtern, wurden die Anforderungen bewusst niedrig gehalten. Und der Zertifizierungsprozess verläuft schleppend, noch liegt die Nachfrage weit über dem Angebot.

Weil das Attribut „artgerecht“ immer mehr zur Auslegungssache einzelner Labelvergabestellen mutiert und der Verbraucher zwischen den Siegeln Bio, Tierschutz kontrolliert, Fair Mast, Pro Planet, Neuland, Für mehr Tierschutz oder Initiative Tierwohl bald den Wald vor lauter Bäumen nicht mehr sieht, sprach sich Wasgau-Vertreter Heim für einheitliche Richtlinien nach dem Ökostandard aus. Dem Verbraucher sind die teils gehörigen Unterschiede bei den Tierschutzanforderungen jedenfalls nicht zu vermitteln. „Wir brauchen eine bundesweit verbindliche und vertrauenswürdige Kennzeichnung“, forderte Landwirtschaftsministerin Höfken daher als Fazit aus der Diskussion. Die hat zweierlei gezeigt: dass das Thema Tierschutz ökologisch und konventionell arbeitende Bauern gleichermaßen interessiert – wenn auch aus unterschiedlichen Gründen. Und dass deren Vorstellungen, wie artgerechte Tierhaltung in den Ställen umzusetzen sei, doch recht weit auseinander liegen.

Mehr: www.q-s.de/initiative_ zum_tierwohl_1.html; www.tierschutzlabel.info; www.neuland-fleisch.de; www.oekolandbau.de