Berlin

Autokäufer überhören die „E-Offensive“ – Industrie muss trotzdem schnell handeln

Von Jochen Magnus
Während deutsche Hersteller zunächst nur elektrische Stadtflitzer bauen wollten, räumte Tesla mit dem Model S und eigenen Ladestationen ab.
Während deutsche Hersteller zunächst nur elektrische Stadtflitzer bauen wollten, räumte Tesla mit dem Model S und eigenen Ladestationen ab. Foto: dpa

Volvo will bald in jedes Fahrzeug einen Elektromotor einbauen, US-Autobauer Tesla startet die Serienproduktion des Model 3 für den Massenmarkt, und VW möchte Tesla dort besiegen. Überall wird zur „E-Offensive“ geblasen, aber in Deutschland sind erst 23.024 Anträge auf eine E-Auto-Kaufprämie eingegangen. Von dem Ziel, bis 2020 eine Million Elektrofahrzeuge auf die Straßen zu bringen, hat sich die Bundesregierung mittlerweile verabschiedet. Wie passt das alles zusammen?

Lesezeit: 4 Minuten

Warum die Autokäufer noch keine Kaufoffensive gestartet haben

Elektrisch zu fahren, finden die meisten gut. Unsere Zeitung hatte im vergangenen Herbst fünf elektrische VWs unter die Leser gebracht. Gefahren wurden die E-Flitzer gern, Fahrleistungen und Ruhe wurden dabei hoch gelobt. Aber tauschen wollte keiner, die Reichweiten waren einfach zu gering. Inzwischen hat VW einen verbesserten E-Golf herausgebracht, der immerhin bis zu 240 „echte“ Kilometer mit einer Batterieladung schafft. Das ist für manche schon genug, aber spätestens mit leerer Batterie fangen die Probleme erst an. Drei Gründe, warum E-Autos noch nicht in Massen auf die Straße gekommen sind.

1 Reichweite: Die deutschen Konzerne haben einen strategischen Fehler gemacht und E-Autos zunächst als reine Stadtautos konzipiert. Paradebeispiele sind der E-Smart von Daimler und der E-Up von Volkswagen. Beide haben eine „Papier-Reichweite“ von etwa 160 Kilometern, praktisch etwa 75 Prozent davon, bei klirrender Kälte weit weniger. Wer also täglich 100 Kilometer fährt, kann sich bei Frost nicht sicher sein anzukommen. Aber auch reine Stadtmenschen wollen mal einen Ausflug unternehmen oder weiter entfernte Freunde besuchen. Theoretisch könnten sie unterwegs nachladen, praktisch aber gibt es noch viel zu wenig Ladestationen und viel zu viele verschiedene Abrechnungssysteme. Unsere Leser-Tester hatten genau diese Erfahrung auch gemacht: Zwar fanden sie stets eine Ladestation, doch nutzen konnten sie nur wenige davon. Hinzu kommt ein technisches Problem: Vom angebotenen 11 oder 22 Kilowatt-Stromfluss können viele E-Automodelle nur einen Bruchteil schlucken, die eingebauten Gleichrichter sind zu schwach, das Laden dauert also viele Stunden. Echte Schnellladesäulen, die direkt mit Gleichstrom arbeiten, sind leider teuer und daher selten. Und Hybridfahrzeuge? Sind auch teuer und haben oft enttäuschende E-Reichweiten, manche nicht mal 20 Kilometer (Mercedes). Viele meinen, Hybridautos vereinen die Nachteile beider Welten in sich: teuer, schwer, kompliziert und mit geringem positiven Umwelteffekt.

2 Der hohe Preis: Ein elektrisch angetriebenes Mittelklasseauto kostet mit Zubehör mehr als 40.000 Euro, das ist vielen zu viel. Dabei bestehen E-Autos aus weniger Komponenten und sind einfacher herzustellen: Ohne aufwendiges Getriebe, ohne Öl, ohne Abgasanlage. Die Autos sind mit etwa halbem Aufwand an Arbeitskraft zu bauen, sollten also billiger sein. Wären da nicht die teuren Akkus. Sie fressen den Preisvorteil auf. Und es fehlt die Großserie: Würden E-Autos in Massen produziert, würde ihr Preis auf Normalmaß sinken. Auf der Strecke bleiben könnten aber viele Arbeitsplätze in der Automobilindustrie. Auch das dämpft bei manchen Menschen die Elektroeuphorie. Aktuell streiten schon im Daimler-Stammwerk Stuttgart-Untertürkheim Betriebsrat und Management um die Zukunft der Elektroproduktion.

3 Fahrspaß : Für manche Autoenthusiasten ist der mit „Sound“ verbunden, doch ein E-Auto macht einfach keinen Krach. Andere hält die Verknüpfung von E-Auto mit autonomen Fahren ab; man bedauert den vermeintlichen Kontrollverlust. Tatsächlich hat das eine mit dem anderen gar nichts zu tun: Autonom fahren können Verbrenner ebenso, und Elektroautos lassen sich konventionell steuern. Gegen diese Vorbehalte hilft eine Probefahrt: Viele Fahrer sind dann begeistert über die unangestrengte und gleichmäßige Kraftabgabe der E-Motoren, die nach dem Motto fahren: In der Ruhe liegt die Kraft.

Warum die Automobilkonzerne jetzt zur „E-Auto-Offensive“ blasen

Bislang sind elektrische Autos noch Raritäten auf den deutschen Straßen. Viele konservative Autofahrer glauben oder hoffen, dass es noch lange so bleibt. Nicht so die deutsche Autoindustrie, ihre Vorstände haben allesamt die „Elektrooffensive“ausgerufen. Drei Dinge treiben die Autobosse dazu:

1 Die Dieselkrise: Uncharmant ausgedrückt: die Diesellüge. Dem einst rüttelnden und rußenden Dieselmotor hatten die Ingenieure in mühsamer Kleinarbeit Laufkultur und Effizienz beigebracht, mit geringem Kraftstoffverbrauch bei hoher Leistung und scheinbar guten Umweltwerten. Die war leider nur im Labor getrickst, wie sich herausstellte. Ähnliches zeichnet sich auch beim Benziner ab: Hier muss noch mehr gefiltert und weniger verbraucht werden. Weil die Abgasnormen auch das Fahrzeuggewicht bewerten, ist bei den kleinen Autos der Diesel schon tot und der Benziner stirbt gerade: Smart wird bald nur noch E-Autos anbieten (in USA schon heute) und selbst BMW-Mini kämpft mit Abgasvorschriften und „Flottenverbrauch“.

2 China: Das Land kann sich nicht noch mehr Abgase leisten. Denn, überspitzt ausgedrückt, fiele dann die Bevölkerung der Städte tot um, so kritisch ist die Lage dort. Lokal emissionsfrei zu fahren, ist in China kein frommer Wunsch, sondern überlebensnotwendige Pflicht. Daher führt die autoritäre Regierung einfach mal so eine Elektroquote ein. Die zu erfüllen, fällt den Autobauern schwer, allein für den chinesischen Riesenmarkt müssten sie schon ihre „E-Offensive“ starten. Erwünschter Nebeneffekt für die Chinesen ist übrigens: Sie haben keine international konkurrenzfähige Automobilindustrie im Land und könnten den Rückstand zu den Etablierten kaum aufholen. Also überspringen sie diesen Entwicklungsschritt und starten gleich mit den technisch unkomplizierteren E-Autos durch. Gerade hat Volvo, ganz im Besitz des chinesischen Autokonzerns Geely unter der Leitung von Parteimitglied Li Shu Fu, verkündet, keine Autos ohne E-Antrieb mehr bauen zu wollen (wobei Hybride ausdrücklich dazuzählen).

3 Tesla: Dem E-Auto-Pionier scheint mühelos zu gelingen, was den Großen missglückte: Elektrofahrzeuge in Massen zu verkaufen. Immerhin knapp 50.000 Luxusautos auf Mercedes-S-Klasse-Preisniveau wurden im ersten Halbjahr 2017 verkauft. Vom Mittelklassemodell 3 sollen nun Millionen abgesetzt werden, fast 400.000 kostenpflichtige Vorbestellungen sind eingegangen. Die Serienproduktion startete am vergangenen Freitag. Bis das Modell in Europa ankommt, wird es aber wohl noch ein Jahr dauern. Dennoch werden die Teslas schneller auf die deutschen Straßen rollen, als den heimischen Autokonzernen lieb ist: Deren „E-Offensive“ bestand bislang aus viel Propaganda; E-Autos können auch sie nicht aus dem Hut zaubern. Doch es genügt nicht mehr, mit schönen Studien und Ankündigungen die Käufer hin- und von Tesla abzuhalten. Es müssen Taten folgen – jetzt!

Von unserem Redakteur Jochen Magnus

Einwurf: Das elektrische Leben ist voller Kompromisse

Vor gut zwei Jahren packte mich das E-Autofieber. Wer, wenn nicht ich mit überwiegend Stadtkilometern und Lademöglichkeit zu Haus, wäre als E-(Vor-)Reiter prädestiniert? Aber der ins Auge gefasste elektrische Smart war nicht mehr lieferbar, die Daimler AG gönnte sich eine eineinhalbjährige Auszeit vom kleinen Stromer; das neue Modell ließ auf sich warten. Also wählte ich doch wieder einen Benziner.

Jochen Magnus zur Qual der Wahl beim E-Auto-Kauf

Ein Jahr später, am 1. April 2016, kam der Paukenschlag: Tesla will ein Mittelklasseauto auf den Markt bringen. In Kalifornien war der Tag noch nicht um, da saß ich schon am 2. April frühmorgens am Rechner und gab 1000 Euro für die Reservierung des Model 3 aus. Trotzdem kam ich nicht mehr unter die ersten 100.000. Aber das hätte auch nichts genutzt. Denn Tesla praktiziert „America first“ und will zunächst mal US-Kunden beliefern. Irgendwann, vielleicht noch 2018, kommt Europa dran.

Bis dahin dürfte die Leihfrist meines smarten Benziners verstrichen sein, und ich schaue mich jetzt vorsichtshalber nach Alternativen um. Den neuen E-Smart habe ich schon mal ausprobiert. Fazit: ein prima Auto. Vor zwei Jahren hätte ich mich spontan dafür entschieden. Aber bald habe ich auch größere Touren zu bewältigen. Und dafür ist der Akku zu klein. Also eine Nummer größer: BMW i3 oder E-Golf. Schon auf die Probefahrten musste ich lange warten: Die Händler haben keine eigenen Fahrzeuge; müssen die Vorführer beim Werk bestellen. So richtig rund läuft dieser E-Verkauf nicht, einen Verbrenner kann man deutlich schneller ausprobieren und kaufen. Am schlechtesten läuft es übrigens bei Opel: Der vollmundig angekündigte Ampera-e, der von GM in den USA gebaut wird, gelangt wohl frühestens Ende 2018 über den Großen Teich zum deutschen Kunden. Auch hier gilt wieder das Motto „America first“.

Was mein Luxusproblem noch komplizierter macht: Ich bin eher der offene Typ, ein eingefleischter Cabrio-Fahrer. Noch nie hatte ich keins. Und da bliebe nur der E-Smart, aber, siehe oben: zu kleine Batterie. Beim E-Golf, ansonsten mein derzeitiger Favorit, kann ich nicht einmal ein Schiebedach dazu kaufen: angeblich zu schwer!

Da mir leider die Optik von BMW i3, Renault Zoe und Co. nicht gefällt, driften meine Gedanken nun doch wieder ins Fossile ab … Mein ökologisches Gewissen könnte ich belügen, schließlich fahre ich bereits elektrisch: Ein Motorrad der praktisch konkurrenzlosen Marke Zero. Man sieht diese kalifornischen Sportgeräte leider kaum auf den Straßen, denn die Motorradfahrer verweigern sich der sanften Mobilität noch mehr als die Autonarren. Bis eines Tages die Erkenntnis durchgesickert ist: Elektrisch zu fahren ist nicht nur öko, sondern macht viel mehr Spaß!

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