Düsseldorf

Twitter-Star und Bloggerin des Jahres: Jetzt fehlt @EinAugenschmaus der Integrationsbambi

Eine gehörlose junge Frau lässt immer wieder aufhorchen: Julia Probst alias@EinAugenschmaus ist gerade zur „Bloggerin des Jahres“ gekürt worden. Im Interview mit unserer Zeitung erklärt sie, wie sich sich ihren Erfolg erklärt und was sie sich jetzt noch von 2012 erhofft – außer dem Integrationsbambi.

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Düsseldorf – Eine gehörlose junge Frau lässt immer wieder aufhorchen: Julia Probst alias@EinAugenschmaus ist gerade zur „Bloggerin des Jahres“ gekürt worden. Im Interview mit unserer Zeitung erklärt sie, wie sie sich ihren Erfolg erklärt und was sie sich jetzt noch von 2012 erhofft – außer dem Integrationsbambi.

Es läuft im Netz gut für die 30-Jährige Julia Probst aus Neu-Ulm: Erst am Monatsanfang kürte Twitter die von Geburt an gehörlose junge Frau mit ihrem Account @EinAugenschmaus zu einer der zehn Twitterstories des Jahres, nun folgt der Titel „Blogger des Jahres“ im Rahmen einer Onlineabstimmung bei der Veranstaltung „Goldene Blogger 2011“. „Gehörlose können alles – außer Hören“, schob sie noch nach, als das Interview mit ihr eigentlich schon fertig war. Wir haben sie nach dem Geheimnis ihres Erfolges gefragt – und was die Auszeichnungen für ihr Engagement für Barrierefreiheit bedeuten.

Glückwunsch, Julia! Was meinst Du, warum Du zur Bloggerin des Jahres gewählt worden bist? Du hast drei Sätze! ;-)

Das ist so eine Frage, die man nur schwer beantworten kann. Vielleicht, weil man beim Lesen meiner Blogbeiträge merkt, dass da ganz schön viel Herzblut und Energie von mir drinsteckt und das ist dann auch letztlich honoriert worden. :-)

Glaubst Du denn, dass es von manchen auch eine Reaktion auf Deine Ankündigung war, Dich zurückzuziehen? Im Sinne von „Wir zwingen die einfach zum Weitermachen“?

Ja doch, dieser Gedanke kam mir auch schon. Und falls es dem so ist, dann war die Auszeichnung sehr wirkungsvoll wie auch sehr charmant. Schon bei dem „Twitter-Oscar“ dachte ich mir: „Ob das so ein Zeichen ist, dass ich nicht aufhören sollte?“ Die erneute Auszeichnung jetzt ist wohl die Bestätigung dafür. Aber als heiße Kandidatin für „Blogger des Jahres 2011“ habe ich mich nie gesehen. Ich erfuhr ja auch erst 10 Minuten vor der Preisverleihung, dass ich nominiert bin und war mehr als überrascht. Und noch mehr, als der Gewinn tatsächlich auch feststand. :-)

An wen ging Deine Stimme? Du hast ja dem ebenfalls nominierten Richard Gutjahr geschrieben, er hätte es mit seiner Reise nach Ägypten ebenfalls verdient gehabt.

An eben diesen erwähnten Richard Gutjahr, denn so ganz ohne Gefahr war diese Reise ja auch nicht und mit einer Auszeichnung hätte man auch die Leute geehrt, die ihm über Spenden geholfen haben wieder ins Plus zu kommen durch die Kostendeckung der Spesen seiner Berichterstattung.

Weißt Du, woher die Veranstalter Franziska Bluhm, Thomas Knüwer und Daniel Fiene die Geste in fürs Applaudieren kannten?

Ganz einfach: Bei der Re:publica hat einer aus dem Publikum bei der Fragestunde sich bedankt für meinen Auftritt und mir applaudiert auf Gebärdensprache. Er kannte ihn aus dem „Supertalent“ wo der gehörlose Tänzer Tobias Kramer dem Publikum eben diese Geste beigebracht hat. Am Schluss meines Auftritts bei der Re:publica hat ja der ganze Friedrichstadtpalast mir so Applaus spendiert. :-)

Dann binden wir davon doch noch mal das Video ein (von 11:33 min bis 34:30 min) ...

Und gibt es auch eine Geste fürs Jubeln – oder bedarf es da keiner gesonderten Geste? ;-)

Die Geste fürs Jubeln ist international gleich, dazu muss man nicht unbedingt gehörlos sein. ;-)

Eine der zehn Top-Twitterstories 2011, nun Bloggerin des Jahres in Deutschland. Was wiegt schwerer?

In meinen Augen haben beide Auszeichnungen den völlig gleichen Stellenwert, denn beide verhelfen meinem Anliegen für mehr Barrierefreiheit für Gehörlose und Schwerhörige in Deutschland. Und ich bin stolz wie Bolle auf beide Auszeichnungen!

Glaubst Du, dass jetzt auch die Fernsehsender Schlange stehen, die Dir bislang ja kaum eine Plattform bieten wollten?

Vielleicht kommt das ja jetzt noch, aber da mach ich mir keine allzu großen Hoffnungen, denn das ist natürlich auch nicht einfach für die Fernsehsender, wenn sie jemanden einladen, der dann kritisiert, dass sie ihrem Auftrag nicht nachkommen dafür zu sorgen, dass auch Gehörlose, Schwerhörige und Blinde den vollen Zugang haben zu ihren Angeboten. Wie gesagt: Ab 2013 sollen Gehörlose, Schwerhörige 6 Euro Gebühren bezahlen, obwohl die Barrierefreiheit bisher sehr niedrig ist. Aktuell haben wir 12,6 Prozent hochwertige Untertitel, was in meinen Augen kein Grund ist, Gebühren zu verlangen, obwohl angekündigt worden ist, dass man vermehrt auf Barrierefreiheit achten werde. Ich zahle gerne, aber nur dann wenn ich für mein Geld den gleichwertigen und vollen Zugang zu allen bereitgestellten Informationen des Fernsehen haben und darunter verstehe ich 100 Prozent hochwertige Untertitel sowie Verdolmetschung aller Nachrichtensendungen in Gebärdensprache UND der Kindersendungen für Kinder unter 6 Jahren!

Da hat es ein Raul Krauthausen viel leichter, ins Fernsehen zu kommen, denn er muss ja nicht die Fernsehsender durchgehend kritisieren, sondern lediglich nur den Umstand, dass die Gesellschaft bei Bauten oft nicht an Rollstuhlfahrer denkt.

Wenn ich an Barrierefreiheit denke, dann an Dich – und eben an Raul Krauthausen. Schon mal überlegt, gemeinsame Sache(n) zu machen?

Ja, und das streben wir auch an.

Was denn?

Es gibt noch nichts Spruchreifes. Wir wollen uns treffen und verstehen uns gut. Ich finde auch die Idee hinter Wheelmap.org (Karten, wie rollstuhlgerecht Orte sind) einfach genial! Und ich denke, er ist genauso charmant-penetrant wie ich. :-)

Gutes Stichwort. Man muss sicher penetrant sein, damit sich beim Thema Barrierefreiheit was bewegt. Bleiben denn da böse Reaktionen aus?

Das Lustige und Traurige zugleich ist, das ich eher hauptsächlich Kritik von Gehörlosen ernte, was daran liegt, dass ich für diese nicht gehörlos genug bin aufgrund meiner Aussage, dass ich mit dem Cochler Implantat, was sowieso sehr umstritten ist zu Recht ist in der Gehörlosenwelt, zu den Schwerhörigen zähle, ohne das Cochlear Implantat aber gehörlos bin und von der kulturellen Identität bin ich aber eine Hörende. Das ist so wie bei Obama, wo sich die Schwarzen auch gefragt haben, ob Obama schwarz genug ist bei seinem Background, der für Schwarze ja auch nicht üblich ist. Meiner Meinung nach sollte dieser Zickenkrieg in der Gehörlosenwelt ein Ende haben, denn letztlich sitzen wir alle im gleichen Boot und haben den gleichen Traum, aber wir kommen eben nicht weiter, wenn wir nicht gescheit zusammenarbeiten.

Du hast bei Deinem ersten Blogpost 2009 geschrieben, dass Du Dich dazu nach langem Zögern entschlossen hast. Wieso das Zögern? Und würdest Du heute irgend etwas anders schreiben?

Das Zögern lag daran, dass ich schon sehr viel länger blogge, aber bis dato nicht über meine Gehörlosigkeit, weil ich das einfach nicht so interessant fand, dass ich gehörlos bin, weil ich mich nicht als „behindert“ empfinde. In meinen Augen macht der nicht barrierefreie Zugang zur Gesellschaft in vielen Lebensbereichen gehörlosen Menschen behindert, nicht die nicht vorhandene Hörfähigkeit.

Und ich hatte bis dahin auch keine Lust, mich damit auseinander setzen zu müssen, weil es für mich einfach nicht wichtig erschien, dass es zu meinem Leben gehört, weil ich mich ja nicht darüber identifiziere. Ich bin eben nicht mein Defizit. Ich glaube auch nicht, dass ich heute das Bloggen anders betreiben würde im Rückblick. Fehler macht jeder mal und man lernt daraus und gut ist es.

Wie schaffst Du es, so viel Zeit aufzubringen?

Es ist Leidenschaft, also nehme ich mir die Zeit dafür. Einige wenige Erfolge konnte ich schon erzielen, zum Beispiel dass der Videopodcast der Bundeskanzlerin mit Untertitel abrufbar ist und die Neujahrsansprache der Kanzlerin dieses Jahr das erste Mal mit Gebärdensprache gezeigt wird auf Phoenix.

Es wirkt oft so, als wärst Du eine Einzelkämpferin. Hast Du schon mal überlegt, Dich irgendwie anders zu organisieren, vielleicht auf die Hilfe oder Ressourcen einer Organisation oder eines Vereins zurückzugreifen?

Ja und nein – ich bin zwar keine Einzelkämpferin, ich engagiere mich ja auch bei der Gruppe „Aktion Untertitel.“ Aber als Bloggerin und Twitterin stehe ich ganz schön alleine da bis auf einige Bloggerkollegen wie Judith Göller oder Alexander Görsdorf, das stimmt schon. Und ich überlege mir auch derzeit konzentierte Zusammenarbeiten, aber das Problem ist ja, dass eben keine gescheite Zusammenarbeit stattfindet unter den Gehörlosen, was natürlich totaler Schwachsinn ist. Da will eben jede Splittergruppe da den Ruhm einstreichen für das Erreichen der Barrierefreiheit. Und mein Bekanntheitsgrad stößt einigen hohen Tieren in der Gehörlosenwelt eben etwas auf, aber dafür kann ich eben nichts, dass es so gekommen ist, denn ich habe das alles nicht gezielt gesteuert. Mein Plan war es nie, dass ich damit so bekannt werde wie jetzt, ich wollte lediglich etwas Aufklärungsarbeit betreiben.

Was kann denn jetzt 2012 noch kommen? Wünsche ans Christkind?

Oh, ich würde mir da den einen oder den anderen Fernsehauftritt wünschen, dann es endlich schaffen, das Buch in meinem Kopf fertig zu schreiben. Und ich würde mir wünschen, dass ich für 2012 endlich in der Nominierungsliste für den Grimme-Online-Award lande – zweimal schon war ich in der Vorschlagsliste. Der Grimme-Online-Award würde mir auch noch mal ein Stück weiterhelfen, dass Barrierefreiheit für Gehörlose und Schwerhörige eine Selbstverständlichkeit wird in Deutschland, auch wenn ich vermutlich bis dahin graue Haare habe. Randnischenthemen können echt jede Unterstützung gebrauchen. Vielleicht noch den Erhalt des Bambis 2012 für Integration. An mir würden sich die Geister bestimmt nicht so schneiden wie an Bushido. *lach* Aber nein im Ernst: Ich wünsche mir vor allem, dass es mir und meiner Familie auch 2012 an nichts mangelt und jeder sich bester Gesundheit erfreut.

Dürfen wir als Regionalzeitung Dich denn nach DEinen Erfolgen auch weiter noch ansprechen, ob Du vielleicht für uns wie bei der Landtagswahl 2011 in Rheinland-Pfalz die Körpersprache von Politikern analysierst? ;-)

Natürlich könnt ihr mich in dem Punkt weiter ansprechen. ;-) Und das erste Interview mit mir, falls ich wirklich in die Politik gehe, gehört natürlich der Rhein-Zeitung wie schon mal versprochen!

Deal!

Die Fragen stellte Lars Wienand