Brüssel

„Panoramafreiheit“ in Gefahr: Schnappschüsse bald nur noch gegen Gebühr?

Drei Schnappschüsse, die Sie in Ihrem Urlaubsalbum haben könnten: der nächtlich beleuchtete Eiffelturm, das Brüsseler Wahrzeichen „Atomium“ und die kleine Meerjungfrau in Kopenhagen. Aber Album war gestern, heute lädt man seine Urlaubsfotos in die „Cloud“, in den Datenhimmel; vielleicht zu Facebook, Instagram oder Flickr hoch. Falls die oben genannten Motive darauf zu sehen sind, riskiert man in Frankreich, Belgien oder Dänemark Strafen und – noch teurer – Abmahnungen wegen Verletzung des Urheberrechts.

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Von unserem Redakteur Jochen Magnus

Die belgische Wikipedia kann deshalb das Atomium und die dänische die Meerjungfrau nicht zeigen. Die im Hafen von Kopenhagen frei zugängliche Figur ist im dänischen Lexikon weiß übermalt.

Nach deutschem Recht(sempfinden) bisher undenkbar

Nach bisherigem deutschen Rechtsverständnis ist so etwas undenkbar. Gebäude, die im öffentlichen Raum stehen, darf man (aus dem öffentlichen Raum heraus) jederzeit fotografieren und die Bilder auch veröffentlichen – von Sicherheitszonen einmal abgesehen. Diese „Panoramafreiheit“, die den öffentlichen Raum vom Urheberschutz ausnimmt, hat 50 Jahre lang fast geräuschlos funktioniert und ist uns in Fleisch und Blut übergegangen; sie entspricht heute voll und ganz unserem Rechtsempfinden.

An diesem wohlerprobten deutschen Rechtswesen sollte Europa genesen, dachte sich die Abgeordnete Reda, einzige deutsche „Piratin“ im EU-Parlament: Klar zum Ändern der restriktiven Nationalgesetze durch ein europaweites Gesetz nach deutschem Vorbild. Doch der tollkühne Schuss vom Piratenschiff wurde zum Rohrkrepierer: Der Rechtsausschuss des Parlaments kehrte den Vorschlag um, und ein liberaler französischer Abgeordneter erhob das strenge französische Urheberrecht zum Maßstab: Eiffelturm bei Nacht? Non! Gewerbliche Veröffentlichung nur mit Genehmigung des Rechteinhabers der kunstvollen Illumination, natürlich gegen Gebühr, s'il vous plaît! Das könnte das Ende der freien Fotografie im öffentlichen Raum bedeuten, denn welcher Fotograf kann es sich leisten, jeden Urheber von eventuell im Bild befindlichen Kunstwerken oder Gebäuden herauszufinden, um Genehmigung zu bitten und gar zu bezahlen?

Knackpunkt: Was ist eigentlich „gewerblich“?

Selbst Privatleute sind gefährdet, denn „gewerblich“ kann schon eine Veröffentlichung in Facebook oder Bilderdiensten sein, die ja allesamt kommerziell arbeiten und sich Nutzungsrechte an den Werken ihrer User vorbehalten. Es genügt schon, einen Spenden-Button, zum Beispiel „Flattr“, auf der Internetseite zu haben, der einen kleinen Unkostenbeitrag erbittet. Ob gewerblich oder privat, die unscharfe Definition schafft in jedem Fall paradiesische Zustände für Absahner und Abmahnanwälte, die Zeit unbeschwerter Urlaubsfotos wäre vorbei.

Über diese konkreten Probleme hinaus entsteht ein prinzipielles Dilemma. Thomas Frickel, Vorsitzender der AG DOK, Interessenverband deutscher Dokumentarfilmer, nennt es treffend die „Privatisierung der Wirklichkeit“ und meint damit eine Ausweitung des Privateigentums zulasten des öffentlichen Raumes. Grund dafür sei, dass das Urheberrecht „ein viel schärferes Schwert“ sei als andere Schutzrechte. „Daher sind findige Anwälte dabei, Urheberschutz auch für Dinge zu reklamieren, die diesen vorher nicht hatten“, sagte er in einem Gespräch mit dem „Deutschlandradio Kultur“. Es ist ein wenig wie an einem Strand in Südfrankreich: überall Privatdomänen, überall Barrieren. Man findet kaum noch einen Zugang zum Meer.

Beschluss war möglicherweise ein Versehen

Derweil dämmert es auch Europa-Abgeordneten quer durch die Parteien, dass der Rechtsausschuss vielleicht voreilig oder gar blauäugig seinen Beschluss gefasst hat. Doch die Zeit wird knapp, das Blatt noch zu wenden: Kommende Woche Donnerstag will das Europaparlament beschließen. Es steht nicht weniger als ein Stück Freiheit zur Abstimmung.