Brüssel

Netzneutralität: Kommt die Maut für Internet-Schnellstraßen?

Freie Fahrt für privilegierte Dienste wie Youtube und Facebook auf Kosten des restlichen Internets will offiziell niemand. (Grafik nach einer Idee von <a href="http://www.ifun.de/netzneutralitaet-in-gefahr-eu-parlament-will-sonderdienste-legitimieren-57681/" target="_blank">ifun.de</a>)
Freie Fahrt für privilegierte Dienste wie Youtube und Facebook auf Kosten des restlichen Internets will offiziell niemand. (Grafik nach einer Idee von ifun.de) Foto: jo

„Alle Daten sind gleich, sie dürfen wegen ihrer Herkunft, Sprache oder Inhalt weder benachteiligt noch bevorzugt werden“. So könnte man ein Prinzip des Internets in die Sprache unseres Grundgesetzes übersetzen. Es bedeutet: Alle Betreiber des Internets sind verpflichtet, sämtliche Daten gleich zu behandeln. Egal, ob es eine E-Mail ist, eine Internetseite, ein Facebook-Posting oder ein YouTube-Video. Über die Zukunft dieser Netzneutralität wird seit Jahren heftig gerungen, und am Donnerstag wird das Europaparlament darüber debattieren und wohl auch einen Beschluss fassen.

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Von unserem Redakteur Jochen Magnus

Das Internet hat sich in zwei Jahrzehnten von einer Spielwiese für Wissenschaftler und Techniker zum Massenmedium entwickelt. Für die Jüngeren ist der Internetanschluss so selbstverständlich wie der Wasserhahn und die Steckdose – oder die Straße zum Nachbarort. Tatsächlich gleicht das Internet einem Netz breiter, aber einspuriger Straßen, auf denen die Daten gleich schnell transportiert werden. Jetzt könnten die Straßen in mehrere Spuren unterteilt werden. Um die Überholspur benutzen zu dürfen, müssten die Nutzer eine Extra-Maut bezahlen.

Viele Milliarden für den Netzausbau

Für diese Idee gibt es gute Gründe und noch mehr knallharte wirtschaftliche Interessen: Viele Milliarden Dollar und Euro stecken die Netzbetreiber, wie zum Beispiel die Deutsche Telekom, in den Ausbau der Leitungen und der Technik. Die Datenanbieter und -konsumenten im Internet bezahlen dafür. Das ging so lange gut, wie sich viele kleinere und mittelgroße Dienste die Internettrassen teilten. Doch in den vergangenen Jahren traten große Spieler in den Vordergrund: Der Videodienst Netflix, hierzulande noch wenig bekannt, hat in den USA inzwischen mehr Zuschauer als die gewöhnlichen Fernsehsender und verursacht mit seinen über das Internet ladbaren Filmen und Serien ein Drittel des Datenverkehrs. Rechnet man den von Google gekaufte YouTube hinzu, dann stammt jedes zweite Datenpaket von den beiden Spitzenanbietern von Videos. Das ärgert die Telekom-Anbieter, die Milliarden in den Netzausbau stecken, an dem sich anschließend die schnell wachsenden Inhalte-Anbieter eine „goldene Nase“ verdienen.

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Bisher spielten die Netzanbieter, Carrier genannt, auf drei Feldern: Kabelfernsehen, Telefon und Internet. Jetzt wandert mit Netflix & Co. nicht nur das Fernsehen ins Internet ab. Mit Diensten wie Skype kann man auch billig übers Netz telefonieren, und dank Whatsapp braucht es keine SMS mehr.

Übrig bleibt den Carriern also das Internet – und hier wollen sie ein größeres Stück vom Kuchen abhaben. So bietet die Deutsche Telekom den Musikdienst Spotify für Mobilgeräte an. Die Daten, die für die Musik fließen, werden nicht vom Datenkontingent abgezogen. Ähnliche Bevorzugung war mit dem hauseigenen TV-Dienst T-Entertain auch für das Internet geplant und wurde erst nach Protesten und einer Gerichtsentscheidung gestoppt. Dieses Beispiel zeigt ein klaren Verstoß gegen die Netzneutralität: Eigene Inhalte werden bevorzugt, fremde haben das Nachsehen.

Google + Facebook = Internet

Wozu das führen kann, zeigen Schwellenländer wie Kenia oder die Philippinen. Die Methode heißt „sponsored data“ und Konzerne wie Facebook und Google bezahlen die Telefonanbieter dafür, dass ihre Daten den Kunden nichts kosten. Die Folge: In diesen Ländern sind Google und Facebook für die meisten „das Internet“. Einfach mal zu einer Internetseite surfen oder große E-Mails versenden, können sich die meisten nicht leisten. Das freie Internet ist tot, Konzerne bestimmen das Angebot.

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In USA und Europa soll das nicht passieren, da sind sich die Vertreter der meisten politischen Parteien einig. Jedenfalls sagen sie das. Tatsächlich aber bohrt die Lobby der Telekommunikationsunternehmen beharrlich dicke Bretter. In dem seit Jahren währenden Streit hat sie eine klare Gesetzgebung zur Netzneutralität verhindert.

Zwar hat sich der Bundesrat ebenso wie die Bundesregierung klar dafür ausgesprochen, doch in Europa hat der zuständige Parlamentsausschuss in der vergangenen Woche einen Kompromiss vorgeschlagen: Die Netzneutralität wird gesetzlich festgeschrieben, aber die Carrier dürfen zusätzlich „Spezialdienste“ anbieten. Kritiker bemängeln, dass dieser Begriff nicht präzise ist und so eine Hintertür öffnet. Hinter dem Wort Kompromiss stecke in Wirklichkeit der Abschied von der Netzneutralität. Dieser Meinung waren auch die bislang mehr als 160.000 Unterzeichner einer Petition gegen den Gesetzesentwurf.

Im Tarifdschungel verloren

Zwar hat kaum jemand etwas dagegen, wenn bestimmte Dienste, wie Fernsteuerungen, die in Echtzeit ablaufen müssen, privilegiert würden, aber das sollte exakt im Gesetz festgeschrieben werden. Die dem EU-Parlament vorliegende Fassung spricht nur allgemein davon, dass das Anbieten von Spezialdiensten nicht auf Kosten des allgemeinen Internets gehen darf – was praktisch kaum zu kontrollieren ist. Wenn das Netz nicht neutral bleibt – oder die Ausnahmen nicht präzise festgelegt werden – dann könnten die Kritiker Recht behalten: Sie befürchten, das heutige Netz spalte sich in viele Einzelangebote auf, es entstünde ein Tarifdschungel und die Nutzer müssten unterm Strich viel mehr bezahlen. Da tröstet auch das Sahnehäubchen wenig, mit dem der Gesetzesentwurf verziert wurde: Die lästigen Roaminggebühren im Ausland sollen komplett entfallen. Das ist ein ganz anderes Thema und lenkt nur vom wichtigeren Thema ab.

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