Montagsdemos 2014 – Ein Phänomen lässt viele zweifeln

Montagsdemonstrationen 2014. Hier eine Demonstration in Berlin. Die Angaben über die Teilnehmerzahlen schwanken. Bei dieser sollen rund 1000 Menschen dabei gewesen sein.
Montagsdemonstrationen 2014. Hier eine Demonstration in Berlin. Die Angaben über die Teilnehmerzahlen schwanken. Bei dieser sollen rund 1000 Menschen dabei gewesen sein. Foto: dpa

Eine Bewegung unter dem Begriff „Montagsdemos“ findet seit einiger Zeit mehr und mehr Aufmerksamkeit. Vordergründig als Friedensbewegung dargestellt, kritisiert diese Bewegung die etablierten Medien wegen ihrer Ukraine-Berichterstattung – und birgt doch selbst einen zweifelhaften Hintergrund.

Lesezeit: 6 Minuten
Anzeige

Von Sarah Kern

Die etablierten Medien wurden in den vergangenen Wochen immer wieder zur Zielscheibe organisierter Kommentarwellen auf den sozialen Medien im Web.

Hunderte, manchmal Tausende Kommentare landeten in den Kommentarspalten bei ARD, ZDF und Spiegel Online. Ins Kreuzfeuer der Kritik geriet der Umgang der öffentlich-rechtlichen Sender und des Internetportals mit dem russisch-ukrainischen Konflikt: „Einseitig, pro-amerikanisch, den Tatsachen nicht entsprechend“ sei die Berichterstattung, monierten die Kritiker. Und immer wieder tauchte die Forderung auf, auch über die sogenannten Montagsdemonstrationen zu berichten.

Auch auf der Facebook-Seite der Rhein-Zeitung wurde unter mehreren Beiträgen hartnäckig die Frage gestellt, warum wir uns mit solch vermeintlich banalen Themen beschäftigten und nicht die aktuellen „Montagsdemonstrationen“ thematisieren.

Montagsdemonstrationen? Haben wir Medien im täglichen Nachrichtenstrom ein sensibles Thema übersehen, das wir möglicherweise der Öffentlichkeit unwissentlich vorenthalten? Oder macht sich da jemand mit dem prominenten Namen Montagsdemos bloß wichtig?

Hartz-IV-Montagsdemonstrationen 2004.
Hartz-IV-Montagsdemonstrationen 2004.
Foto: dpa

Immerhin verknüpfen wir mit diesen Demonstrationen Bilder von Menschen kurz vor der Wende '89 in Städten wie Leipzig und Berlin. Den Montagsdemos folgte die Wende und schließlich die deutsche Vereinigung. Und als unter Gerhard Schröder das Hartz-IV-Paket im Sommer 2004 verabschiedet wurde, gingen erneut Bürger auf die Straße und wehrten sich – unter dem Namen Montagsdemonstrationen.

Montagsdemonstrationen“ – so nennen die Veranstalter die Friedendemonstrationen heute wieder auf ihrer Internetseite. In mehr als 20 größeren deutschen Städten gebe es diese Demos, berichten sie, und laut Organisatoren werde die Zahl der Teilnehmer immer größer. Das bestätigen auch unabhängige Medien: Bei der Ostermontagsdemo in Berlin beispielsweise sollen laut „Tagesspiegel“ zwischen 1000 und 1200 Demonstranten dabei gewesen sein, in Leipzig, laut „Leipzig Fernsehen“, 500.

1989 in Leipzig. Da hatten die Montagsdemonstrationen ihren Ursprung.
1989 in Leipzig. Da hatten die Montagsdemonstrationen ihren Ursprung.
Foto: dpa

Ein wenig also ist daran dran, es gibt diese Demonstrationen, wie ja auch ein Teil der etablierten Medien berichtet. Eine Kampagne, bewusst nicht über diese Demonstrationen zu berichten, kann angesichts der vergleichsweise geringen Teilnehmerzahlen aber vermutlich eher als Verschwörungstheorie bezeichnet werden.

Die Anzahl der digitalen Kommentare dazu ist dennoch hoch. Die Facebookseite „Anonymous.Kollektiv“ reklamiert für sich hinter den massenhaften Postings gegen die Medien zu stecken. In einem Youtube-Video auf der Seite wurde auch zum „digitalen Guerillakrieg gegen die Medien„ aufgerufen.

Die Grünen-Politikerin und Publizistin Jutta Ditfurth hatte bereits Ende März auf Facebook eine Debatte über die „Neurechten-Friedensdemos“ losgetreten. Dem Sender 3Sat in der Sendung Kulturzeit erklärte sie am 16. April im Interview, dass sie Facebook-Freunden die Freundschaft gekündigt habe, denen sie offensichtlichen Kontakt zu dieser Anonymous-Seite nachweisen konnte. „Ich beobachtete seit einiger Zeit mit Besorgnis, dass einige neurechte Gruppen, aber auch offensichtlich rechte Gruppierungen zu einem Minimalkonsens sich hinbewegen – den so genannten Friedensdemonstrationen, den Montagsdemonstrationen.“

Gleichzeitig biete die Anonymous-Kollektiv-Facebookseite mit mittlerweile knapp 450.000 Facebook-Fans, drei umstrittenen Rednern eine Plattform. Hier können diese ihre rechts-tendenziöse Theorien und Ideologien verbreiten, sagt die Aktivistin Ditfurth.

Die eigentlichen Aktivisten von Anonymous, die vielen bekannt sind als ein loser Zusammenschluss von Engagierten, die sich für Themen wie Internetfreiheit, Aufklärung über Scientology und Wikieleaks einsetzen, distanzierten sich unterdessen von “Anonymous.Kollektiv„, seit dort nationalistische, homophobe, antifeministische und antisemitische Propaganda verbreitet werden. Verwirrung herrscht also an vielen Stellen.

Die Redner auf den Demonstrationen sind Ken Jebsen, Jürgen Elsässer und Lars Mährholz.

  • Ken Jebsen ist ein ehemaliger Radiomacher beim RBB, der entlassen wurde, nachdem antisemitische Äußerungen von ihm bekannt geworden waren. [Update: In einer früheren Version dieses Artikels hatte es kurzzeitig geheißen, er sei “wegen„ antisemitischer Äußerungen entlassen worden. Mehr zu den Umständen seiner Entlassung hier im Wikipedia-Beitrag. –msc]
  • Jürgen Elsässer soll als Antisemit und Schwulenfeind in Erscheinung treten, so Jutta Ditfurth im Interview mit 3Sat. Nachzulesen sollen seine politischen und ideologischen Einstellungen in seinem Magazin „Compact“ sein, das übrigens auch auf den Montagsdemonstrationen verteilt werden soll. Auch in den Video-Postings, auf Anonymous, kann man Elsässers rechts gefärbte Einstellung nachhören. Elsässer sagt Dinge wie: „Mit Staatsknete wird Multikulti, Gender-Mainstreaming und die schwule Subkultur gefördert, während die Proleten auf Hartz IV gesetzt werden und sich oft auch keine Kita, kein Schwimmbad und keine warme Wohnung mehr leisten können. Muss man sich wundern, dass die Opfer dieser Politik diesen Betrügern ihre Stimme nicht mehr gegeben haben?“ Jüngst auf der Ostermontagsdemo in Berlin sprach er über die „Endlösung der Russenfrage“, die gerade in der Ukraine geplant werde.
  • Als dritter Redner tritt Lars Mährholz in die Öffentlichkeit. Und das auch als Hauptorganisator der Demonstrationen, vor allem in Berlin. Mährholz hat einen Youtube-Kanal mit mehr als 200.000 Abonnenten, in dem er sich über Israel auslässt. Die „tödliche Politik der Federal Reserve Bank“, der FED, der Notenbank der USA, sei für alle Kriege der letzten hundert Jahre verantwortlich. „Immer wenn über die USA geredet wird, denkt euch einfach die meinen die FED! Amerika bzw. das amerikanische Militär ist nur der Knüppel der FED!“ Die Fed lasse ihre Interessen militärisch durch die USA durchsetzen und „verdiene am Krieg und am Tod von anderen Menschen“, zum Beispiel im Irak und Libyen, sagte Mährholz gegenüber tagesschau.de.

Stefan Maas, Reporter beim Deutschlandfunk, analysiert:Wer die Federal Reserve Bank als Ausgangspunkt aller Kriege in den vergangen 100 Jahren nennt, der sehe die Juden als Ausgangspunkt allen Übels dieser Welt. Auf den Demos wird nach seinen Beobachtungen das falsche Bild der FED als Privatbank einer jüdischen Familie verbreitet. So bestätigt sich ein altbekanntes Feinbild für einige AFD- und NPD-Anhänger. Einige von ihnen sind auch auf den Demos als Zuhörer mit dabei und freuen sich über den Zulauf, heißt es etwa bei der taz.

Der Berliner Landesvorsitzende der NPD, Sebastian Schmidtke, hört am Potsdamer Platz in Berlin einer Rede auf einer Montagsdemo zu.
Der Berliner Landesvorsitzende der NPD, Sebastian Schmidtke, hört am Potsdamer Platz in Berlin einer Rede auf einer Montagsdemo zu.
Foto: dpa

Das sind antisemitische, tendenziös rechte Aussagen. Damit werden offizielle Friedensdemonstrationen unterwandert. Und das alles auf Kosten von ahnungslosen Bürgern, die sich offiziell für eine gerechtere und friedlichere Welt organisieren wollen?

Das scheint nur die eine Seite des Themas zu sein, das seinen Ursprung im Netz fand. Der Vorwurf, dass die öffentlich-rechtlichen Medien einseitig über den Konflikt in der Ukraine berichtet haben, lasse sich mittlerweile nicht mehr von der Hand weisen, meinen einige. Auch wenn es hier und da Blogs gibt, die das Thema kritisch und von anderen Perspektiven beleuchten. Und wo man Antworten auf viele offene Fragen finden kann.

Dennoch treibt die Unzufriedenheit der Bürger mit der Berichterstattung einige auf die Straße und zu medialen Plattformen, auf denen sie sich verstanden fühlen.

Im Magazin Zapp etwa spricht Friedbert Meurer von einer neuen Quantität und einer anderen Intensität der Kommentare. „Ich würde daraus schließen, dass in beträchtlichen Teilen der Bevölkerung eine andere Meinung gegenüber der Politik und gegenüber Russland vorherrscht, als das insgesamt und von den meisten Medien transportiert wird“, so der Ressortleiter beim Deutschlandfunk.

Und ein Politikwissenschaftler bestätigt: „Die deutschen Medien haben Partei ergriffen, und das merken die Bürger“, sagt Simon Weiß, von der Universität Heidelberg in einem Beitrag für das Medienmagazin Zapp. Und weiter: „Die Darstellungen in den Medien waren sehr stark von den gewohnten Mustern geprägt, Russland ist böse, Russland ist nicht zu trauen, sie wollen ihren Einfluss ausweiten.

Auch die langjährige ARD-Russland-Korrespondentin Gabriele Krone-Schmalz kritisiert ihre Kollegen in einem anderen Zapp-Beitrag wegen der ihrer Ansicht nach einseitigen Berichterstattung. Die Berichte entsprächen nicht vollständig den Tatsachen. „Wenn die ,Bild’ Vladimir Klitschko einen eigenen Reporter zur Seite stellt, dann entspricht das in keiner Weise dem Bild der Opposition in der Ukraine, dort ist er nur einer von Vielen.“

Uwe Krüger, Medienwissenschaftler an der Uni Leipzig, hat in einem Beitrag für den NDR eine Erklärung für das Phänomen. „Deutsche Journalisten sind im Westen sozialisiert und sehen die Kräfte aus dem ehemaligen gegnerischen Lager immer noch als ,böse` an.“ In der aktuellen Debatte um die Montagsdemonstrationen vermischten sich mittlerweile gut und böse. Wer ist was und wer steht für was, das ist nicht mehr klar zu erkennen. Vor allem, wenn man sich die Kommentare unter den Postings auf der Seite „Anonymous“ durchliest.

Mehr und mehr kristallisiert sich heraus: Die Facebook-Kampagne gegen die Medien war eine gesteuerte Aktion einer tendenziös rechten Gruppe. Als Friedensbewegung getarnt, freut sie sich über den Zulauf von immer mehr Aktivisten, die unzufrieden sind mit der bisherigen Berichterstattung.

Dass die etablierten Medien auch auf Druck der sozialen Medien über dieses Phänomen berichten und durchaus selbstkritisch aufklären, steht auf einem anderen Blatt.