Zwischen Bitter, Stout und IPA: Mit der „Bier“ zum Gerstengourmet

Der Blätterwald der Zeitschriften und Magazine ist tief und geheimnisvoll. In ihm verstecken sich unbekannte Welten, glitzernd, manchmal skurril, in jedem Fall spannend. Autoren unserer Zeitung durchforsten dieses Dickicht, das sich jenseits der allseits bekannten Publikumszeitschriften auftut – und stellen ihre interessantesten Funde in loser Folge vor.

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Von unserem Redakteur Tim Kosmetschke

Vorbei die Zeiten, in denen Bier im Gegensatz zu Wein vor allem eines war: unkompliziert. Denn wissende Genießer, die etwas auf sich halten, trinken heutzutage selbstverständlich nicht mehr einfach so das Pils, das es halt eben in ihrer Gegend oder Stammkneipe gibt. Sie schwören vielmehr auf in kleinen Handwerksbetrieben nach uralter Rezeptur aus edelsten Zutaten zusammengebraute Craft-Biere und auf exotische Sorten, bei denen man früher beim mutigen Selbstversuch in englischen Pubs bestenfalls das Gesicht verzog. Für diese Bier-Gourmets gibt es nun ein weiteres passendes Magazin. „Bier“ heißt es überraschungsfrei – und trägt den ebenso wenig gehaltvollen Untertitel „Weil‘s schmeckt“.

Bitte keinen Rummel – oder doch?

Interessanter Kniff: Schon im Vorwort geißeln die Macher sachte den „Rummel um neue Craft-Biere“ und distanzieren sich so von eben jenem Hype, auf dessen Welle das Heft eigentlich ja selbst schwimmt. Um dann gleich zu bekunden, dass sie sich „ja gern auf IPA, Stout, Bitter, Lager und so weiter“ einlassen. IPA? Was das wohl ist? Bier-Gourmets wissen es offenbar, denn eine Erklärung findet die „Bier“-Redaktion überflüssig.

Doch wozu allzu nüchtern und kleinlich sein: Auf den folgenden mehr als 160 Seiten machen die Redakteure jedenfalls ein stimmungsvolles und vor allem variantenreiches Magazin zu einem interessanten Zeitgeist-Thema mit vielen Facetten.

In der Hauptgeschichte des Heftes geht es um das 500. Jubiläum des Reinheitsgebots: Die Autoren machen geschickt eine Debatte um die Sinnhaftigkeit des Glaubensbekenntnisses deutscher Bierfreunde auf. In anderen Ländern werden nämlich längst interessante Biere jenseits von Bier, Hopfen, Malz, Hefe und Wasser gebraut. Ob sich das auf Dauer mit dem reinen deutschen Volksglauben vereinbaren lässt?

Das Porträt einer kleinen High-End-Brauerei irgendwo im Nirgendwo, die Geschichte einer Bier-Sommelière, Hintergründiges über Flaschenformen, Biersorten (darunter selbstverständlich IPA) und wirtschaftliche Verzweigungen am Biermarkt, dazu Texte über kultige Kneipen und kreative Bierwerbung (am Beispiel Astra), Nostalgisches und Persönliches rund um den Gerstensaft, Eindrücke aus aller Welt und natürlich aus der deutschen Provinz, dem Herzland des Bierkonsums und der Bierproduktion: Das hat alles Hand und Fuß und bereitet durchaus vollmundige Lesefreude. Dazwischen übrigens: Anzeigen vorrangig von den in der Szene eigentlich als fad geächteten „Fernsehbieren“.

Vom „Duft für Lustmolche“

Sprachlicher Höhepunkt: Starkoch Vincent Klink erzählt von einem Wiederbesuch des Münchner Hofbräuhauses und taucht voll sinnlich und einigermaßen saftig ein in diesen Weiheort der Biertrinkerei wie der Gemütlichkeit: „Ich stieß die riesigen Türen des Hofbräuhauses auf, und schlagartig zog mir ein wunderbares Wirtshausparfüm bis tief ins Hirn. Ein Duft für Lustmolche, der eigentlich unter Denkmalschutz gestellt werden sollte.“

Single Malt Whisky, Gin, Absinth und natürlich immer wieder Wein: Man kann aus jedem alkoholischen Getränk einen Genießerkult jenseits des Suffs machen. „Bier“ gelingt das dank guter Themenauswahl, ambitionierter Schreibe, effektvollen Fotos in einem eher biederen Layout gar nicht schlecht. Darauf sollte man mit einem IPA anstoßen, was echte Bier-Gourmets selbst nach vier Pints noch völlig unfallfrei als „India Pale Ale“ dechiffrieren können, ein helles, recht starkes Bier britischer Brauart. Und warum? „Weil’s schmeckt“, wie die „Bier“ vielleicht finden würde. Wohlsein!