Zagreb

Zagreb: Junge Frauen und ihr Hunger nach Mode

Im ältesten Hutladen von Zagreb, am Hauptplatz, gleich gegenüber der Modekette H&M, werden Hüte noch in filigraner Handarbeit gefertigt. Kunden kommen aus aller Welt und tragen die Hüte zum Beispiel zum Opernball in Wien. Der Laden zählt zum Weltkulturerbe.  Foto: Sarah Kern
Im ältesten Hutladen von Zagreb, am Hauptplatz, gleich gegenüber der Modekette H&M, werden Hüte noch in filigraner Handarbeit gefertigt. Kunden kommen aus aller Welt und tragen die Hüte zum Beispiel zum Opernball in Wien. Der Laden zählt zum Weltkulturerbe. Foto: Sarah Kern

Die großen, internationalen Modeketten machen sich nun auch in den kroatischen Innenstädten breit. Das, was für uns zum alltäglichen Stadtbild gehört, ist für Kroatinnen erst seit wenigen Jahren greifbar. Hier hat sich nicht nur das politische System verändert, sondern auch der Umgang mit der Mode.

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Von unserer Reporterin Sarah Kern

Anna wippt auf ihren schwarzen, spitzen Manolo Blahniks hin und her. Über ihre Wespentaille ist ein Blazer geknöpft, der großzügige Ausschnitt betont den Goldschmuck. In der rechten Hand schwingt Anna lasziv eine schwarze Clutch und ein iPhone. Mit der linken Hand streicht sie ihre perfekt blondierten lange Haare zurück und strahlt. Unentwegt.

Anna, Assistentin des Hoteldirektors des bekanntesten Zagreber Hotels, ist Ende 20 und führt Hotelgäste durch die Eingangshalle. Wenn sie lächelt, sind die Lichter der Kronleuchter gegen ihre gebleachten Zähne ein Witz. Den Zuhörern verschlägt es wegen ihrer Erscheinung – eine Mischung aus charismatischer Überfrau und zartem Modemädchen – erst einmal komplett die Sprache.

„Frauen wie Anna gibt es in Zagreb einige“, sagt Dora. Dora ist 35 Jahre alt. Ihre Haare sind kurz und lockig, sie ist ungeschminkt, trägt legere Jeans und Shirt und derbe Boots an den Füßen. Dora stammt aus einer alt eingesessenen Zagreber Ärztefamilie. Sie arbeitet als Dolmetscherin für die EU, spricht fließend Deutsch und Englisch. Nach dem Studium hat sie in Barcelona gelebt für ein Jahr, da will sie mit ihrem Mann jetzt auch wieder hin.

„Mode und Ästhetik spielte für Kroatinnen, speziell für die Hauptstädterinnen in Zagreb, schon immer eine besondere Rolle“, sagt sie. Die Nähe zu den modischen Italienerinnen einerseits und der lange Verzicht auf Konsum während der Zeit des Sozialismus andererseits habe die Frauen besonders geprägt und für Mode und alles Schöne sensibilisiert. „Wir haben nach Mode gedürstet. Nur wer es sich leisten konnte, der fuhr während der Zeit, als Jugoslawien noch sozialistisch war, ins italienische Triest, gleich hinter der kroatischen Grenze“, erklärt Dora.

Der jugoslawische Sozialismus sei durchlässiger gewesen als der in der DDR. Marken und Individualismus waren erlaubt – für die, die das Kapital dazu besaßen.

Szenenwechsel. Melas Lippen sind rot-orange geschminkt. Ihre Haare sind braun und sehr kurz. Schwarze, hüfthohe Jeans – „High waisted“ -, dazu flache, schwarze Schuhe und ein schlichtes, weißes Shirt. Sie führt als Kunstwissenschaftlerin eine Museumsgruppe durch das Zagreber Ivan Mestrovic Museum, das im pittoresken Teil der Oberstadt liegt, dem ältesten Teil Zagrebs.

Ihr Englisch ist beneidenswert fließend. „I love Börlin – Ich liebe Berlin, und ich lasse mich vom Anything-goes-Stil (alles ist erlaubt) der deutschen Hauptstädterinnen inspirieren“, sagt sie. „In Berlin ist es doch egal, ob du im Jogginganzug, ungeschminkt und mit lose zusammengebunden Haaren auf ein besonderes Event gehst oder im Abendkleid zum Bäcker – diese unbeschwerte Coolness fehlt den kroatischen Frauen noch. Sie wollen perfekt sein. Sie malen sich an, und sie kleiden sich sozial angepasst zu den entsprechenden Events.“

Das in Zagreb modisch Übertriebene, ihrer Meinung nach eine Mischung aus russischem Bling-Bling (ein Relikt aus der Zeit des Sozialismus) und dem neu erwachten Markenfetisch, gefällt ihr nicht. „Die superschlanken jungen Mädchen in den viel zu kurzen pinkfarbenen Kleidern und den Glitzerschühchen, die hier über das Kopfsteinpflaster stolpern, das alles ist doch total albern.“ Ihr orangefarbener Lippenstift ist übrigens aus dem dm, „von Max Factor“, verrät sie.

„Als die erste dm-Filiale in Za-greb eröffnete, das ist jetzt gut zehn Jahre her, war das für die Zagreber Frauen eine tolle Erfahrung“, erzählt dann Dora. Für die Menschen im ehemaligen Jugoslawien, die gerade einen schlimmen Krieg überlebt hatten, einige sogar den dritten Krieg innerhalb eines Jahrhunderts, und deren Land nun gespalten worden war, war die globalisierte Konsumgesellschaft ein Segen. Und am sogenannten Hauptplatz eröffnet gerade eine riesige Müller-Filiale.

„Bevor es den ersten H&M in Kroatien gab, in der Hauptstadt Zagreb, der wurde 2011 eröffnet, sind wir ins österreichische Graz gefahren“, erzählt Dora. Vier Stunden dauerte eine Fahrt. Und dann wieder vier Stunden zurück. In der kurzen Zwischenzeit habe man sich beim schwedischen Moderiesen für eine Saison eingekleidet. „Und weil die Zeit so knapp war, haben wir das Anprobieren auf den nächsten Tag verschoben, meine Schwestern und meine Mutter und ich, wir haben dann eine Modenschau zu Hause veranstaltet, das war ein Fest.“

Mittlerweile steht ein H&M mitten in Zagrebs malerischer Innenstadt. Ein Neubau. Und in den Außenbezirken in den gläsernen Shoppingmalls gibt es natürlich auch Filialen. Die Kleidung, die an den Puppen in den Schaufenstern präsentiert wird, ist die gleiche wie in Frankfurt, London und Paris.

Die Globalisierung hat auch Zagreb fest im Griff. Auch wenn die Shoppingmalls leerer sind, als wir es gewohnt sind. Denn 27 Prozent Mehrwertsteuer müssen die Kroaten auf Kleidung zahlen, 18 Prozent beträgt die Arbeitslosigkeit zurzeit. „Das ist ein Trend, der sich seit der Aufnahme Kroatiens in die EU seit dem 1. Juli 2013 verschärft hat“, meint Dora.

Gegenüber der glitzernden H&M-Filiale in der Innenstadt, aus der pulsierende Bässe schwappen und junge Menschen strömen, ist seit mehr als 200 Jahren ein kleiner, unscheinbarer Hutmacherladen in einem schmalen, schiefen Haus beheimatet: „Das Haus und den Laden haben die Vereinten Nationen zum Unesco-Weltkulturerbe ernannt“, berichtet Dolmetscherin Dora.

Hier wird seit vielen Generationen Filz zu Hüten verarbeitet. Von Hand und von Menschen, nicht von Maschinen. Traurig sei, dass er keinen Nachfolger für sein Geschäft finde, klagt Emil, der 77-jährige Besitzer: „Heute wollen alle Manager werden, keine Hutmacher.“

Unweit des H&Ms hat sich auch der spanische Moderiese Zara niedergelassen. Dora erzählt: „Zara kam erst vor einem Jahr nach Za-greb. Der Ansturm war so groß, dass die Zagreberinnen die Ware komplett leergekauft haben.“ Zara habe am nächsten Tag wieder schließen müssen, um auf neue Ware aus Spanien zu warten.

Die Manolo-Blahnik-Blondine Anna aus dem Hotel war bei dem Ansturm auf Zara dabei: „Da habe ich die Kette hier her. Wir hatten alle Hunger, Hunger nach Mode.“