Rheinland-Pfalz

Sinkende Scheidungszahlen: Wie eine Ehe hält, was sie verspricht

Mehr Wohnzimmer als Praxis: Paartherapeutin Birgit Jantzen lebt und arbeitet im Westerwald. Sie hilft Paaren, die eigene Beziehung zu analysieren und miteinander über ihre Gefühle zu sprechen. In Rheinland-Pfalz sinkt die Zahl der Ehescheidungen seit einigen Jahren. Doch sagt das etwas über die Qualität der Beziehungen aus?
Mehr Wohnzimmer als Praxis: Paartherapeutin Birgit Jantzen lebt und arbeitet im Westerwald. Sie hilft Paaren, die eigene Beziehung zu analysieren und miteinander über ihre Gefühle zu sprechen. In Rheinland-Pfalz sinkt die Zahl der Ehescheidungen seit einigen Jahren. Doch sagt das etwas über die Qualität der Beziehungen aus? Foto: Agatha Mazur

Die Zahl der Scheidungen in Rheinland-Pfalz geht zurück. Doch das bedeutet nicht, dass die Ehen automatisch harmonischer sind. Von einer Paartherapeutin und einem Soziologen möchten wir wissen, wo der Schlüssel für eine glückliche Beziehung liegt.

Lesezeit: 5 Minuten
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Von Agatha Mazur

So stellen sich vermutlich die wenigsten Leute ein Therapiezimmer vor: In warmem Orange gestrichen, hat es eher etwas von einem gemütlichen Wohnzimmer als von einer sterilen Praxis. Drei Rattansessel mit bunten Kissen laden zum Sitzen ein, ein Lavendelstrauch verbreitet seinen Duft. Birgit Jantzen redet nicht gern von Therapiezimmer. „Das klingt zu sehr nach Krankheit“, sagt sie. Jantzen ist Paar- und Sexualtherapeutin und hat ihre Praxis in Hillscheid im Westerwald. Die 52-Jährige ist gelernte Heilpraktikerin für Psychotherapie und hilft seit mehr als sechs Jahren Paaren, wieder zu sich selbst zu finden.

Scheidungsrate stark gefallen = Glücklichere Ehen?

2014 wurden in Rheinland-Pfalz 9022 Ehen geschieden. Gegenüber dem Vorjahr sind das 3,8 Prozent weniger. Im Vergleich zu 2003, in dem mit 11.567 Scheidungen der bisherige Höhepunkt erreicht wurde, reduzierte sich die Zahl um mehr als ein Fünftel (22 Prozent). So weit die gute Nachricht. Doch heißt das automatisch, dass die Ehen heute glücklicher sind?

„Das kann man so nicht sagen“, erklärt Jantzen. Heutzutage haben es Paare ihrer Meinung nach schwerer als früher. Beruf, Karriere und Familie miteinander zu verbinden, ist die große Herausforderung, vor der Paare heute stehen. Darüber hinaus hat sich das Bild von der Ehe gewandelt: „Früher war die Ehe oftmals eine Versorgungsgemeinschaft“, sagt Jantzen. Heute haben viele Paare eine romantische Vorstellung davon. Das sei prinzipiell gut, findet die Paartherapeutin, aber das führt zu vielen Erwartungen, die nicht erfüllt werden können.

Das bekräftigt Prof. Clemens Albrecht. Der Soziologe arbeitet seit 13 Jahren an der Hochschule Koblenz-Landau. „Gerade Frauen haben hohe emotionale Erwartungen an die Ehe“, betont er. Heutzutage wird ein hohes Maß an Liebe vorausgesetzt, Frauen erwarten viel Zuwendung von ihrem Partner. Bleibt das aus, sind sie unglücklich. Für diese These spricht, dass die meisten Scheidungen von Frauen eingereicht werden, sagt Al-brecht. Laut Statistischem Landesamt ist trotz insgesamt rückläufiger Scheidungszahlen die Trennungsbereitschaft insbesondere nach relativ kurzer Ehedauer weiterhin groß. Von den 2014 beendeten Ehen sind die meisten (493) erst im Jahr 2008 geschlossen worden. Doch auch die älteren sind nicht davor gefeit: 1476 Paare hatten bereits silberne Hochzeit gefeiert und sich dennoch zur Scheidung entschlossen.

Der Soziologe Clemens Albrecht weist darauf hin, dass es zwei Tendenzen gibt: Das Paar, das die Formel „Bis dass der Tod uns scheidet“ wörtlich nimmt und mit dem Partner bis zum Lebensende zusammenbleibt. Auf der anderen Seite gibt es Menschen, die sich mehrmals scheiden lassen und dann wieder neu heiraten. Hier differenziert die Statistik nicht: Scheidung ist Scheidung, egal die wievielte es ist.

So lange hielten Ehen noch nie

Da die Lebenserwartung steigt, hat es noch niemals in der Geschichte der Menschheit so viele Ehen gegeben, die bis zum Schluss halten, bekräftigt Albrecht. Aber über die redet man selten, stellt der 55-Jährige fest. „Bis dass der Tod euch scheidet ist ja fast schon eine Drohung“, sagt Albrecht schmunzelnd und weist darauf hin, dass eine durchschnittliche Ehe im 16. oder 17. Jahrhundert zwischen fünf und acht Jahren gedauert hat. Erst mit der höheren Lebenserwartung ab Mitte des 19. Jahrhunderts ist auch die Länge der Ehen deutlich gestiegen.

Doch was macht eine Ehe glücklich? „Eine schwierige Frage“, sagt Albrecht. Denn was ist Glück? Der Soziologe wirft die Frage auf, inwiefern Ehe eine „Institutionalisierungsform von Glück“ sein soll oder eher eine Kooperationsgemeinschaft, die beiden Partnern emotionale Stabilität geben und dem Aufziehen von Nachwuchs einen sicheren Rahmen bieten soll.

Doch es gibt durchaus eine Reihe von Merkmalen, die zwar keine Garantie für eine glückliche Ehe sind, aber statistisch gesehen die Chance erhöhen. Abgesehen von realistischen Erwartungen halten Beziehungen eher, in die man nicht allzu jung einsteigt. 20, 25 Jahre nennt Clemens Albrecht als Hausnummer, ab der Beziehungen konstanter werden. Auch wenn beide Partner aus Familien stammen, wo die Eltern immer noch zusammen sind, erhöht das die Chance auf eine eigene stabile Ehe. Gemeinsame Verantwortung schweißt zusammen, ob es für Kinder oder für einen gemeinsamen Betrieb ist. Wichtig ist auch eine „hohe Kommunikationsdichte“, wie der Soziologe der Uni Koblenz es formuliert, sprich die Bereitschaft, offen miteinander zu sprechen. Auch Freiräume, die man sich schafft, können einer Beziehung guttun.

Zweckbeziehungen

Für Birgit Jantzen ist der Weg zu einer harmonischen Beziehung, viel Zeit miteinander zu verbringen. Doch es geht um qualitativ hochwertige Zeit: „Viele Paare sind ein tolles Team und managen ihren Alltag prima – haben aber die Liebesbeziehung verloren. Man soll sich nicht nur über den Alltag austauschen, sondern erzählen, wie es einem geht und welche Sehnsüchte man hat.“

Doch was, wenn das alles nicht hilft? Wenn der Streit um die berühmte Kaffeetasse aus dem Ruder läuft und man plötzlich merkt, „dass das innere Band nicht mehr so stark ist wie früher“, wie Birgit Jantzen es ausdrückt? Dann kommt die Paartherapeutin ins Spiel. Die meisten Paare, die bei ihr Hilfe suchen, sind zwischen 40 und 60 Jahre alt. Die aufregende Anfangsphase mit den Schmetterlingen im Bauch ist vorbei, das tägliche Frühstücksritual ist zur Gewohnheit und die Sexualität träger geworden. Das ist eine kritische Phase, sagt Jantzen. Über die Jahre können sich Streit- und Kommunikationsmuster eingeschliffen haben. Das macht es schwer, das Ruder herumzureißen. Doch jüngere Paare, bei denen sich die Muster noch nicht festgesetzt haben, kommen eher selten zur Therapeutin. „Das finde ich schade“, sagt Birgit Jantzen. „Jüngere Paare tun sich schwer, Hilfe zu suchen. Die Hemmschwelle ist groß. Bei Frauen weniger, aber bei jungen Männern sehr.“ Generell bedauert Jantzen, dass Menschen viel Zeit und Mühe in die Ausbildung oder in die Finanzierung des eigenen Hauses investieren, nicht aber genauso viel in eine glückliche Paarbeziehung. Ihrer Meinung nach fällt einem eine erfüllte Beziehung nicht in den Schoß.

„Ein Funken Liebe ist immer noch da …“

Doch egal, wie aussichtslos ein Fall ist, Paartherapeutin Jantzen versucht immer zu helfen. Denn: „Ein Funken Liebe ist immer noch da, wenn man zu einer Therapie geht.“ Doch es ist nicht ihr Ziel, das Paar um jeden Preis zusammenzuhalten. „Es kann auch ein Erfolg sein, wenn beide sagen: Wir können kein Paar bleiben.“ So hat man die Gewissheit.

Soziologe Albrecht ist skeptisch, was den Erfolg von Paartherapien angeht. „Wenn man zur Therapie geht, ist es meistens schon zu spät“, ist sein Gefühl. Es seien ohnehin eher die kommunikationsfähigeren Menschen, häufig Akademiker, die sich zu einem solchen Schritt entschließen. Doch auch er glaubt: „Wenn das Paar will, kann es die eingeschliffenen Kommunikationsmuster überwinden.“

Angst, dass die Ehe als Institution ausstirbt, hat Clemens Albrecht nicht. Es gebe bislang keine andere ähnlich funktionierende Institution, die die Sozialisation von Kindern sicherstellt und Menschengruppen – letztendlich sind das Familien – stabilisiert. Der Soziologe ist sicher: Die Ehe entlastet und wirkt dem beruflichen Druck und Burn-out entgegen.