Schlaflos im Schlaflabor

Elektroden im Gesicht, Mikro am Hals, Bauch- und Brustgurt um den Körper – so verkabelt geht es im Schlaflabor ins Bett. Menschen, die Schlafstörungen haben, lassen sich hier untersuchen.
Elektroden im Gesicht, Mikro am Hals, Bauch- und Brustgurt um den Körper – so verkabelt geht es im Schlaflabor ins Bett. Menschen, die Schlafstörungen haben, lassen sich hier untersuchen. Foto: Rich Serra

Rund 10 Prozent der Deutschen leiden an Schlafstörungen. Einer von ihnen ist Jan Morawski. Er hat Albträume, die ihn auch nach dem Aufwachen nicht loslassen. Um herauszufinden, was mit ihm nicht stimmt, verbringt er eine Nacht im Schlaflabor.

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Knattern, Sägen, Gurgeln, lautes Atmen, das leise Rattern einer Kaffeemaschine. Es ist 1.19 Uhr im Krankenhaus. Der lange, hellgelb gestrichene Gang im zweiten Stock des Knappschaftskrankenhauses in Püttlingen liegt verlassen da. Einige Türen stehen offen, der Lichtschein der Deckenlampen lässt die Betten mit ihren Insassen nur erahnen. Schnarchen. Mal leise, mal lauter. Hier ein Grunzen, da ein Murmeln, Husten.

Die Tür des Zimmers mit der Nummer 234 ist geschlossen, kein Laut dringt heraus. In dem Raum daneben sitzt Yvonne Konrad vor einer Reihe von Computerbildschirmen. Auf vier von ihnen bewegen sich feine Linien auf weißem Hintergrund auf und ab. Auf einer großen Uhr an der Wand klettert der Sekundenzeiger lautstark das Ziffernblatt entlang.

Konrad rollt auf ihrem Stuhl immer wieder von einem Platz zum nächsten, beobachtet den Verlauf der eingespeisten Daten und macht sich Notizen. „Dreht sich“, schreibt sie auf ein Blatt, daneben die Uhrzeit. Kameras liefern Livebilder aus den Zimmern, die Nachtschwester sieht alles. Der Patient aus Zimmer 234 ist unruhig, hat sich halb aus der Bettdecke geschält. Konrad überprüft die Messwerte – EEG, EKG, Atmung, Mikro, Sauerstoffsättigung, Brust- und Beingurt – alles, wie es sein soll. Es ist eine Nacht wie jede andere im Schlaflabor.

Einige Stunden vorher: Jan Morawski (26) sitzt im Schlafanzug in seinem Bett und wartet darauf, dass er verkabelt wird. Der Reporter der „Saarbrücker Zeitung“ hat sich dazu entschlossen, eine Nacht im Schlaflabor zu verbringen – seit dem Nachmittag hat er verschiedenste Behandlungen über sich ergehen lassen. EKG, Blutgasanalyse und eine allgemeine Untersuchung. Jan Morawski gehört zu den rund 10 Prozent der Bevölkerung, die unter einer Schlafstörung leiden. Beim ausführlichen Vorgespräch muss er das Ausmaß seiner Probleme schildern. „Ich agiere meine Träume aus. Ich träume, wache auf und bin der Meinung, dass diese Dinge echt sind.“ Oberarzt Armin Orth runzelt die Stirn. Zwar kommen auch immer wieder mal Schlafwandler zu ihm ins Labor, dieser Fall klingt jedoch anders. Er hört seinem neuen Patienten geduldig zu, stellt Fragen und kritzelt die Antworten auf ein Blatt Papier. Das Phänomen besteht schon seit einigen Jahren, tritt manchmal mehrmals die Woche auf, auch häufiger in der Nacht. Meistens sind es bedrohliche Träume, die Morawski zu schaffen machen. „Mal dachte ich, die Wand würde auf mich stürzen. Da bin ich aufgesprungen und habe sie festgehalten.“ Orth tippt zunächst mal auf eine Aufwachstörung. Zu diesen Parasomnien (Schlafstörungen) gehören unter anderem das Schlafwandeln, die Schlaftrunkenheit und die Nachtangst (Pavor Nocturnus), die jedoch vor allem bei Kindern auftritt. Hierbei erwachen diese oft mit einem Schrei aus dem Schlaf, sind jedoch eine Zeit lang nicht ansprechbar. Um dem Rätsel um Morawskis nächtliche Probleme auf die Spur zu kommen, wird er die Nacht unter Beobachtung verbringen.

Was stimmt nicht mit mir? Jeder schüttelt den Kopf, wenn ich von meinen nächtlichen Aktionen erzähle. Es sind nur Träume, aber sie wirken so echt, dass ich die Realität nicht wahrnehme. Ich finde die Vorstellung fast peinlich, unter Beobachtung meinen Träumen ausgeliefert zu sein. Aber vielleicht hilft es ja. Vielleicht erfahre ich, warum ich so intensiv träume. Ich hoffe nur, dass die Verkabelung mich nicht daran hindert, einzuschlafen. Schon der Fragebogen vor mir auf dem Tisch macht mich nervös. Nur eins ist sicher: Heute ist keine gewöhnliche Nacht.

Der Blick auf sein Handy zeigt ihm, dass es kurz nach acht ist, als die Tür zu seinem Zimmer aufgeht und eine Schwester hereintritt. „Ich hoffe, Sie haben keine Gesichtscreme benutzt“, meint Carmen Graf und bittet den jungen Mann, sich auf einen Stuhl zu setzen. Er verneint, und die Krankenhausmitarbeiterin macht sich an die Arbeit. Mit geübten Handgriffen platziert sie die Elektroden auf Morawskis Brust und seinem Gesicht. „Keine Sorge, bei uns tut nichts weh“, erklärt sie und klebt die Kabel fest. Das Unangenehmste sei das Messgerät, das die Atemströme erfasst und dessen Fühler in die Nasenlöcher hereinragen. Auch ein Mikro wird am Hals befestigt, es soll nächtliches Sprechen oder Schnarchen dokumentieren. Ein Messgerät am Finger liefert dem Nachtdienst später Daten zur Sauerstoffsättigung. Und es geht noch weiter: Graf bindet ihm einen Bauch- und einen Brustgurt um – langsam sieht Morawski aus, als ob er eine Bombe am Körper tragen würde. Die Elektroden an den Beinen klebt Graf mit einer Paste fest. „Kann sein, dass Sie da morgen ein paar Haare weniger haben“, witzelt sie. Schließlich bekommt Morawski noch einen Strumpf über den Kopf gezogen, der vorn aufgeschnitten und unter dem Kopf zugebunden wird. Die Kabel schauen jetzt wie ein Bündel Gräser oben heraus – das Bild des Attentäters schwindet. Graf betrachtet ihr Werk. Sie nickt und begleitet Morawski zum Bett. Zum Test wird er nun schon mal eingestöpselt.

Die Mitarbeiterin des Schlaflabors geht ins Nachbarzimmer und setzt sich vor den Kontrollschirm, auf dem das Bild des jungen Mannes zu sehen ist, wie er auf dem Rücken liegend auf Anweisungen wartet. Über eine Sprechanlage liefert Graf ihm diese sogleich: „Bitte fünfmal nach rechts schauen, fünfmal nach links, rechtes Bein anziehen … das ist jetzt die Gymnastik“, sagt sie. Alle Elektroden und Messgeräte liefern die erforderlichen Daten, und Morawski darf sich erst mal entspannen. Sofern das mit all den Kabeln am Körper geht. Bis er schlafen gehen will, kann er lesen, fernsehen, Musik hören – was er mag. Hauptsache, es macht müde.

Vom Gefühl her sind die Elektroden an meinem Kopf und in meinem Gesicht nicht sonderlich störend, ich merke sie kaum. Auch die elastischen Gurte hindern mich nicht am Bewegen. Trotzdem fühle ich mich fast sogar krank, obwohl ich es nicht bin. Überall muss ich die aufgerollten Kabel mitschleppen. Nichts darf ich mehr allein machen, sobald das Licht gelöscht ist und die Aufnahme läuft. Will ich auf die Toilette, muss ich den roten Knopf drücken und die Schwester rufen. Trotzdem. Jetzt, nach der Verkabelung, habe ich das Gefühl, dass ich auch mit dem ganzen Equipment am Körper gut einschlafen kann.

Am Nachmittag noch wurde Morawskis Tagesmüdigkeit mit einer Pupillografie getestet. Zwölf Minuten saß er im Dunkeln und blickte durch ein Gestell einem roten Punkt entgegen. Wenn die Pupille ihre Größe behält, ist der Untersuchte wach, verändert sie sich, ist das ein Anzeichen für erhöhte Müdigkeit. Was auch bei Morawski der Fall war. Doch damit ist er nicht allein – viele Menschen leiden heutzutage an schlechtem Schlaf, wodurch sie auch tagsüber müde werden. Krankheiten, Stress, falsche Ernährung, Lärm und ein schlechtes Schlafumfeld können Ursachen dafür sein. Die Schlafforschung ist eine sehr junge Disziplin – die wissenschaftliche Auseinandersetzung begann erst in den 70er-Jahren in größerem Maße. Seitdem wurden zahlreiche Zusammenhänge zwischen Schlafstörungen und anderen Erkrankungen festgestellt. So hat sich unter anderem gezeigt, dass sich die Behandlung von nächtlichen Atemstillständen (Schlafapnoe-Syndrom) positiv auf das Herz-Kreislauf-System der Patienten auswirkt. Schlafapnoe tritt häufig bei übergewichtigen Menschen auf – dieser Personenkreis ist in den vergangenen Jahren immer größer geworden. Und damit auch die Arbeit für die Schlaflabore. Auch Menschen mit einer Schlafkrankheit (Narkolepsie) gehören zu den Besuchern, machen jedoch, ebenso wie die Schlafwandler, nur einen kleinen Teil aus.

Die Uhr an der Decke des Flurs im zweiten Stock zeigt 22.14 Uhr, als Morawski den Knopf drückt, der ein Bimmeln im Schlaflabor verursacht. Yvonne Konrad hat ihre Kollegin abgelöst und schließt nun alle Kabel an, sodass sie Daten an den PC im Nachbarraum senden. Sie wünscht „Gute Nacht“, löscht das Licht und schließt die Tür.

Normalerweise schlafe ich auf dem Rücken. Das erscheint mir auch wegen der Kabel, die von meinem Kopf über meine Brust gelegt sind, die beste Variante. Müde bin ich nicht wirklich, eher ein bisschen aufgeregt. Durch den dünnen Lichtschein unter der Tür zum Flur kann ich die Infrarotkamera und das Mikrofon im Zimmer nur leicht erkennen. Das rote Licht vom Messgerät zur Sauerstoffsättigung, das an meinem linken Zeigefinger befestigt ist, tanzt vor meinen Augen hin und her. Der Gedanke, dass ich beobachtet werde, stört mich nicht.

Auf der anderen Seite der Wand blickt Konrad auf die Messwerte, die auf dem Bildschirm entlangjagen. Aus wild durcheinanderwirbelnden Linien sind rhythmische Berg-Tal-Fahrten geworden, ein roter, senkrechter Balken bewegt sich stetig von rechts nach links und markiert den aktuellen Stand. Zuoberst laufen die Daten der EEG-Elektroden ein, danach die der Elektroden neben den Augen. An diesen vier Reihen kann Konrad erkennen, in welcher Schlafphase der Patient sich befindet. Das Elektroenzephalogramm (EEG) misst die elektrischen Aktivitäten des Gehirns, womit auch die unterschiedlichen Phasen und Qualitäten des Schlafs nachgewiesen werden können. Heutzutage geht die Forschung davon aus, dass es zwei verschiedene Arten von Schlaf gibt: den Non-REM-Schlaf und den REM-Schlaf. REM ist die Abkürzung für Rapid-Eye-Movement, auf deutsch: Schnelle-Augen-Bewegungen. Der Begriff resultiert aus der Beobachtung rascher Augenbewegungen während dieses Schlafstadiums. Von Schlafforschern wird vermutet, dass das daran liegt, dass die Augen schnell wechselnden Traumbildern folgen, denn während dieser Phase wird meist sehr lebhaft geträumt. Er ist damit der aktivste Teil des Schlafs. Im REM-Schlaf ist der Mensch weitestgehend bewegungsunfähig, meist steigen der Blutdruck sowie Herz- und Atemfrequenz an. Ein gesunder Erwachsener verbringt circa 25 Prozent des Nachtschlafs in diesem Stadium.

Der Rest der Nacht gehört dem Non-REM-Schlaf, der in vier verschiedene Phasen unterteilt werden kann: Einschlafstadium, Leichtschlaf, mitteltiefer Schlaf und Tiefschlaf. Die verschiedenen Phasen wechseln sich im Lauf der Nacht immer wieder ab, wobei ein Zyklus zwischen 60 und 90 Minuten dauert. Zum Tiefschlaf kommt es vor allem in den ersten Stunden. Für jede Phase gibt es charakteristische Bilder beim EEG.

Bei Morawski hat sich das Hirnstrombild verändert. Es erscheinen höhere Ausschläge, die von sporadisch auftretenden, raschen Wellen überlagert werden. „Das nennt man Schlafspindeln – die weisen auf das Schlafstadium 2 hin“, erklärt die Arzthelferin. Nach einigen Minuten tritt noch ein weiteres Indiz dafür auf, dass der junge Mann in Zimmer 234 im Leichtschlafstadium angekommen ist: Im Kurvenbild sind vereinzelte, hohe und langsame Ausschläge zu sehen, die K-Komplexe genannt werden.

Die Nacht schreitet voran, die technischen Geräte im Raum geben ein kontinuierliches Brummen von sich. Hin und wieder muss Konrad bei einem der vier Schlaflabor-Patienten eine der Elektroden neu befestigen, oder die Notrufklingel, die für die ganze neurologische Abteilung gilt, lässt sie auffahren. Den Monitor mit den Daten von Jan Morawski verfolgt sie mit besonderem Interesse: „Wir hatten zwar schon Schlafwandler hier, aber bei mir ist noch keiner aufgestanden“, erzählt sie. Die Anzeige rechts unten am Bildschirm zeigt 23.32 Uhr, als die Augenmuskeln für ein interessantes Muster sorgen. Auf dem Videobild sieht Konrad, wie Morawski sich bewegt. Ist er wach, oder träumt er? Sicher ist sie sich nicht. Plötzlich streckt er einen Fuß aus dem Bett, es sieht aus, als würde er nach etwas tasten. Er ist schon halb aus dem Bett heraus, als Konrad eingreift und in sein Zimmer geht. „Ich muss ihn ins Bett zurückbringen, damit er nicht alle Kabel herausreißt oder sich weh tut.“ Die potenzielle Eigengefährdung ist bei Schlafwandlern das größte Problem.

Die beiden Männer in dunklen Jacken haben mich bis in die Gasse verfolgt. Ich will mich verstecken, taste mit den Händen an den nasskalten Steinen entlang. Dann sehe ich einen Schatten um die Ecke gleiten. Und jetzt nur noch das rote Licht. Es hilft mir, zu begreifen, was real ist. Krankenbett, Schlaflabor. Mein Puls schlägt bis zum Hals. Die Kabel stören, der Sensor für die Nasenatmung, der halb in meinen Nasenlöchern steckt, juckt. Als ich mich aufsetze, fällt das Kabelbündel auf den Boden neben das Bett. Ich versuche, mit dem Fuß die Temperatur der Heizung zu erfühlen, da geht die Tür auf. „Ab zurück ins Bett“, sagt die Nachtschwester. Sie verstaut meine Kabel unter dem Brustgurt und deckt mich zu. Wie ein kleines Kind, denke ich. Dann macht sie die Heizung aus und öffnet ein Fenster. Doch an Einschlafen kann ich jetzt erst mal nicht denken.

Wenige Minuten später ist wieder Stille in Zimmer 234 eingekehrt. Das Mikro nimmt nur das Rascheln der Bettdecke auf – Morawski dreht und wendet sich, bis er schließlich eine Position gefunden hat, in der er nach und nach in den Schlaf gleiten kann. Die Schlafspindeln tauchen wieder auf und hin und wieder auch ein K-Komplex, die Sauerstoffsättigung geht bis auf 92 Prozent zurück. Die EEG-Wellen werden immer höher und langsamer, sogenannte Delta-Wellen stellen sich ein, der Muskeltonus und die Herzfrequenz nehmen ab.

Jan schläft. Auch der Rest der Nacht bleibt für Konrad Routine: Messungen kontrollieren, Notizen machen, Elektroden befestigen. Um kurz nach fünf macht sie sich bereit, um ihre Patienten zu wecken. Normalerweise übernimmt das die Frühschicht, doch samstags fällt die aus, und die Uhren ticken anders.

Eine Minute, bevor die Nachtschwester mich wecken will, wache ich auf. Habe ich überhaupt geschlafen? Meine Augenlider sind schwer. Mühsam beobachte ich die Schwester, wie sie mit flinken Fingern meine Elektroden löst. Dass dabei ein paar Haare verloren gehen, stört mich nicht. Ich könnte noch liegen bleiben, im Krankenhaus frühstücken. Aber ich will raus aus diesem Bett. Ruppig ziehe ich die Hose über die Elektrodenpaste an den Beinen und fülle den Fragebogen für den Morgen aus. „War der Schlaf erholsam?“ Eher nicht. Ich knülle meinen Schlafanzug in den Rucksack und verlasse den Raum. Die kalte Luft auf dem Parkplatz des Krankenhauses ist angenehm, der Himmel ist noch schwarz, aber einzelne Fenster sind schon beleuchtet. Eine dünne Eisschicht hat sich auf den Scheiben meines Autos gebildet. Die Digitaluhr im Fahrerraum zeigt 6.12 Uhr, als ich den Schlüssel ins Zündschloss stecke. Ich freue mich auf mein eigenes Bett, ohne den Zwang, unbedingt schlafen zu müssen.

Einige Tage später liegen die Ergebnisse der Überwachung vor. Bei der Auswertung der Daten konnten die Mitarbeiter des Schlaflabors keine Besonderheiten bei Morawski feststellen. Der Oberarzt tippt auf eine REM-Schlaf Verhaltensstörung und heftige Albträumen. Er empfiehlt dem jungen Mann, ein Schlaftagebuch zu führen und Entspannungstechniken zu erlernen. Stress am Tag kann in Stress in der Nacht enden – auch ohne Verkabelung.

CHRISTINA NOVER

Informationen zum Thema unter anderem unter www.schlafgestoert.de