Paris

Kann ein Kindheitsidol einfach verschwinden? Winnetou wird niemals sterben!

Warum nimmt es uns so mit, wenn unsere Kindheitsidole sterben? Die Figuren, die auf Postern an den Kinderzimmerwänden und an Schränken hingen. Die Figuren, die wir in Filmen und Büchern bewunderten, weil sie uns im tiefsten Inneren berührten. Sie waren so, wie wir gern sein wollten: Stark und kraftvoll, kreativ – und unerschütterlich im Kampf für das Gute. Ja, sie waren Figuren der Fantasie – aber das war uns egal. In ihrer Nähe fühlten wir uns trotzdem wohl.

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dpa

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Michael Defrancesco nimmt Abschied von Pierre Brice, dem einzig wahren 
Winnetou und Häuptling der 
Apachen.

Und jetzt sterben sie. Dürfen sie das? Uns allein lassen?

Nein, ruft das Kind, das immer noch in jedem Erwachsenen lebt. Nein!

Ja, natürlich, sagt der Erwachsene und blickt das Kind in sich liebevoll und auch ein wenig kopfschüttelnd an. Du weißt doch, Kind, dass Winnetou nicht echt ist. Es niemals war! Dass er gespielt wurde von einem Franzosen, Pierre Louis Baron de Bris war sein Name. Du kanntest ihn besser als Pierre Brice. Ein Schauspieler. Ein Mann, der 86 Jahre alt war. Und in diesem gesegneten Alter darf man selbstverständlich sterben.

Aber das Kind wehrt sich und blickt mit tränennassen Augen auf: Aber Winnetou ist doch schon mal gestorben. Damals, in den Armen seines Blutsbruders Old Shatterhand. Nachdem dieser Schurke namens Rollins ihn erschossen hatte. Und es gab danach so viele Proteste von Fans, dass Horst Wendlandt, der Produzent der „Winnetou“-Filme, flugs neue Filme mit Pierre Brice und Lex Barker drehen ließ. Winnetou durfte nicht sterben. Lebte einfach weiter, war wieder da und erlebte als Häuptling der Apachen neue Abenteuer.

Der Erwachsene muss lächeln. Aber schau, sagt er dem Kind, Pierre Brice war nicht nur Winnetou. Dieser begnadete Schauspieler spielte im Lauf seines Lebens auch noch in anderen Filmen mit. Er spielte sogar Theater. Gut, manchmal auch in recht schlechten Stücken. Der Erwachsene muss jetzt laut lachen. Erinnerst du dich an das Jahr 1999? Damals haben wir Pierre Brice sogar getroffen, als er in Ransbach-Baumbach im Westerwaldkreis auftrat. „Der Fünf-Sterne-Mann“ hieß das Stück, und ich habe vernichtend in dieser Zeitung geschrieben: „Eine simpel gestrickte Story, die hauptsächlich von ihrem Hauptdarsteller lebte, der sich allerdings vorwiegend selbst spielte. Auf der Bühne stand nie ein Richard, sondern immer der Pierre, der sich durch die parfümig-schwülstige Atmosphäre des Stückes charmierte.“

Jetzt muss auch das Kind lachen. Da warst du aber nicht nett mit unserem Kindheitsidol, sagt es und knufft den Erwachsenen. Aber wenn es doch wirklich so war, entgegnet der Erwachsene. Nicht alles war von Erfolg gekrönt, was Pierre Brice anfasste. Und was ihn selbst immer wieder verwunderte: Warum die Deutschen ihn so liebten. Denn vor allen Dingen in Deutschland war er bekannt. Und er war richtig sauer, als seinerzeit ein Mann wie Michael Bully Herbig eine Parodie auf Winnetou drehte, „Der Schuh des Manitu“. In „Wetten, dass ..?“ kam es zum großen Aufeinandertreffen, und der echte Winnetou war alles andere als erfreut, seine Parodie zu treffen.

Und – fährt der Erwachsene fort – weißt du, dass Winnetou und der Mörder seiner Familie, Santer, die besten Freunde waren? Also Pierre Brice und Mario Adorf. Die beiden freundeten sich beim Dreh zu „Winnetou I“ so sehr an, dass ihre Beziehung bis ins hohe Alter hielt. Ein ganzes Leben lang.

So wie bei mir, nickt das Kind. Auch mich hat Winnetou ein ganzes Leben lang als Freund begleitet. Und jetzt? Wie soll es jetzt weitergehen?

Der Erwachsene lächelt verständnisvoll. Die Erinnerung bleibt dir, die Filme bleiben auch, sagt er. Und: Pierre Brice durfte seinen echten Tod ebenfalls in den Armen eines geliebten Menschen erleben. Er starb in den Armen seiner Frau Hella. Das Kind nickt langsam. Das freut mich für ihn, sagt es leise. Sehr sogar.