Herr Urlaub ist verreist: Interview mit dem Frontmann der Ärzte

Farin Urlaub hat einen Bildband gemacht. Er ist vergangenes Jahr vier Monate lang durch Australien und Osttimor gereist – und will uns im Interview davon erzählen.

Lesezeit: 11 Minuten
Anzeige

Der Frontmann der Punkband Die Ärzte war mit seiner Kamera unterwegs in Australien und Osttimor. Herausgekommen ist ein Bildband.

Heimweh kennt Farin Urlaub nicht – Fernweh hat er dagegen immer. Am liebsten ist der 47-Jährige ständig unterwegs.

Romantik an der Küste Osttimors: Hier schaukeln die kleinen Schifferboote vor dem Strand auf den Wellen.

Farin Urlaub

Der Ayers Rock, fotografiert von „dem Spot für Sonnenaufgangsfotos“. Zusammen mit 40 Touristen stand Farin Urlaub dort.

Gras, ein paar Büsche und einzelne Eukalyptus-Bäume – so beschreibt Farin Urlaub in seinem Buch die Landschaft rechts und links der australischen Great Central Road. „Dazu kommen noch jede Menge Autowracks; ich zählte im Schnitt sechs auf zehn Kilometer.“

Farin Urlaub

Wir sollen ihn in einem Hotel in München erreichen und haben zuerst die Rezeptionistin am Apparat. Die bittet um einen Augenblick Geduld. Warteschleifenmusik.

Hallo.

Hallo, sind Sie es schon, Herr Urlaub?

Ja, in der Tat, ich bin's! Ich bin zwar total wichtig, aber sieben Leute wollte ich dann doch nicht vorschalten, bis Sie bei mir in der Leitung landen. (lacht) Eine Dame reicht.

Wir erreichen Sie ja gerade im Hotel. Als Musiker sind Sie auch schon so viel unterwegs, solo und mit den Ärzten. Jetzt reisen Sie in Ihrer Freizeit auch noch für einen Bildband um die Welt. Wollen Sie denn nicht einfach mal zu Hause bleiben?

Nee, warum? Was soll ich da?

Ist Ihnen langweilig, wenn Sie daheim sind?

Na sagen wir’s so: Es gibt viele Leute, die finden ihr Glück in der Sesshaftigkeit. Ich gehöre nicht dazu.

Sie kennen dann auch nicht das Gefühl von Heimweh?

Um Himmels Willen!

Fernweh?

Ja genau!

Und wie äußert sich das bei Ihnen?

Na, dass ich, wenn ich Zeit habe, mich sofort ins Auto, in den Flieger, aufs Motorrad, aufs Fahrrad, auf was auch immer setze und abhaue.

Wie wichtig ist Ihnen dann das eigene Bett?

Ist völlig unerheblich.

Sie können überall gut schlafen?

Na, überall nicht. In Hängematten, das mach ich mittlerweile nicht mehr so gern. Das konnte ich mal, aber ich bin ja jetzt auch schon nicht mehr der Jüngste, und das ist unbequem. Aber so auf Stein geht noch.

Das soll bequemer sein als eine Hängematte?

Na ja, ne Hängematte ist so rund, gekrümmt. Und da wach ich morgens auf, und dann geh ich erst mal so bis mittags etwa gekrümmt, das macht keinen Spaß. Auf einem Stein, wenn der gerade ist und flach, geht das besser.

Welche Spuren hat die Reise durch Australien und Osttimor hinterlassen?

Das war sehr entspannt. In Australien hatte ich über weite Strecken mein eigenes Auto dabei. Da ist sogar ein Dachzelt drin, und das ist ganz luxuriös und bequem mit einer fast drei Zentimeter dicken Matratze. Und in Osttimor gibt’s tatsächlich auch Hotels. Das sind jetzt nicht so Hotels wie das, in dem ich hier gerade stehe. Das sind schon eher … ja, wie würde man das bei uns nennen … Pension, Jugendherberge. Also eher basic. Es gibt halt ein Bett, es gibt meistens eine Toilette und manchmal sogar fließendes Wasser. Und es gibt immer etwas zu essen, und das ist total angenehm.

Was muss denn auf jeden Fall da sein, damit Sie sich wohlfühlen?

Ähm … (überlegt) Na ja … (überlegt weiter). Eine Decke wäre schon nett. (lacht)

Ansonsten kommen Sie so klar?

Ja.

Haben Sie Reiseführer gelesen, bevor Sie losgefahren sind?

Nee! (lacht) Über Osttimor gibt es auch gar keine Reiseführer. Zumindest als ich in Australien war, gab es keinen einzigen. Und das war auch gut so. So hatte ich überhaupt gar keine Erwartungen und konnte völlig unvoreingenommen da hinfahren.

Romantik an der Küste Osttimors: Hier schaukeln die kleinen Schifferboote vor dem Strand auf den Wellen.
Romantik an der Küste Osttimors: Hier schaukeln die kleinen Schifferboote vor dem Strand auf den Wellen.
Foto: Farin Urlaub
Aber gewisse Vorstellungen hat man doch …

Also ein paar Klischees wurden natürlich erfüllt. Was in Australien aber dann ganz anders war, als ich dachte – also eher traurig -, war das Verhältnis zwischen Aborigines und den anderen Einwohnern Australiens. Und wo ich auch ein bisschen enttäuscht war, war der Zustand einer Strecke, der Great Central Road, die ich mir als wirklich echte, schwierige Abenteuerpiste vorgestellt hatte. Es war eine extrem gepflegte Schotterpiste mit Tankstellen und Werkstätten und Campingplätzen auf dem Weg, wo ich so dachte: „Das ist doch aber nicht das große Abenteuer, weswegen ich mir jetzt erstmals in meinem Leben ein Satellitentelefon gekauft habe!“ Aber es war leider so.

Hat es trotzdem Spaß gemacht?

Hat total Spaß gemacht! Vor allem hab ich dann später noch Offroad-Pisten gefunden, in Nordaustralien. Also da sind mir die Plomben wirklich schön rausgefallen, so hart waren die. (lacht) Das war dann wieder lustig, das hat Spaß gemacht. Da war ich in meinem Element – und der Wagen erst recht.

Dann lassen Sie uns doch einmal blättern in Ihrem Bildband. Australien, da erwartet man ja jetzt Koalas, Kängurus, das Great Barrier Reef …

Nee, nicht bei mir! (lacht) Obwohl Kängurus – es gibt zwei Fotos, auf denen Kängurus abgebildet sind. Also ich muss eins ganz klar sagen: Das ist ein extrem subjektiver Reisebericht. Es ist kein Bildband, der vorgibt, das ganze Land komplett zu zeigen oder abzubilden. Das ist einfach nur die völlig subjektive Dokumentation einer wunderschönen Reise, die ich gemacht habe. Jetzt ist wahrscheinlich Ihre nächste Frage: Wen interessiert so was? Und da kann ich Ihnen nur die ehrliche Antwort geben: Ich hab keine Ahnung. (lacht)

Ach, wir gucken mal. (wir blättern im Bildband) Hier gibt es ein Bild von einem Geländewagen. Ist das Ihrer mit dem Dachzelt?

Richtig, genau.

Da steht Känguru vorn auf dem Nummernschild …

Ja, ich mag das nicht … also es gibt ja immer so Neunmalkluge, die anhand des Nummernschildes versuchen rauszufinden, wo ich wohne und dann vor der Tür stehen und Liebesbriefe … das brauch ich alles nicht. Sorry. Deswegen steht Känguru vorne drauf. Das war einfach so aus Spaß. Ich hab bei der Bildbearbeitung da gesessen und gedacht, ich muss ja das Nummernschild noch rauspixeln. Und da hab ich gesagt: „Ah nee, dann schreib ich einfach Känguru da rein.“ Das ist einfach nur ein blöder Witz. Tut mir leid.

Normalerweise geben ja auch nur Frauen ihren Autos Namen.

(lacht) Nein, nein, das ist nicht der Name fürs Auto. Um Himmels Willen! Mein Auto hat keinen Namen. Ich wollte halt nicht einfach nur xxx hinschreiben, sondern dachte: „So, dann schreibste jetzt Känguru.“ Ich wusste aber gar nicht, dass das so groß abgedruckt wird, dass man’s erkennen kann. Ich dachte, das ist eher für die Mikroskop-Fetischisten. So um die zu ärgern. Verdammt. (lacht)

(wir blättern weiter)

Es gibt ja ganz viele Panorama-Aufnahmen in dem Buch. Dann auch wieder Nahaufnahmen – wie viele Kameras haben Sie mit sich herumgeschleppt?

Drei Kameras. Insgesamt 30 Kilo Kamera-Equipment auf dem Rücken, zum Teil auch auf die Berge rauf. Einmal war’s recht hart, da musste ich wirklich zwei Kameras nacheinander hochtragen, weil’s einfach wirklich zu schwer war. Und bei 45 Grad einen nackten Felsen hochzuklettern, das ist gar nicht so einfach – also zumindest nicht für mich. Das alles soll mir erst mal einer nachmachen! Aua, aua!

Leidet der Rücken da mehr als in einer Hängematte?

Ja! (lacht lauthals) Aber wenigstens nur kurz und nicht die ganze Nacht.

Wie sind Sie denn eigentlich zum Fotografieren gekommen?

Hmm. Ich habe das Glück und das große Privileg, sehr viel reisen zu können. Und ich kam schon recht früh in Gegenden, wo nicht alle meine Freunde sofort gegähnt haben, so: „Oh ja, war ich auch schon.“ Sondern eher so: „Boah, erzähl mal, wie ist es denn da?“ Und dann hab ich erzählt, und irgendwann dachte ich mir: Wenn ich schon immer erzähle, kann ich auch mal als Gedächtnisstütze ein paar Fotos machen. Die waren am Anfang so schlecht! Das ging dann folgendermaßen: Ich hab einen grünen Fleck gezeigt und gesagt: „Und hier war jetzt dieser wilde Dschungel.“ Und alle so: „Aha. Ja, klar, wilder Dschungel.“ Und ich dann: „Nein, hier musste dir jetzt vorstellen …“ Und ich habe mich gefragt: „Warum sieht man das nicht? Es gibt doch andere Fotografen, die das können.“ Und meine Schwester, die was davon versteht, hat mich dann beiseite genommen und meinte: „Kauf dir doch mal ne richtige Kamera.“ Ich so: „Wie?! Die hat immerhin 20 Mark gekostet!“ „Nein, da gibt’s noch bessere.“ Und so kam das dann langsam. Und mittlerweile bin ich ein totaler Equipment-Fetischist und habe eine Kameraausrüstung, bei der selbst Profis feuchte Augen kriegen.

Sie haben ja mal großspurig behauptet, Sie wollen alle Länder der Welt bereisen …

117 hab ich schon! Und jetzt fehlen noch … nach meiner Rechnung … also es ist ja gerade erst ein neues Land dazugekommen: der Südsudan. Ich benutze nicht die UN-Rechnung, da gibt’s eine noch etwas großzügigere. Also die UN zählt gerade glaube ich 196 Länder, nach der Rechnung die ich bevorzuge, sind wir bei so irgendwas um 230. Das heißt also, ich bin knapp über die Hälfte!

Haben Sie mal ausgerechnet, wie lange Sie dafür brauchen? Also wenn Sie jetzt pro Jahr so zwei Länder …

Das mache ich ja nicht, das ist ja das Blöde. Also ich reise ja nicht so, dass ich sage: „So, hier war ich jetzt, jetzt muss ich nie wieder hierhin.“ Sondern im Gegenteil. Länder, die mir gefallen, bereise ich dann richtig häufig.

Gras, ein paar Büsche und einzelne Eukalyptus-Bäume – so beschreibt Farin Urlaub in seinem Buch die Landschaft rechts und links der australischen Great Central Road. „Dazu kommen noch jede Menge Autowracks; ich zählte im Schnitt sechs auf zehn Kilometer.“
Gras, ein paar Büsche und einzelne Eukalyptus-Bäume – so beschreibt Farin Urlaub in seinem Buch die Landschaft rechts und links der australischen Great Central Road. „Dazu kommen noch jede Menge Autowracks; ich zählte im Schnitt sechs auf zehn Kilometer.“
Foto: Farin Urlaub
Das macht’s kompliziert.

Das macht’s kompliziert. Ich mach’s ja nicht aus sportlichen Gründen, dass ich sage: „So, Erster! (lacht) Ich hab sie alle inklusive Nord- und Südpol.“ Sondern ich mach das ja wirklich aus Interesse und weil mir das alles so gefällt und weil ich die Welt so spannend finde. Und dementsprechend langsam geht das voran. Aber für die nächsten drei Jahre habe ich mir zumindest schon einige Reisen vorgenommen, wo vielleicht noch ein paar Länder dazukommen könnten.

Lassen Sie uns doch mal weiter in Ihrem Buch blättern. (wir blättern weiter im Bildband) Hier. Hier haben Sie geschrieben, dass die Strecke so langweilig war, dass sie Autowracks gezählt haben …

(lacht lauthals) Das war die besagte Straße, von der ich mir so viel erhofft hatte. Toll war sie schon, aber … Also ich will jetzt nicht großspurig klingen, aber ich bin halt gerade in Afrika und zum Teil in Indien schon über Pisten gefahren, wo man keine Sekunde den Blick abwenden konnte, weil man sonst einfach gestorben wäre, so kompliziert war das. Das jetzt war so, ja, wie eine etwas schlechtere Autobahn. Breit, gepflegt, gerade. Dann ist das halt … na ja, dann fährt man halt.

(wir blättern weiter)

Ah und hier ist ja doch etwas typisch Touristisches in Ihrem Buch: der berühmte Felsen Ayers Rock!

Der lag sowieso auf dem Weg. Also die Great Central Road führt halt dran vorbei, da beißt die Maus keinen Faden ab. Und dann hab ich mir gedacht: „Na ja, wenn ich schon mal hier bin“ – in meiner absoluten Arroganz (lacht) – „dann guck ich ihn mir halt an.“ Und dann war ich doch fasziniert. Also richtig fasziniert. So fasziniert, dass ich fünf Tage da geblieben bin, weil ich dachte so: „Wow!“ Und weil das Wetter schlecht war und weil ich keine guten Fotos machen konnte anfangs. (lacht) Man muss, wenn man die Fotos hinterher veröffentlichen will, übrigens einen elfseitigen Vertrag unterschrieben, wo unter anderem drinsteht, was man alles nicht darf – das sind so die ersten zehn Seiten -, und dann kommt so ein Satz, was man darf. Nämlich: Man darf eigentlich nichts fotografieren außer an den und den und den Stellen. Und an den und den und den Stellen stehen dann natürlich auch, wenn das Wetter gut ist, 40 andere Leute zu jeder Tages- und Nachtzeit und wollen das gleiche Foto machen wie man selbst. Da kann ich dann nur hoffen, dass meine Panoramakamera ein anderes Motiv einfängt als eine normale kleine Spiegelreflexkamera.

Alle Touristen, die da mit Ihnen standen, haben also das gleiche Bild vom Ayers Rock, wie es hier im Bildband abgedruckt ist. Nur Ihres ist noch schöner?

Na selbstverständlich ist es schöner! (lacht)

Ich blättere mal weiter. Hier sind Seiten mit Bildern von ganz ausgefallenen Briefkästen …

(lacht lauthals) Das fand ich wirklich absurd. Also Australien ist … wie soll ich sagen … ein Land voller Widersprüche. Und Tasmanien, wo ich die Briefkästen fotografiert habe, ist dann noch einmal ganz anders: Eine Insel die extrem bewaldet ist, es gibt ganz viel Wasser. Australien dagegen ist tierisch trocken. Und die Leute sind anders. Unter anderem unterscheiden sie sich auch von den Festlandaustraliern durch den Krieg, den sie führen. Nämlich den Krieg um den allerschönsten und originellsten Briefkasten. Und das musste ich einfach auf ein paar Seiten verewigen.

Wollen Sie jetzt auch so einen extravaganten Briefkasten?

Och, nicht wirklich, ne.

Haben Sie denn sonst ein Souvenir mitgebracht? Sind Sie jemand, der sich was mitnimmt von Reisen?

Das, was ich mitnehme, das ist jetzt in dem Buch. Bilder und Gedanken. Manchmal nehm ich auch Musik mit, wenn ich was Schönes finde. Aber da bin ich auf dieser Reise leider nicht fündig geworden.

Stecken Sie ihre Fotos privat in Fotoalben oder basteln Sie sich so Fotobücher?

Ja, ich habe mir ein Fotobuch gebastelt, das heißt „Unterwegs 2“ und da gucken Sie gerade rein. Dabei hat mir netterweise der Verlag geholfen. (lacht) Nee, ansonsten sind die alle nur auf dem Rechner. Wenn ich auf Film fotografiere, dann habe ich Diafilme, die werden ganz aufwendig eingescannt. Und so habe ich alles auf mehreren Festplatten verteilt zu Hause.

(wir blättern weiter)

Das hier ist die letzte Seite mit Text. Da schreiben Sie, dass Sie den UN-Soldaten auf Osttimor versprochen haben, dass Sie 2011 nach Nepal fahren. Haben Sie das schon gemacht?

Ich hab’s leider nicht geschafft. Denn, vielleicht haben Sie es mitgekriegt: Jetzt gibt’s nächstes Jahr doch wieder ein paar Konzerte mit den Ärzten. Und das heißt, dass ich dieses Jahr leider ziemlich viel zu tun habe. Da hab ich’s nicht nach Nepal geschafft, was mich auch ärgert.

Waren Sie dieses Jahr dann überhaupt schon im Urlaub – obwohl Urlaub ist das ja nicht so richtig, wenn Sie für so einen Bildband reisen. Oder?

Doch klar! Was soll das sonst sein?

Na, Arbeit. Sie arbeiten doch an einem Buch.

(lacht) Oh, das wäre schön! Das muss ich dem Finanzamt mal erklären. So: „Also es ist so, dass ich da ja gaaanz hart gearbeitet habe die vier Monate! Jeden Tag!“ (lacht)

Ja, jeden Tag Fotos geschossen!

Ja genau! Das geht vielleicht auf die Sehnen!

Und auf den Rücken!

(lacht) Und auf den Rücken! Oh ja, ich darf gar nicht dran denken! Ähm, dieses Jahr war ich noch nicht so richtig viel unterwegs. Am Anfang des Jahres war ich mal in Mali – und da hab ich auch gleich wieder Fotos gemacht.

Die Fragen stellte unsere Reporterin Anna Lampert