München

Gierig und korrupt: Bibliothekar verscherbelte wertvollste historische Bücher

Kriminalhauptkommissarin Elisabeth Zum-Bruch vom des Bayerischen Landeskriminalamt zeigt eines der gestohlenen und sichergestellten Bücher
Kriminalhauptkommissarin Elisabeth Zum-Bruch vom des Bayerischen Landeskriminalamt zeigt eines der gestohlenen und sichergestellten Bücher Foto: dpa

Italien bekommt Hunderte wertvolle Bücher zurück, die vor Jahren aus der Bibliothek von Neapel gestohlen wurden. In München beschlagnahmt kehren sie nun in ihre Heimat zurück. Der beispiellose Kunstkrimi ist damit aber noch lange nicht zu Ende.

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Von Britta Schultejans und Sabine Dobel, (dpa)

Bücherschätze im Wert von rund drei Millionen Euro – und das ist nur die Spitze des Eisberges. Die in München sichergestellten Werke, die am Freitag an die italienischen Behörden übergeben wurden, sind nur ein Teil des Diebesgutes. Denn der ehemalige Direktor der Biblioteca dei Girolamini in Neapel, Marino Massimo De Caro, war als Chef dieser renommierten Einrichtung und anerkannter Experte für historische Bücher auch in anderen Bibliotheken des Landes unterwegs, etwa in Padua, Verona, in der Abtei Montecassino – und „ein bisschen von überall“ ließ er auch Bücher mitgehen, wie er selbst damals den Ermittlern sagte.

Alleine in Neapel verschwanden wertvolle 4000 Bücher

Allein in Neapel fehlen nach Angaben der italienischen Ermittler rund 4000 Bücher, der größte Teil davon sei inzwischen wieder aufgetaucht. In Lagern in Verona wurden 2000 Exemplare gefunden, weitere in italienischen Antiquariaten, nach Angaben des Bayerischen Landeskriminalamtes auch in London – und eben in München.

„De Revolutionibus Orbium Coelestium“ („Über die Umschwünge der Himmlischen Kreise“), das Hauptwerk von Nicolaus Kopernikus. Alle Bücher sind handgefertigte Einzelstücke.
„De Revolutionibus Orbium Coelestium“ („Über die Umschwünge der Himmlischen Kreise“), das Hauptwerk von Nicolaus Kopernikus. Alle Bücher sind handgefertigte Einzelstücke.
Foto: dpa

Mehr als 600 Bücher brachte De Caro auf den Weg in die bayerischen Landeshauptstadt. In mehreren Lieferungen kamen sie in einem Auktionshaus an. Rund 900.000 Euro hat De Caro nach Ermittlerangaben dafür bekommen – eigentlich wenig, verglichen mit dem tatsächlichen Wert der Werke von Pionieren wie Galileo Galilei, Nikolaus Kopernikus, Johannes Kepler und Isaac Newton, der insgesamt auf bis zu drei Millionen Euro geschätzt wird.

Im Münchner Auktionshaus trafen die Bücher unter falscher Bezeichnung ein und wurden als Nachlass eines Ehepaares aus Norditalien ausgegeben, wie der heutige Geschäftsführer der Nachfolgefirma Zisska & Lacher, Wolfgang Lacher, sagt. Der ehemalige Geschäftsführer des Vorgängers Zisska & Schauer, das als Unternehmen 2014 erlosch, wurde in Italien ebenfalls zu einer Freiheitsstrafe von fünf Jahren verurteilt, ist inzwischen aber in Deutschland wieder auf freiem Fuß und wartet auf sein Urteil in zweiter Instanz.

Mild bestraft: Sieben Jahre Hausarrest

De Caro hat sieben Jahre Hausarrest dafür aufgebrummt bekommen, dass er über Monate seine eigene Bibliothek regelrecht plünderte. Nach Angaben des Bayerischen Landeskriminalamtes, das in München an den Ermittlungen beteiligt war, soll es Videos einer Überwachungskamera geben, die ihn zeigen, wie er bei Nacht und Nebel Bücher in Kisten packt und aus der Bibliothek schafft.

Er gab nach Aussage der Ermittler zwei Gründe für seinen beispiellosen Diebstahl an: Das eine Motiv, er habe auf Missstände hinweisen wollen, erschien den Ermittlern allerdings unglaubwürdig – ganz im Gegenteil zu dem anderen. „Der Hauptverdächtige hat die Tat damit entschuldigt, dass er schlicht und einfach an Geld kommen wollte“, sagt der italienische Staatsanwalt Michele Fini. Italiens Behörden sprechen von einem Schaden von 19 Millionen Euro.

„Le Operazioni Del Compasso Geometrico Et Militare“ von Galileo Galilei.
„Le Operazioni Del Compasso Geometrico Et Militare“ von Galileo Galilei.
Foto: dpa

Und selbst wenn alle Bücher den Weg zurück nach Italien finden – ganz behoben werden kann dieser Schaden nicht mehr. Der Transport hat das ein oder andere Buch ziemlich mitgenommen. In einem 60.000 Euro teuren Werk von Kopernikus, das in München gefunden wurde, prangt ein Loch. Es entstand als jemand versuchte, den Herkunftsstempel auszuradieren. Weil das nicht gelang, wurde er einfach übermalt.

Originale ließ der Chefbibliothekar durch Fälschungen ersetzen

Einmal wurden 250 Bücher am Flughafen von Neapel abgefangen; sie sollten wohl nach Argentinien geschmuggelt werden. Dort hatte De Caro Kontakt zu professionellen Fälschern. An der Stelle der Originale stehen heute womöglich noch vielfach Fälschungen in Bibliotheken. Denn De Caro stahl nicht nur, er ließ auch fälschen – und zwar derart geschickt, dass selbst einer der weltweit wichtigsten Kunsthistoriker darauf hereinfiel.

Der Berliner Professor Horst Bredekamp von der Humboldt-Universität glaubte, die allererste Fassung – die Korrekturversion – des berühmten „Sternenboten“ von Galileo Galilei (1564-1642) vor sich zu haben, als er das Buch zur Begutachtung vorgelegt bekam.

Experte irrte – erst Zeitung brachte den Skandal ans Licht

Die Zeitung „The New Yorker“ deckte im Dezember 2013 die Fälschung auf. Einem US-Historiker war Medienberichten zufolge aufgefallen, dass ein schwarzer Fleck wie von überschüssiger Tusche in zwei Exemplaren auftauchte – was aber bei Originalen aus dem 17. Jahrhundert nicht sein könne, da jedes ein Unikat sei.

„In dem Moment hat es mich durchzuckt, dass sich der Verdacht des jungen Wissenschaftlers bestätigen könnte“, sagte Bredekamp vor gut einem Jahr in einem „Spiegel“-Interview. Die Erkenntnis sei für ihn ein „Trauma“ und eine tiefe Kränkung gewesen.

Ein Buch vom Vater des Galileo Galilei: Vincenzo Galilei (1520-1591 in Florenz) war ein „italienischer Lautenist, Musiktheoretiker und Komponist“ (<a href=
Ein Buch vom Vater des Galileo Galilei: Vincenzo Galilei (1520-1591 in Florenz) war ein „italienischer Lautenist, Musiktheoretiker und Komponist“ (Wikipedia).
Foto: dpa

Mafiöser Berlusconi-Vertrauter brachte den Bücherdieb ins Amt

Die Geschichte des Bücherdiebstahls ist zwar beispiellos, zeichnet aber einmal mehr ein Bild von Sumpf und Korruption in Italien, damals noch zu Zeiten Silvio Berlusconis. Der Berlusconi-Vertraute Marcello Dell'Utri, wegen Mafia-Verstrickungen zu mehreren Jahren Haft verurteilt, privat Schöngeist und Liebhaber antiker Bücher, soll De Caro nach Berichten unter anderem der „Stuttgarter Zeitung“ an die Spitze der Bibliothek in Neapel gebracht haben. Auch bei ihm in Mailand wurden gestohlene Bücher gefunden.

Die barocke, ehemals prächtige Biblioteca dei Girolamini ist die älteste Neapels. Sie beherbergte eine bedeutende historische Buchsammlung mit etwa 170.000 Titeln. Derzeit ist sie nicht zugänglich – der Bestand ist wegen der Ermittlungen unter Verschluss. Die Bücher aus München gehen vorerst nicht zurück nach Neapel, sondern nach Rom an die Kulturgüterschutzbehörde.