Dortmund

Dritter Dortmund-„Tatort“: Tödliche Flucht aus Hochhaus-Alltag

Schauspieler Jörg Hartmann als Kriminalhauptkommissar Peter Faber.
Schauspieler Jörg Hartmann als Kriminalhauptkommissar Peter Faber. Foto: dpa

Heute Abend gibt es wieder einen Dortmund-„Tatort“. Wer Hauptkommissar Faber auch nach diesem Krimi noch nicht mag, ist selbst schuld, meint die Autorin Miriam Sahli.

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„Facebook“ und Partys gefallen der 16-jährigen Nadine Petzokat hundertmal besser als ihr echtes Leben in einem heruntergekommenen Hochhaus in Dortmund-Clarenberg. Ihre Herkunft versteckt sie hinter Schminke und schicken Klamotten, wenn sie mit ihren neuen Freunden in einem noblen Nachtclub trinkt und tanzt. Von diesem Doppelleben weiß nur ihre beste Freundin. Um „Eine andere Welt“ geht es beim Dortmund-„Tatort“, den die ARD am Sonntag um 20.15 Uhr ausstrahlt. Wenn Nadine nachts abhaut, bekommen ihre Eltern das nicht mit. Und plötzlich ist Nadine tot.

Die Mutter macht sich Vorwürfe, zittert, raucht, weint. Ihre Tochter wurde tot im Dortmunder Phoenixsee gefunden. Vergewaltigt und vermutlich ermordet. Nadines Vater – Vokuhila-Frisur, Trainingsanzug, übellaunig weiß: „Nadine wollte raus aus der Scheiße hier, wollte studieren, hatte das Zeug dazu.“ Ihre Mutter hatte keinen Schimmer, war zu sehr mit sich und den Haaren der Nachbarn beschäftigt, die sie ab und zu in der Küche schneidet. Die Dortmunder Mordkommission vermutet den Ex-Freund als Täter, aber das wäre irgendwie zu leicht.

Der Plot „Einfaches Mädchen flüchtet in die Welt der Reichen und Schönen“ ist nicht neu, aber sehenswert und dramaturgisch um Längen besser komponiert als die Drehbücher der zwei vorherigen Folgen. „Wir haben in Dortmund eine Schickeria?“, fragt Hauptkommissar Peter Faber (Jörg Hartmann), der nie seinen zerschlissenen, braunen Parka auszieht, seine Kollegin. „Ja, das sind die, die die Bratwurst mit Messer und Gabel essen“, antwortet Martina Bönisch (hervorragend: Anna Schudt). Es bleibt nicht das einzige Ruhrgebietsklischee an diesem Abend. Statt Hochglanz-Bilder gibt es wieder Schäbiges.

Faber und Bönisch ermitteln gewohnt ungewöhnlich, indem sie sich in das Opfer und den Täter hineindenken. Auf dem Autositz und auf dem Steg am See simulieren sie die Vergewaltigung. Die jungen Kommissare Daniel Kossik (Stefan Konarske) und Nora Dalay (Aylin Tezel) mischen sich dagegen unter die Partyleute im Nachtclub im Dortmunder U-Turm, um Nadines Mörder zu finden.

Das Thema Doppelleben, das sich Drehbuchautor Jürgen Werner für den dritten Tatort ausgesucht hat, passt zu den zerrissenen Lebenswelten der vier Kommissare: Faber ist in seinem neuen Leben in Dortmund noch immer nicht richtig angekommen, hängt gedanklich in Lübeck fest, wo seine Frau und seine Tochter tot in ihrem Auto gefunden wurden. Irgendjemand hat ihm die Fotos wie Trophäen auf den Schreibtisch gelegt. Der Schreibtisch ist übrigens neu, Faber hatte seinen letzten verzweifelt zertrümmert. In der neuen „Tatort“-Folge des Westdeutschen Rundfunks reißt er auf dem Polizeipräsidium ein Waschbecken aus seiner Verankerung, irrerweise um nicht irre zu werden.

Auch Bönisch führt ein Doppelleben – mit einem nervigen Ehemann und mit einem Callboy. Die Kommissare Kossik und Dalay spielen Bönisch und Faber auch etwas vor. Faber sagt ihnen aber direkt, dass er sie durchschaut: „Nachts vögeln und tagsüber Kollegen spielen.“

Schauspieler Claus Dieter Clausnitzer, der im Münster-„Tatort“ Kommissar Thiels Vater, einen Taxifahrer, spielt, hatte der Nachrichtenagentur dpa nach der ersten Dortmund-Folge vorausgesagt: „Es sieht so aus, als könnten sich die Charaktere toll entwickeln.“ Er hatte Recht. Drehbuchautor Werner hat ihre Geschichten klug fortgesetzt. Fabers Probleme, die anfangs noch undefinierbar schienen, sind jetzt klar. Jörg Hartmann hatte nach dem Dreh des ersten „Tatorts“ zugegeben, dass der Psycho, den er spielt, keiner sei, „den die Zuschauer direkt lieb haben“. Aber wer ihn in der dritten Folge noch immer nicht mag, ist selber schuld.