Frankfurt

Deutscher Buchpreis: Der längste Titel gewinnt

Frank Witzel
Den barocken Titel seines Romans dürfe jeder jetzt auf «Die Erfindung» verkürzen, sagte Frank Witzel in seiner charmanten Dankesrede. Foto: Arne Dedert

Der 13-Jährige hat seinen wertvollsten Ritter mit schwarzglänzender Rüstung Andreas Baader genannt, Gudrun Ensslin ist eine Indianersquaw aus braunem Plastik: In seinem Roman „Die Erfindung der Roten Armee Fraktion durch einen manisch-depressiven Teenager im Sommer 1969“ hat Frank Witzel aus der Sicht eines Heranwachsenden die Atmosphäre und den Geruch der alten Bundesrepublik wiederbelebt. Dafür hat er am Montagabend überraschend den Deutschen Buchpreis erhalten.

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Von Thomas Maier

Den barocken Titel seines Romans dürfe jeder jetzt auf «Die Erfindung» verkürzen, sagte Frank Witzel in seiner charmanten Dankesrede.

Arne Dedert/ Arne Dedert

Heinrich Riethmüller (r), Vorsteher des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels, überreicht die Urkunde zum Gewinn des Deutschen Buchpreises an Frank Witzel.

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Die sechs Finalisten: Frank Witzel (l-r), Inger-Maria Mahlke, Rolf Lappert, Monique Schwitter, Jenny Erpenbeck und Ulrich Peltzer.

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Frank Witzel – ganz gefasst.

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Der 60-jährige Außenseiter kann das bei der Bekanntgabe im Kaisersaal des Frankfurter Rathauses selbst kaum fassen. „Ich gestehe jedem zu, es (das Buch) künftig nur noch ,Erfindung˙ zu nennen“, witzelt er zu seinem sperrigen Titel.

Mit überbordender Fantasie

Auf 800 Seiten hat Witzel ein großes Panorama entfaltet, das dank zahlreicher Perspektivwechsel aber keineswegs chronologisch geordnet ist. Mit überbordender Fantasie und einer Vielfalt an literarischen Formen schildert Witzel, wie der muffigen Bundesrepublik der Nachkriegszeit von der Popkultur in den 1960er- und 70er-Jahren so ganz allmählich der Garaus gemacht wird. Der Icherzähler, 1955 geboren wie auch Witzel, befreit sich vor allem mithilfe der Musik in Wiesbaden-Biebrich aus der Enge seiner erzkatholischen Umgebung. Witzel ist selbst auch Musiker.

Ein Buch ist wie ein Tsunami

„Das Buch ist wie ein Tsunami“, würdigt Jurorin Bettina Schulte den Roman. Daran hat Witzel mehr als ein Jahrzehnt lang gearbeitet. Es ist nicht durcherzählt, sondern mehr eine steinbruchartige Materialsammlung geworden, für die die Kritik aber durchweg Superlative gefunden hat. Lange ist Witzel nicht sicher gewesen, ob es letztlich wirklich gelungen ist. Aber sein Freund und Kollege Ingo Schultze („Simple Stories“) habe ihn bestärkt, erzählt der Autor.

Im Finale des Buchpreises galt Witzel, der heute in Offenbach lebt, keineswegs als Anwärter auf den Sieg. Sein Wälzer ist eben nicht einfach zu lesen. Als Siegerin wurde stattdessen Jenny Erpenbecks Flüchtlingsdrama „Gehen, ging, gegangen“ erwartet – unbestritten das Werk der Stunde, das ebenfalls auf der Kurzliste stand.

Literarisch ist Erpenbecks Buch, in dem sich ein pensionierter Berliner Professor für afrikanische Flüchtlinge engagiert, allerdings konventionell gestrickt. Auch Ulrich Peltzer mit seinem literarisch anspruchsvollen Gegenwartsroman „Das bessere Leben“, der die hochglobalisierte Welt aus der Sicht eines Managers betrachtet, waren gute Chancen eingeräumt worden.

Mutige Ansage der Jury

Dass die siebenköpfige Jury sich allen Unkenrufen zum Trotz für den Außenseiter Witzel entschied, ist eine mutige Ansage. Auch gegen die Gesetze der Branche, die beim Deutschen Buchpreis einen möglichst im Handel vermarktbaren Roman erwartet. Im vergangenen Jahr wurden diese Erwartungen mit Lutz Seilers auf Hiddensee spielendem DDR-Aussteigerroman „Kruso“ erfüllt, der ein großer Bestseller wurde. Dieses Jahr könnte das mit Witzel womöglich nicht so leicht werden.