Camp-Bilanz: Der Dschungel ist ein Theater – und RTL führt Regie

Es ist vorbei. Im australischen Regenwald kehrt Ruhe ein, und auch im deutschen Blätterwald werden bald keine Kakerlaken mehr fürs Rascheln sorgen. RTL sperrt vorerst sein Dschungelcamp zu. Die spektakuläre fünfte Staffel der Show „Ich bin ein Star – Holt mich hier raus!“ hat in dem zuvor weitgehend unbekannten Moderatoren-Darsteller Peer Kusmagk einen Sieger gefunden.

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Wir können uns wieder beruhigen. Es ist vorbei. Im australischen Regenwald kehrt Ruhe ein, und auch im deutschen Blätterwald werden bald keine Kakerlaken mehr fürs Rascheln sorgen. RTL sperrt vorerst sein Dschungelcamp zu. Die spektakuläre fünfte Staffel der Show „Ich bin ein Star – Holt mich hier raus!“ hat in dem zuvor weitgehend unbekannten Moderatoren-Darsteller Peer Kusmagk einen Sieger gefunden.

Nun ist es gut. Bevor die sogenannten Prominenten, die sich 16 Tage lang vor einem Millionenpublikum von einer Verlegenheit in die nächste manövriert haben, wieder dem kollektiven Vergessen anheimfallen, ist es Zeit für eine kritische Würdigung dieses Medienphänomens – einer Fernsehsendung, die so stark polarisiert hat wie noch keine Staffel zuvor, die Quoten- und Reichweitenrekorde aufgestellt hat, obwohl sie doch eigentlich kein Mensch mit Verstand gesehen haben will. Eine Dschungel-Bilanz in fünf Thesen.

1 Angeblich geht es bei all den Mini- und Maxi-Spektakeln dieses Erfolgsformats darum, Dschungelkönig zu werden. Die Teilnehmer dichten sich einen vordergründigen Ehrgeiz an, sprechen in die Interviewkameras davon, gern noch länger bleiben zu wollen, um das Finale zu erreichen. Doch in Wahrheit weiß oder ahnt jeder: Es ist völlig egal, wer Dschungelkönig ist. Der Titel ist nichts wert, er bringt keinen Karriereschub, zumindest keinen, der über die Wirkung hinausgeht, die die Teilnahme an der Show sowieso schon bringt – im Guten wie im Schlechten. Die Möchtegern-Stars, die sich zur Teilnahme und somit zur Selbstaufgabe überreden lassen, machen es wegen der Gage. Punkt. Deshalb ist es für sie nur wichtig, nicht freiwillig auszusteigen wie Sarah Knappik (Foto: RTL), denn sonst werden dem Vernehmen nach saftige Raten einbehalten.

2 Im Zusammenhang mit der Sendung und dem Auftreten der „Promis“ im Camp wird oft über Authentizität philosophiert: Welcher „Star“ gibt sich wirklich so, wie er ist? Die Antwort ist viel einfacher: Nichts ist echt. Wer glaubt, zwischen Bäumen, Spinnen und Lianen einen Blick auf das wahre Wesen der Teilnehmer ergattern zu können, der verkennt das Wichtigste: die allgegenwärtigen Kameras. Ganz egal wie gut getarnt sie im Busch hängen mögen: So medienerfahren sind selbst diese Niedrigniveau-Sternchen, dass sie sich der Tatsache stets bewusst sind, allzeit gefilmt zu werden. Jeder, der schon einmal einen Hobby-Camcorder bedient hat, weiß, dass sich die Menschen vor der Linse anders verhalten, wenn das rote Lämpchen leuchtet. Also: Es ist überhaupt nicht entscheidend, ob das viel diskutierte Techtelmechtel zwischen Jay Khan und Indira Weis inklusive des pseudodramatischen Nachspiels im Hotel (Jay soll, geschockt von den Reaktionen in der Realität, zusammengebrochen sein) inszeniert war. Wir sollten der Einfachheit halber davon ausgehen, dass schlichtweg alles inszeniert ist – wenn nicht bewusst, so doch unbewusst.

3 Dies vorausgesetzt und auch bedenkend, dass emotionale Ausnahmesituationen wie etwa die Konfrontation mit Sarah bei den Beteiligten die eine oder andere mühsam errichtete Fassade zeitweise haben bröckeln lassen, sorgt noch eine weitere Systemeigenschaft dieser Sendung dafür, dass wir nur ein „gemachtes Bild“ der Teilnehmer, der Situationen, der Gespräche und auch der Gefühle zu sehen bekommen: RTL hat alle Macht, vor allem über die Wirkung der „Stars“. Angenommen, es gäbe einen Spartensender, der 24 Stunden lang eine ungeschnittene Totalaufnahme des Lagerfeuers zeigen würde – vielleicht bekäme man dann beim Zusehen einen vagen Eindruck davon, was da wie abläuft. Allerdings: Es gäbe vermutlich kaum etwas noch Langweiligeres. Deshalb ist es vollkommen richtig, dass RTL das Material aufbereitet. Und weil der Sender das nach allen Regeln der Fernsehkunst macht, weil die Redaktion geschickt zuspitzt, verdichtet, pointiert, ist die Sendung überhaupt nur sehenswert. Wenn sich Rainer Langhans nach seinem Zwangsauszug darüber beschwert, dass die Sendung nicht wirklich das gezeigt hat, was im Camp passiert ist, hat er natürlich recht. Aber der Alt-68er zeigt vor allem, wie blauäugig er ist. Durch Schnitt, Musik und die Kommentare der Moderatoren werden Sympathien verstärkt oder zerstört. So wird auch das Abstimmungsverhalten des Publikums beeinflusst.

4 Deshalb sollte jedem klar sein: Die ganze Telefonabstimmung ist eine Farce. Wer weiß schon wirklich über die Stimmanteile Bescheid? Wie viele Leute haben tatsächlich Sarah Knappik in der ersten Woche immer und immer wieder für die Dschungelprüfungen ausgewählt? Dem Erzählpotenzial der Show war es auf jeden Fall zuträglich. Und auch der Finanzierung. Es darf darüber spekuliert werden, ob RTL mehr an den Anrufen verdient oder an der spärlich geschalteten Werbung. Auffällig auf jeden Fall, dass die sowieso schon wenigen Werbeblöcke auch noch sehr kurz waren. Es dürfte so sein, dass die Werbewirtschaft das Schmuddel-Image der Show trotz der Mega-Quoten scheut. Gut, dass niemand gezwungen wird, über die sündhaft teuren Nummern anzurufen. Übrigens wird auch niemand genötigt, sich die Show überhaupt anzuschauen.

5 Man kommt aber zugegebenermaßen auch nur schwer an ihr vorbei. Wenn da in der wichtigsten Zielgruppe des Fernsehens teilweise jeder zweite Deutsche zuschaut, wenn in allen Medien vom Boulevard über Internetforen bis zur Qualitätszeitung die Vorgänge im Dschungel sensationsheischend, zynisch, nachrichtlich oder vielleicht gar analytisch dargestellt werden, dann wird klar, warum das Format so erfolgreich war: Der Dschungel geht jeden an. Die Show spielt auf der gesamten Klaviatur, bedient niederste Instinkte und eignet sich gleichzeitig zur psychosozialen, medienkritischen oder auch quasi-intellektuellen Auseinandersetzung. Seifenoper-Gucker erhalten einen täglichen Fortsetzungsroman. Wutbürger dürfen sich ereifern. Harmoniesüchtige dürfen auf die Versöhnung zwischen Mathieu Carrière und Peer Kusmagk hoffen. Comedyfans können die bissig-bösen Kommentare von Sonja Zietlow und Dirk Bach genießen, Moralisten sich darüber freuen, dass der „Promi“ gewonnen hat, der sich am wenigsten danebenbenommen hat. Ekel, Ablehnung, Hass, Mitleid, Abscheu, Verständnis, Schadenfreude, Zuneigung: All das produziert diese Show. Mehr geht fast nicht.

Von unserem Redakteur Tim Kosmetschke