Bewerbungsgespräch: Arbeitslose Briten versuchen ihr Glück als Zombies
London – Ein Bewerbungsgespräch der besonderen Art: Gesucht wurden Untote, die in einem heruntergekommenen Landhaus den Besuchern so richtig einheizen. Die Schlange der Zombies – allesamt in Arbeitskleidung erschienen – war beachtlich. Unser London-Korrespondent Alexei Makartsev ist lebendig zurückgekommen mit Eindrücken, die nichts für schwache Nerven sind.
Die Untoten lauern in der Nähe des Königlichen Opernhauses. Sie sind hungrig. Ein Glück, dass die Touristen am belebten Covent Garden nichts von der Gefahr ahnen. Doch wann immer ein Auto in die klaustrophobisch enge Einbahnstraße vor den Pineapple Studios einbiegt, steigen die entsetzten Fahrer sogleich auf die Bremsen, während sie von den leichenblassen Gestalten umringt werden. Die stöhnenden Männer und Frauen in blutüberströmter Kleidung kratzen an den Türen und pressen ihre Gesichter mit leblosen Augen und heraushängenden Zungen gegen die Fenster. Bis endlich ein korpulenter Mann in einem schwarzen T-Shirt ruft: „Achtung, Zombies! Bitte zum Studio C im zweiten Stock gehen und warten, bis euer Name ausgerufen wird“.
Das Jobangebot: Besucher in einem heruntergekommenen Landhaus erschrecken. Die Zombies erschienen auch gleich in Arbeitskleidung im Studio. Dieser Bewerber hat sich offensichtlich noch etwas durch den Kopf gehen lassen. Alexei Makartsev Na bitte, geht doch. Brav stellen sich die Zombies zum Casting auf. Alexei Makartsev Mahlzeit! Alexei Makartsev Nicht nur in größeren Gruppen werden Zombies so richtig unangenehm! Alexei Makartsev Nicht nur die Warterei hängt dem Bewerber, links im Bild, zum Hals raus. Alexei Makartsev Da hilft auch kein Deo mehr. Alexei Makartsev
Eine abartige Idee? Keineswegs, denn die Briten sind besessen von den Zombies, die salonfähig geworden sind. So sehr, dass das Königreich die Organisation seiner Olympia-Eröffnung einem Regisseur anvertraut hat, der 2002 mit dem Zombie-Schocker „28 Days Later“ berühmt worden war. 2010 nahm an der Parlamentswahl eine Partei namens „Bürger für Rechte der Untoten“ teil, die für „komfortablere Friedhöfe“ und eine Eheerlaubnis für Zombies warb. Auch an manchen Hochschulen werden intensive Zombie-Studien betrieben. So lädt etwa die Uni Plymouth im April 2013 zu einer Konferenz ein, deren Teilnehmer die „Praxis des Zombie-Daseins“ diskutieren sollen.
Meine Studie der Untoten beginnt in einem Raum voller gruselig geschminkter Menschen, die sich auf ihren großen Auftritt vorbereiten. „Sehen meine Wunden frisch aus?“ fragt besorgt Tony Lewis. Einer seiner Augäpfel baumelt an einem blutigen Nervenstrang, aus dem Mund ragt eine bläuliche Zunge heraus. Der 21-jährige Tony ist Programmierer und ein Fan von Zombie-Filmen. Neben ihm sitzt ein unheimliches Schulmädchen mit zerrissener Strumpfhose und blutiger Bluse. „Ich sammle als Schauspielerin extreme Erfahrungen“, erklärt die 20-jährige Rebecca Ford aus Essex. „So ein Job würde gut in meinem Lebenslauf aussehen, denn er zeigt, wie offen ich bin.“
Die meisten Zombie-Anwärter um mich herum sind jedoch arbeitslos. In der schwierigen Rezession wollen diese Briten jede Chance nutzen, um eine Anstellung zu bekommen, lebendig oder halbtot. „Es gibt keine Jobs in meiner Stadt, ich muss aber irgendwie meine Frau und meine Tochter ernähren“, erklärt Tony Hall (24) aus Grays, der früher CDs in einem Musikladen verkauft hat. „Ich hatte eine Blutvergiftung und mehrere Operationen, seitdem darf ich nicht mehr fliegen“, sagt bitter der 37-jährige Ex-Pilot Matt Hooks aus Newbury: „Ein Job als Zombie, so tief bin ich schon gesunken“. Michael Bosman (22) aus Hull hat seine Busfahrkarte nach London sogar von der staatlichen Arbeitsberatung bezahlt bekommen. „Ich bin Zoowärter, doch sie sagen, dass ich außer dieser Stelle nichts kriegen würde“, nuschelt der Mann mit einer Reihe fauliger Zähne im Mund.
Es geht los. In einem Ballett-Saal treten die Untoten nacheinander vor ein dreiköpfiges Gremium. „Warum bist du hier?“ fragt ein Jury-Mitglied Jake aus Birmingham. „Ich esse gerne Menschenfleisch!“ lautet die stolze Antwort. „Ist es in Ordnung, wenn unsere Kunden auf dich aus Airsoft-Gewehren mit Plastikkugeln schießen?“, will ein Mitarbeiter von Zed Events von Oliver wissen. Der Zombie sagt lächelnd: „Natürlich, das ist die beste Art, zu sterben“. Sie brüllen, fauchen und stöhnen, taumeln, schlagen zuckend um sich herum, fletschen die Zähne und springen die Jury an. Es dauert Stunden. Am Ende hat etwa die Hälfte der 270 Untoten den Test bestanden. Hochzufrieden und noch in vollem Make-up schleppen sich die finsteren Figuren in den nächsten Pub, um ihren Erfolg mit Bier zu begießen. Beim Anblick der dämonischen Schar wechseln manche Fußgänger schnell auf die andere Straßenseite.
Von Alexei Makartsev