Berlin

Weltmeister 1990: Ein schwarz-rot-goldener Sommer in Italien

Die Weltmeister 1990 (hintere Reihe von links): Trainerassistent Holger Osieck, Teamchef Franz Beckenbauer, Klaus Augenthaler, Stefan Reuter, Jürgen Klinsmann, Frank Mill, Guido Buchwald, Paul Steiner, Thomas Berthold, Andreas Köpke, Jürgen Kohler, Andreas Möller, Hansi Pflügler und Trainerassistent Berti Vogts. Vorn von links: Pierre Littbarski, Olaf Thon, Torwarttrainer Sepp Maier, Andreas Brehme, Lothar Matthäus, Karl-Heinz Riedle, Bodo Illgner, Uwe Bein, Günter Hermann, Rudi Völler, Thomas Häßler und Raimond Aumann. Foto: dpa
Die Weltmeister 1990 (hintere Reihe von links): Trainerassistent Holger Osieck, Teamchef Franz Beckenbauer, Klaus Augenthaler, Stefan Reuter, Jürgen Klinsmann, Frank Mill, Guido Buchwald, Paul Steiner, Thomas Berthold, Andreas Köpke, Jürgen Kohler, Andreas Möller, Hansi Pflügler und Trainerassistent Berti Vogts. Vorn von links: Pierre Littbarski, Olaf Thon, Torwarttrainer Sepp Maier, Andreas Brehme, Lothar Matthäus, Karl-Heinz Riedle, Bodo Illgner, Uwe Bein, Günter Hermann, Rudi Völler, Thomas Häßler und Raimond Aumann. Foto: dpa

Die Nockenschuhe Copa Mundial schnürt Jürgen Klinsmann auch 30 Jahre danach noch, wenn er mit seinen Mitstreitern von einst ab und an zu einem Senioren-Match aufläuft. Sein Trikot, das der Stürmer heute vor 30 Jahren, am 8. Juli 1990, beim deutschen 1:0-Endspiel-Triumph in Rom getragen hatte, ist dagegen verschollen. Aber die Erinnerung lebt natürlich.

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„Wir hatten einen extremen Hunger auf Erfolg, fast schon über der Grenze des Vorstellbaren“, sagt Klinsmann zur goldenen Fußballer-Generation mit seinem damaligen Sturmpartner Rudi Völler, dem Finaltorschützen Andreas Brehme, Antreiber Lothar Matthäus, den Dribblern Thomas „Icke“ Häßler und Pierre Littbarski, den knallharten Verteidigern Guido Buchwald und Jürgen Kohler. „Unser Fokus lag voll und ganz auf Gewinnen, egal, wie.“

Mit dieser Einstellung bezwang Deutschland gleich zum Auftakt Jugoslawien mit 4:1, rang im Achtelfinale nach der Spuckattacke von Frank Rijkaard und Rot auch für den getroffenen Völler den Erzrivalen aus den Niederlanden 2:1 nieder, bezwang die Engländer im Halbfinale im Elfmeterschießen. Und ließ dann im Finale Argentinien mit dem großen Mittelfeldregisseur und Superstar Diego Maradona keine Chance.

Beckenbauer als Erfolgsgarant

„Vor dem Endspiel habe ich einfach in der Kabine auf Franz Beckenbauer gestarrt und mir gesagt: ,Der Franz hat das alles schon erlebt und ist so souverän. Alles wird gut, und wir gewinnen den Pokal. Seine Gelassenheit und Ausstrahlung haben uns unendlich viel Selbstvertrauen gegeben“, berichtet Klinsmann über den „Kaiser“, den damaligen Teamchef, als einen der Schlüssel zum Erfolg.

„Alle Deutschen stammen aus derselben Fabrik, vermutlich aus einem Stahlwerk“, sagte der einstige argentinische Weltmeister-Trainer Cesar Luis Menotti (1978) zum DFB-Team, dem die Revanche für die WM-Finalniederlage 1986 gegen seine Landsleute gelang. Siegtorschütze Brehme schildert die wichtigste Szene seiner Karriere so: „Rudi Völler ist noch zu mir gekommen und hat gesagt: ,So, den machst du jetzt rein, dann sind wir Weltmeister.' ,Na, schönen Dank', habe ich geantwortet.“

Klinsmann sieht den Knackpunkt des 1990er-Turniers in Matthäus' sehenswertem Tor im ersten Spiel. Auch weil sich die beiden exzentrischen Profis, die sicher keine Freunde waren, in Italien zusammenrauften, gelang der ganz große Wurf. Für viele Experten und Ex-Kollegen hat Klinsmann gegen „Oranje“ dann das Spiel seines Lebens gemacht. „Es war mit Sicherheit sein bestes Länderspiel“, bemerkt der eisenharte Verteidiger Kohler und wundert sich noch immer über Rot für Völler im emotionalen Achtelfinale: „Was Rudi verbrochen haben soll, habe ich bis heute nicht entdeckt.“

1990 wurde für Schwarz-Rot-Gold zu einem wie in der WM-Hymne von Edoardo Bennato und Gianna Nannini besungenen wundervollen italienischen Sommer („Un'estate italiana“). Auch weil ein halbes Jahr zuvor der Eiserne Vorhang aufgegangen war. „Wir fühlten uns schon ein Stück weit auch verantwortlich für Gesamt-Deutschland“, berichtet Klinsmann drei Jahrzehnte danach. Tausende Fans aus der damals noch existierenden DDR strömten zur WM über den Brenner.

„Gesamtdeutsche WM für alle“

„Genau zum Zeitpunkt, als die Mauer fiel, hatten wir ja das entscheidende Qualifikationsspiel gegen Wales in Köln, wo uns ,Icke' Häßler mit seinem Treffer zum 2:1 erlöst hat. Von dem Tag an war es die gesamtdeutsche WM für alle“, sagt der heutige Wahl-Amerikaner Klinsmann: „Ein tolles Gefühl.“ Es war nach 1954 und 1974 der dritte WM-Triumph einer DFB-Auswahl.

Den riesigen Erfolgshunger nach dem Titelgewinn („Wir waren alle überwältigt von den Gefühlen“) beizubehalten, „war leider nicht mehr möglich“, erklärt Klinsmann. Auch wenn Beckenbauer, der nach dem Triumph einsam und in Gedanken versunken über den Rasen des Olympia-Stadions schritt, nach dem Finale in Rom verkündet hatte: „Wir sind jetzt schon die Nummer eins in der Welt. Wir werden über Jahre hinaus nicht zu besiegen sein. Das tut mir leid für den Rest der Welt.“ Erst nach den Enttäuschungen bei der EM 1992 und der WM 1994 gab es für Klinsmann und Kollegen mit dem EM-Titel 1996 unter Bundestrainer Berti Vogts den nächsten Triumph. Der vierte WM-Titel gelang dann bekanntlich 2014 in Brasilien.

Klinsmann versuchte später selbst als Bundestrainer, 2006 ein WM-Wunder im eigenen Land zu schaffen. Er sorgte zwar mit für ein unvergessliches Sommermärchen, blieb aber genauso unvollendet wie auf seinen Stationen als Bundesliga-Coach. Zuletzt gab er ein denkwürdiges Gastspiel bei Hertha BSC, an dessen Ende der Schwabe mit viel Wirbel und im Unfrieden zurücktrat.