Am 26. September liegt sein politisches Schicksal ganz in den Händen der Wähler. Trotz aller Nackenschläge der vergangenen Monate gibt sich Laschet im Interview mit unserer Zeitung kämpferisch: „Das Ziel ist, dass keine Regierung gegen die Union gebildet werden kann.“ Und er betont: „Wir sind in der Offensive.“ Auf die Idee, die Flinte ins Korn zu werfen, sei er nie gekommen. „Dafür geht es um zu viel. Ich wusste immer, dass man dieses wichtigste Amt nicht mal so eben erringt.“
Herr Laschet, vor einem Monat haben Sie 30 Prozent der Stimmen zu Ihrem Wahlziel erklärt. Inzwischen ist die Union in allen Umfragen auf Platz zwei abgesackt. Halten Sie das 30-Prozent-Ziel aufrecht?
Das Ziel ist, dass keine Regierung gegen die Union gebildet werden kann. Alles andere würde zu einer Linksverschiebung führen. Es sind noch neun Tage. Wir erleben ein Kopf-an-Kopf-Rennen. Wenn die Union nicht stärkste Kraft wird, steht ein fundamentaler Kurswechsel der deutschen Politik bevor. Das gilt es zu verhindern.
Heißt das also 25 plus x?
Das heißt, so viele Stimmen wie möglich zu erhalten, um Wohlstand zu sichern. Bei der Kommunalwahl in Niedersachsen ist das vor ein paar Tagen gelungen – mit 31,7 Prozent. Sie sehen: Umfragen sind Umfragen, und Wahlen sind Wahlen.
Wie sind Sie in diese defensive Situation gekommen?
Wir sind in der Offensive: mit unseren Themen wie Aufschwung und Arbeitsplätze sichern, mit unserem Sofortprogramm, beim CSU-Parteitag, mit dem wirtschaftspolitischen Achtpunktepapier, das Friedrich Merz und ich gerade vorgestellt haben, mit unserem Zukunftsteam, bei den Kundgebungen und an Wahlkampfständen jetzt im Endspurt. Das kommt gut an. Und am 26. September um 18 Uhr können wir dann sehen, was aus all den Spekulationen geworden ist. Bis dahin kämpfe und werbe ich um jede Stimme.
Sie gelten als Brückenbauer, nun geht es ausschließlich um Attacke. Passt das zu Ihnen?
Das Einzige, um das es ausschließlich geht, ist Deutschland. Wenn ich für Ideen werbe, dann tue ich das engagiert. Und wie schon in früheren Wahlkämpfen kritisiere ich die Wettbewerber nicht persönlich, sondern wegen ihrer falschen Politik oder wegen Fehlern im Amt – die Finanzskandale im Zusammenhang mit mangelnder Aufsicht im Bundesfinanzministerium müssen aufgeklärt werden. Das aber ändert nichts daran, dass die Brücken zu Gesprächen unter Demokraten sehr stabil sind.
Warum setzte Ihr Schlussspurt so spät ein?
Wenn Sie sich um die Flutopfer und die Folgen dieser Katastrophe kümmern, dann ist keine Zeit für Wahlkampf. Dazu stehe ich. Es war eine Sommertour zu Bürgerinnen und Bürgern geplant, Kundgebungen von den Nordseeinseln bis in den Bayerischen Wald. Ich habe alles abgesagt und die logistische und finanzielle Bewältigung der Flut organisiert. Das war richtig – und wir müssen auch jetzt dranbleiben, wenn die TV-Kameras weg sind.
Ihre Leute haben in dieser Zeit mit den Füßen gescharrt …
Wenn mein Land mich braucht, toure ich nicht durch die Republik. Und dafür habe ich sehr viel Verständnis erfahren.
Erleben Sie nach dem zweiten Triell eine Trendwende?
Ich erlebe es selbst, wenn ich Menschen begegne, und mir wird von unseren Wahlkämpfern berichtet, dass die Stimmung sich dreht. Ich arbeite Tag für Tag dafür, jedem unsere Vision für Deutschland darzulegen, einem modernen Land, das Wohlstand erhält und neuen schafft. Und gleichzeitig klarzumachen, was passiert, wenn nicht die Union die nächste Regierung anführt. Machen wir uns nichts vor: Die SPD mit Olaf Scholz will – auch wenn sie auf Platz zwei liegt – Rot-Grün-Rot. Was glauben Sie, warum die Familienunternehmer so in Sorge sind? Weil SPD-Chefin Esken bekanntlich den Sozialismus verteidigt und Frau Baerbock nicht weiß, dass Personengesellschaften – der deutsche Mittelstand – Einkommensteuer zahlen und massiv unter den rot-grün-roten Steuererhöhungsplänen leiden würden: jeder Handwerker, kleine und mittlere Unternehmer, die Selbstständigen.
Sie nehmen Olaf Scholz also seine Distanz zur Linkspartei nicht ab?
Es geht nicht um Olaf Scholz, es geht um die SPD. Und da weist schon das Programm Nähe zur Linkspartei auf. Die Parteispitzen treffen sich und zeigen ihre Vorfreude ganz offen: „Wann, wenn nicht jetzt?“ heißt es dann. Wenn Herr Scholz Distanz hat, soll er Rot-Grün-Rot ausschließen. Ist eigentlich nicht so schwer.
Wäre eine Große Koalition oder eine Ampel zur Vermeidung dieses Szenarios möglich?
Ich will die Wahl gewinnen und nicht über Koalitionsoptionen spekulieren. Das entscheiden am Ende die Wähler. Grundsätzlich gilt: Demokraten sollten untereinander nichts ausschließen. Aber zu den Extremen grenzen wir uns ab: keine Zusammenarbeit mit AfD und Linken. Das hören Sie von der SPD so nicht.
Ziehen Sie auch unter einem Kanzler Scholz in die Regierung ein?
Wir kämpfen um Platz eins.
Der Wahlkampf war kurz und heftig, Sie stießen oft auf Häme. Wie steckt man das weg?
Durch den großen und ehrlichen Zuspruch, den ich auf Marktplätzen und nach TV-Sendungen erfahre. Und dann weiß ich natürlich, dass diese Häme Teil der gezielten Mobilisierung in den sozialen Netzwerken und außerhalb ist, um eine unionsgeführte Regierung zu verhindern. Auch das ist Wahlkampf 2021. Ich kenne solche Attacken. Die kamen bisher von rechts, weil ich Angela Merkels Flüchtlingspolitik unterstützt habe. Und jetzt mobilisiert auch links. Das Schöne ist: Je mehr es davon gibt, desto mehr Unterstützung kommt – auch von Menschen aus anderen Parteien, die sagen: „Wir kennen dich persönlich anders. Stehe diese Kampagne durch.“
Gab es einen Punkt, an dem Sie aufgeben wollten?
Nein, warum? Dafür geht es um zu viel. Ich wusste immer, dass man dieses wichtigste Amt nicht mal so eben erringt.
Wir erleben gerade drei Parteien, die zwischen 20 und 30 Prozent liegen. Ist die Ära der Volksparteien vorbei?
Wir beobachten seit Jahren, dass die Bindung zu Parteien nachlässt. Eine Volkspartei wie die CDU misst sich nicht an Umfragen, sondern an unserem Anspruch, alle Bedürfnisse unserer Gesellschaft im Blick zu haben. Nicht nur Partikularinteressen. Das ist unsere vermittelnde Funktion in einer Demokratie. Wir lassen niemanden zurück. Auch darum geht es am 26. September.
Auch wenn es gut läuft, steuern Sie auf das schlechteste Ergebnis der Union seit 1949 zu.
Es ist ein Unterschied, ob Sie in einem Parlament mit drei oder mit sieben Parteien antreten. 1976 hat Helmut Kohl 48,6 Prozent geholt und ist trotzdem nicht Kanzler geworden.
Im Sofortprogramm verspricht die Union höhere Grundfreibeträge für Kinder, ein höheres Kindergeld, einen Freibetrag bei der Grunderwerbsteuer. Wer soll das bezahlen?
Vergessen Sie nicht die wichtige Erhöhung der Minijobgrenze, darauf sprach mich in der ARD-„Wahlarena“ gerade eine Betroffene an. Also: Diese Entlastung für Familien und Arbeitnehmer gibt der Haushalt her – wenn, und das ist entscheidend, der wirtschaftliche Aufschwung nach der Pandemie nicht durch Bürokratie, Verbote und Steuererhöhungen abgewürgt wird. Deshalb bieten wir dem Land ein Beschleunigungspaket: Es schafft Effizienz und die Grundlage dafür, dass Deutschland beim Kampf um die Weltspitze auf dem Treppchen steht. Wir haben nicht mehr 20 Jahre Zeit, um uns in Europa so aufzustellen, dass wir nicht von China abgehängt werden – das muss jetzt geschehen. Und wir wissen wie.
Ist aus der schwäbischen Hausfrau der spendable Rheinländer geworden?
Die schwäbische Hausfrau hat Robert Habeck vor Kurzem zur Schuldenmacherin umfunktioniert. Nein, wir müssen zu einer soliden Haushaltspolitik zurückkehren. Die Finanzplanung wird anspruchsvoller sein als alles, was wir die letzten zehn Jahre gemacht haben. Wir brauchen eine solide Haushaltspolitik, wie ich sie in meiner Regierung seit 2017 verantworte.
Das „Modernisierungsjahrzehnt“, das Sie fordern, bedingt auch einen Mentalitätswechsel. Nach der Wahl wird es Zeit für unbequeme Wahrheiten – werden Sie diese aussprechen? Etwa bei der Rente?
Die erste Wahrheit ist: Sozialpolitik geht nur mit guter Wirtschaftspolitik. Zweitens kann man den heutigen Rentnern sagen: Die Rente ist sicher. Das müssen wir auch für die heute Jungen sicherstellen. Dazu sind neue Elemente nötig: die von CDU und CSU geplante Generationenrente, eine Stärkung der betrieblichen Altersversorgung und eine Erhöhung der Erwerbsquote.
Gehört dazu auch eine Erhöhung der Lebensarbeitszeit?
Nein. Wir können die Menschen nicht mit ständig neuen Daten verunsichern, die Rente mit 67 ist noch nicht einmal vollständig umgesetzt. Das System zu reformieren, muss eine parteiübergreifende Kraftanstrengung werden, die von einer breiten Mehrheit der Gesellschaft getragen wird. Aber wir müssen zum Beispiel auch verhindern, dass Fachkräfte abwandern oder dem Arbeitsmarkt nicht zur Verfügung stehen – zum Beispiel Frauen: Der gerade beschlossene Anspruch auf Ganztagsbetreuung in Grundschulen ist da ein Riesenschritt.
Wie konnten Sie sich als Union das Narrativ des „würdigen Nachfolgers“ von Bundeskanzlerin Angela Merkel durch ihren Vizekanzler Olaf Scholz abnehmen lassen?
Ein Markenzeichen zu kopieren, macht einen weder würdig noch zum Nachfolger. Angela Merkel steht für eine christdemokratische, krisenfeste Politik der Mitte, der wirtschaftlichen und der praktischen Vernunft. Hinter den roten SPD-Plakaten steckt rote Politik. Die meinen das ernst. Wir sehen in Berlin, wo Rot-Grün-Rot regiert, was das anrichtet: Entgegen dem deutschlandweiten Trend sinkt die Zahl der Baugenehmigungen trotz Wohnungsmangel, weil Investoren kein Vertrauen in den Standort haben. Ich hingegen kämpfe für Vertrauen in den Standort Deutschland.
Es ist nur noch eine gute Woche bis zur Wahl. Was war der beste Moment im Wahlkampf bisher? Und was der schlechteste?
Der schlechteste Moment war nicht im Wahlkampf. Es war die Flut, die Menschenleben und Existenzen vernichtet hat. Am besten Moment arbeiten wir: Es wird der Wahltag.
Das Gespräch führten Kerstin Münstermann und Moritz Döbler