Mainz – Reiner Hoster greift sich den Holzleim. Passt – der Stuhl wackelt nicht mehr. Nun noch kurz durchsaugen, die Einkäufe einräumen, das Essen vorbereiten.
Nicole Plaul bügelt ein paar Sachen, checkt die neuesten E-Mails, macht das Töchterchen fertig für die Kindertagesstätte und geht dann zum Sporttraining. Alltagsleben einer modernen jungen Familie, keineswegs spektakulär. Nur: Reiner Hoster (40) und Nicole Plaul (34) sind blind; Dana (1¾) kann sehen.
Wie schaffen die das nur – wie organisieren blinde Menschen ihren Alltag? „Ganz normal, so wie Sehende auch.“ Aber kochen, putzen, einkaufen, waschen, Bus und Bahn fahren, sich in fremder Umgebung zurechtfinden? „Das lernen wir genauso wie alle anderen, wenn auch in spezielleren Ausbildungsgängen.“ Die Antworten klingen ein ganz kleines bisschen genervt. Wieso werden Menschen mit Beeinträchtigungen permanent für alltagsunfähig gehalten? Sie erklären: Tricks und Hilfsmittel nutzen, sich informieren, fragen – das erleichtert den Alltag. Ihre beiden Blindenhunde sind Helfer. Der Blindenstock zeigt Hindernisse an und damit auch den Radius, innerhalb dessen man sich gefahrlos bewegen kann. Und: „Wir sehen sozusagen mit den Ohren.“ Geräusche, Klänge, Töne sind Stabilitäten im Alltag. Es gibt sprechende Uhren, Terminkalender, Herde, Kühlschränke oder Computer. Es gibt sogar Geräte, die Faserntyp und Farben von Kleidung erkennen und „durchsagen“.
Aber blind, mit einem kleinen Kind? Eltern haben da sofort Horrorszenarien vor Augen. Danas Eltern nicht. „Wir sind immer in ihrer Nähe, wir spüren, wo sie ist und was sie braucht.“ Seit Dana laufen kann, zeigt ein kleines Glöckchen am Fuß an, wo sie gerade herumturnt. Sie weiß bereits: Bei Mama und Papa muss sie laut sagen, was sie will, nicken oder Kopf schütteln klappt nicht. Will sie ihnen etwas geben, legt sie es ihnen direkt in die Hand. Gemeinsam mit den Eltern erkundet sie die Umwelt durch befühlen, betasten – be-greifen: Hier heißt es nicht „Finger weg“ – paradiesisch für Kinder, die ja alle ihr Umfeld, ihre Welt erfühlen wollen. „Die Hände, der Tastsinn, ersetzen ebenfalls die Augen.“
Das ist das Stichwort: „Tasten ist für uns ein Kommunikationsmittel.“ Das bedeutet, sich oft zu berühren. „Da tun sich viele schwer; unbefangenes, ‚absichtsloses’ Berühren, wie es Kinder – und wir Blinde – tun, muss in unserem Kulturkreis oft erst mal gelernt werden“, wissen Plaul und Hoster. Das geht von falscher Scheu bis zu unhöflichen Übergriffen. „Passanten wollen uns helfen, bedenken aber nicht, dass wir sie ja nicht sehen, und zerren an uns herum.“
Für das Paar gehört Berühren zum Beruf. Sie sind Physiotherapeuten mit etlichen Zusatzausbildungen. Der 40-jährige Reiner Hoster hat eine eigene Praxis, arbeitet aber auch ambulant und kommt ins Haus. Und sie sind beide sportlich aktiv: Hoster ist Teamchef und Stürmer beim Blindenfußball-Club „Guide Dogs“. Ende November 2010 gründete er den 1. Mainzer Tischtennis-Blinden-Club, 2011 ist ein Paddler-Club für Blinde geplant.
Die 34-jährige Nicole Plaul liebt wie Hoster Wandern und Ski fahren. Sie ist bei den Guide Dogs Verteidigerin und gehörte 2009 beim ersten Frauenfußball-Weltturnier zur Crew der Vize-Weltmeisterinnen. Dana übt noch, die Welt zu be-greifen – auch mit den „Augen“ der Eltern
Trudy Magin
Kontakt: www.physiotherapie-drais.de/; www.guide-dogs.de; www.bsgmainz.de