Mitten in Bad Neuenahr-Ahrweiler haben Rechtsradikale ein Haus bezogen. Sie feiern Partys mit Gesinnungsgenossen, planen ihre Propaganda und koordinieren Aufmärsche. Nun formiert sich Widerstand in der Stadt – wer aber nimmt die Sache in die Hand?
Immer dann, wenn es wieder ganz schlimm wird, greift Eva Müller zu radikalen Mitteln. Wenn etwa Ausnahmezustand in der Straße herrscht, weil die Neonazis eine Party feiern und die Polizei aufmarschiert, dann schickt sie ihren Nachbarn eine Botschaft. Nichts Handschriftliches, keine Nachricht über Telefon, nichts, was missverstanden werden könnte. „Ich schicke ihnen Licht und Liebe.“ Sie steht vor ihrem Haus in der Weinbergstraße, als sie das sagt. Auf dem Garagentor ist ein riesiger Buddha gemalt. Sie lächelt. Und sie lächelt auch, als sie meint: „Die sind leider verblendet.“
Die „Verblendeten“ wohnen zwei Häuser weiter. Weinbergstraße 17, Stadtteil Bad Neuenahr. Sie haben das Haus vor etwa zwei Jahren gemietet. Sie nennen es selbst alternatives Wohnprojekt oder braunes Haus, so wie einst die Parteizentrale der NSDAP in München genannt wurde. Es ist ein Gebäude aus der Nachkriegszeit mit cappuccinofarbenem Anstrich. Es gibt auch grüne, rote und schwarze Kleckse auf der Fassade. Das waren die Farbbeutel derer, die nicht damit einverstanden sind mit dem, was hier passiert.
In der Straße gibt es einen Edeka und einen Imbiss, in dem Gäste aus dem Neonazihaus manchmal grußlos auftauchen, Döner essen und wieder ohne zu grüßen verschwinden. Wer ein Symbol dafür sucht, dass der Rechtsradikalismus in Deutschland aus der Mitte kommt, ist hier in der Weinbergstraße genau richtig. Und wer ein Beispiel dafür sucht, wie ratlos die Zivilgesellschaft in solchen Fällen ist, auch.
Martin Michels sitzt in einer Bar in Bad Neuenahr. Er ist Ende 20 und Antifaschist. Das ist eigentlich schon alles, was man von ihm wissen sollte. Er kommuniziert nur über verschlüsselte E-Mails, ein Treffen ist erst nach diversen Rückversicherungen möglich. Nicht einmal der Name ist echt, weil er Angst vor den rechten Schlägern hat. Michels hat zu dem Treffen zwei zusammengeheftete Manuskripte mitgebracht. Das eine ist eine zweiseitige Aufzählung aller Aktionen der Neonazis im Kreis Ahrweiler der vergangenen Jahre. Dann gibt es noch eine zweite Liste. Auf der ist jede einzelne Gewalttat der Rechten in der Region notiert mit Datum und Beschreibung, fast wie in einem Polizeiprotokoll. Es ist von Pflastersteinen die Rede, die durch Scheiben flogen, von brutalen Schlägereien, von Grillanzündern auf Autorädern. Vier Seiten. 39 Vorfälle.
Es lässt sich nicht alles nachprüfen, was die Antifaschisten aus der Region aufgezeichnet haben. Man kann ihnen auch getrost unterstellen, dass sie vom Prinzip „Licht und Liebe“ gegen Rechtsradikale nur wenig halten. Die Antifaschisten aber haben das Treiben in dem Haus in die Öffentlichkeit gebracht. Seither beobachten sie das, was in dem Haus vorgeht.
Die Rechten sind kaum zu greifen
Es brennt Licht in der Weinbergstraße 17. Am Eingang hängt eine Kamera. Einer der Bewohner öffnet die Tür nach dem ersten Klingeln. Er sieht etwas unsicher raus, er zuckt mit den Schultern, guckt zu Boden. Er zeigt auf den Briefkasten. „Lassen Sie Ihren Namen da, ich schicke Ihnen eine Pressemitteilung.“ Dann schließt er die Tür. Er will nicht reden.
Das Umfeld der Weinbergstraße steht auch für den modernen Rechtsradikalismus, der kaum mehr zu greifen ist. Die Bewohner, meist zwischen 20 und 30 Jahre alt, stammen aus der Region und waren zum Teil in örtlichen Vereinen aktiv. Manche sind als Veganer und Tierschützer bekannt, sie nutzen Twitter und Facebook, hören rechte Liedermacher genauso wie linken Rap, und manchmal tragen sie Kleidung, die man als alternativ bezeichnen würde. Einmal sollen sie den linken Antifaschisten bei einer Demonstration sogar angeboten haben, gemeinsam zu marschieren. Aber das allein ist nicht das Problem.
Beobachter gehen davon aus, dass sich die Weinbergstraße 17 zur Schaltzentrale einer der radikalsten rechtsextremen Organisationen in Rheinland-Pfalz entwickelt hat. Mehrere Personen aus dem Umfeld des Hauses werden mit dem „Aktionsbüro Mittelrhein“ in Verbindung gebracht. Die „Rheinwiesenlager“-Demonstration in Remagen ist das Aufsehenerregendste, das sie machen. Die Mitglieder des „Aktionsbüros“ werden vom Verfassungsschutz als latent gewaltbereit eingeschätzt. In den vergangenen Jahren sollen sie laut Innenministerium zumindest für zehn Straftaten verantwortlich sein – von Volksverhetzung bis zur Körperverletzung.
In ihrer Symbolik sind sie an Dreistigkeit kaum zu überbieten. Sie fahren mit einem Kleinbus, der als Kennzeichen das Datum trägt, an dem vor 20 Jahren ein Obdachloser in Bad Breisig von Skinheads getötet wurde. Zur Silvesterparty luden sie mit einem Flyer ein, auf dem die Buchstaben NSU farbig hinterlegt waren. NSU wie Nationalsozialistischer Untergrund, die Terrorzelle, die zumindest für zehn rechtsradikale Morde verantwortlich sein soll.
Die Antifaschisten haben die NSU-Aktion publik gemacht. Manchmal fühlen sie sich nun alleingelassen. „Wir freuen uns, wenn mehr Bürger gegen rechts aktiv werden und uns unterstützen“, sagt Michels. Sie würden sich einem Bündnis nicht verschließen.
Der Zeitpunkt für ein deutliches Signal gegen rechts in Bad Neuenahr-Ahrweiler könnte nicht besser sein. Wenn die Neonazis jemals einen stillschweigenden Rückhalt in der Bevölkerung hatten, so haben sie ihn spätestens im November verspielt. Werner Knieps kann das vielleicht am besten erzählen. Er ist 60 Jahre alt und Mitglied der Hutengemeinschaft Oberhut. Die Huten haben sich vor Jahrhunderten gebildet, um die Bevölkerung innerhalb der Stadtmauern von Ahrweiler zu schützen. Heute kümmern sie sich um die Brauchtumspflege. Seit den 60er-Jahren zünden etwa die Junggesellen der Huten am Martinstag Bergfeuer an. Vier Gemeinschaften wetteifern dann um das schönste Schaubild aus Pechfackeln an den Hängen. Es ist ein einzigartiges Spektakel, das Hunderte Touristen anzieht. Knieps war selbst zehn Jahre lang beim Aufstellen der Schaubilder dabei, jetzt ist er im Martinsausschuss, der die besten Bilder prämiert. „Das ist Ahrweiler“, sagt Knieps. „Das ist unsere Tradition.“
Doch am vergangenen 12. November, als all die Touristen und Bewohner voller Erwartung in die Weinberge blickten, leuchtete auf meterhohen Tafeln ein befremdliches Schaubild auf. Es war kein Bild einer Hut, sondern der Hinweis auf die Internetseite einer rechtsextremen Demonstration. Was danach folgte, ist unklar, manche sagen, dass die Polizei das Schaubild löschte, andere berichten, es waren die Junggesellen selbst. Die Neonazis waren da schon verschwunden.
In der Stadt haben sie sich darüber geärgert. Die Junggesellen traten noch am Abend am Marktplatz auf den Balkon: „Wir lassen uns das Brauchtum nicht von diesem braunen Mob kaputt machen“, rief einer, und die Leute sangen: „Nieder mit der NPD.“ Man sagt, dass es gut war, dass die Junggesellen den Neonazis an dem Abend nicht begegnet sind.
Vorgeführt und eine Tradition missbraucht
Was bleibt, ist eine große Demütigung. Die Rechten haben den Ort bei einem der wichtigsten Feste vorgeführt. Sie haben eine Technik verwendet, die nur die Ahrweiler beherrschen und dabei nicht besser demonstrieren können, dass sie ein Problem des Ortes sind. „Sie haben unsere Tradition missbraucht“, sagt Knieps.
„Man muss etwas tun“, ist der Satz, den man vielleicht am häufigsten in der Stadt zu diesem Thema hört. Nach der Kirmes hat sich selbst der Vorsitzende der Bürgergesellschaft Hemmessen weit aus dem Fenster gelehnt. Hemmessen ist der Ortsteil, in dem das Haus steht. „Wir distanzieren uns von denen“, hat der Schultes, der Vorsitzende, geschimpft und den Journalisten gesagt, dass ihm wichtig ist, dass diese Worte auch in dem Bericht über die Kirmes stehen. Normalerweise kümmern sich die Vereinsmitglieder um den Erhalt von Traditionen. Jetzt überlegen sie sich Demonstrationen gegen die Neonazis im Ort. Sie wollen auch mit den Eltern der Rechten sprechen.
Wenn Soziologen erklären, wie Kommunen mit Rechtsextremen umgehen sollen, sprechen sie von einer notwendigen Rahmung des Problems. Sie wollen damit sagen, dass Kommunen Rechtsradikalismus nicht als Jugendgewalt oder austauschbares Sicherheitsproblem wahrnehmen dürfen, sondern ein Problembewusstsein schaffen müssen. Es hat in Bad Neuenahr-Ahrweiler sehr lang gebraucht, aber inzwischen scheint das Bewusstsein geschaffen. Nun müssen die Aktionen vernetzt werden, wie es das Bündnis in Remagen zeigt. Es sollte jetzt schnell gehen, denn es wird schon wieder seltener über den Vorfall beim Martinsfeuer geredet.
Von der Weinbergstraße 17 zum Rathaus sind es 900 Meter. Stadtchef Guido Orthen (45) sitzt in seinem Büro und sagt einen Satz, der Bürgermeistern normalerweise nur schwer über die Lippen kommt. „Ja, wir haben ein Problem mit Rechtsextremen im Ort.“ Und er sagt auch: „Ich fühle mich ein Stück weit ratlos.“ Er sieht die Heß-Aufkleber in der Stadt, die Demo, die Hunderte Neonazis aus Deutschland anzieht, er stand beim Martinsfest im Kanonenturm und musste sich das rechte Schauspiel anschauen. Orthen ist aber auch Jurist und kennt die Grenzen seines Amtes. Er kann das Haus nicht einfach räumen lassen. Sein Ordnungsamt kann nicht mehr tun, als besonders genau hinzusehen. Und was sollen sie machen, wenn sich die Rechten penibel an jede Vorschrift halten? In Bad Neuenahr-Ahrweiler suchen sie nach anderen Wegen. In der nächsten Stadtratssitzung soll eine konzertierte Aktion gegen rechts beschlossen werden. Auch die Schulen werden stärker eingebunden. Und in diesem Jahr soll mit dem Projekt Stolpersteine begonnen werden.
„Wir dürfen das Problem nicht totschweigen.“
Eva Müller, die Nachbarin, die Licht und Liebe schicken will, macht sich wenige Sorgen. „Ich spüre das: Noch in diesem Jahr wird alles vorbei sein.“ Sie sagt, dass sie so etwas vorhersehen kann. Vielleicht müssen sich Bewohner vor Gericht verantworten. Vielleicht ziehen sie ja auch weg. Nur das eigentliche Problem wird bleiben.