Mainz – Die Stimmung beim FSV Mainz 05 hat sich wieder komplett gedreht. Auch Trainer Thomas Tuchel sprüht vor dem Heimspiel heute Abend (20.30 Uhr) gegen den 1. FC Nürnberg vor Zuversicht. Weil seine Mannschaft die Schwächephase mit dem überzeugenden 3:2 bei Borussia Mönchengladbach überwunden hat.
Gegen Niederlagen sei ein Klub wie Mainz 05 in der Bundesliga nie gefeit, und zwar gegen keinen Gegner. „Aber das Erfolgserlebnis in Gladbach bringt uns die nötige Sicherheit, um gegen die Nürnberger sehr positiv ins Spiel gehen zu können.“
Zumal die Gesamtsituation eine prächtige Perspektive offenbart. Neun Siege haben dem Klub schon nach 13 Spieltagen mit 27 Punkten einen neuen Vorrundenrekord beschert. Und nun besteht die Chance, mit einem Heimsieg gegen den 1. FC Nürnberg die magische 30-Punkte-Marke zu knacken. Einige Erstligakonkurrenten werden froh sein, wenn sie dieses Ziel Mitte der Rückrunde erreicht haben.
Letztlich aber dienen diese Punktemarkierungen nur bedingt als Anreiz. Heute Abend geht es für die Tuchel-Elf ausschließlich darum, die defensiv kompakten, spielerisch starken und in der offensiven Umschaltung flinken Nürnberger zu knacken. Dafür braucht es vor allem Überzeugung. Und die ist mit dem Sieg in Gladbach, erzwungen trotz erheblicher Verletzungsschläge im Verlauf der 90 Minuten und nach zweimaligem Rückstand, zurückgekehrt.
Bei ungemütlicher Witterung wollen die 05er den Zuschauern nach zuletzt drei Heimniederlagen wieder ein Spektakel liefern. „Wir wollen Druck ausüben wie in jeder Phase in Gladbach“, sagt Tuchel. Die Zuschauer hätten einen Anspruch darauf, am Bruchweg „ein gutes, ein energiegeladenes Spiel zu sehen, es liegt an uns, das Publikum auf unsere Seite zu ziehen“. Die Mannschaft solle die Leute begeistern und den Funken überspringen lassen auf die Ränge.
Der 05-Coach registriert erfreut, dass viele Verhaltensweisen seiner Spieler aus der Erfolgsphase wieder spürbar sind. Wille und Energie seien in Gladbach in beeindruckender Art wieder da gewesen. Der komplette Spielverlauf habe wieder an viele Ereignisse erinnert, die sich in der Phase mit acht Siegen in neun Spielen ergeben hatten. Diese Mannschaft sei wieder bei sich. Bei jener Mentalität, die ausschließlich auf das eigene Handeln abziele und die auch damals so überragend gegriffen habe.
Tuchel hat gelesen, dass sich der Nürnberger Kollege Dieter Hecking orientieren wolle an Hannover 96. Kompakt stehen, aggressiv in die Zweikämpfe gehen, vielleicht auch die Mainzer Abwehrreihe hoch anlaufen, schnell umschalten und kontern. Das hatten die Hannoveraner zuletzt am Bruchweg recht geschickt vorgeführt, doch für ihren 1:0-Sieg benötigten die Gäste letztlich dennoch einiges Glück – beim Torschuss und in der Abwehr.
Auf diese Spielweise, erklärt Tuchel, „sind wir eingestellt“. Mit dem Spirit von Gladbach könne es gelingen, die drei Punkte zu erzwingen. Die Durststrecke mit fünf Niederlagen sei eine im Leistungssport normale Formdelle gewesen. „Wir sind klar geblieben, wir haben die Ruhe behalten“, so der Trainer. „Wir sind gut damit gefahren, nicht an uns zu zweifeln und den Spielern Vertrauen zu geben.“ In einer solchen Phase sei es hilfreich, auch mal von den eigenen Ansprüchen zurückzugehen. Die Basis für die Rückkehr seien Fleiß, Akribie, Emotionalität und Überzeugung. „Für uns ist es wichtig, dass wir immer unsere Tugenden finden.“
Grundsätzlich sei ein hoher Anspruch eine der Stärken dieser Mannschaft. „Wir haben in jedem Training die höchsten Ansprüche an uns selbst“, sagt der Mainzer Fußballlehrer. „Und genau deshalb spielen wir eine starke Runde.“ Vielleicht hatte das Tuchel-Team zuvor auch etwas blockiert, weil die Erwartung, im eigenen Stadion jeden Gegner aus den Schuhen spielen zu müssen, zur Belastung geworden war. Gegen die Nürnberger geht es um Kampf, um Balljagd, um Tempo, um eine aggressive Herangehensweise nach vorne wie nach hinten, um taktische Disziplin, um Mut und Überzeugung auch im Angriffsdrittel. Und dann wird am Bruchweg auch jeder schmucklose Sieg gefeiert.
Den Gegner mal kommen lassen, davon hält der 37-Jährige gar nichts. „Agieren bei Ballbesitz“, das sei die klare Philosophie dieses Klubs. Zwei Trainingseinheiten unter Ausschluss der Öffentlichkeit gab es in dieser Woche. Gegnerische Scouts abzuwehren, das sei dabei nur ein nachrangiger Gedanke, sagt Tuchel. „Jeder Berufstätige macht im größten Stress, wenn er mal seine Ruhe haben will, die Tür zu und das Radio aus. Auch wir brauchen mal unsere Ruhe.“ Das sei der Zweck eines Geheimtrainings. „Wir brauchen mal eine sichere Atmosphäre, in der der Trainer Lob und Kritik äußern kann, ohne dass Journalisten davon profitieren.“
Reinhard Rehberg