Serie Neurechte Bewegungen und die AfD stehen in einer Tradition, die bis in die 20er-Jahre zurückreicht
Von wegen „neu“: Die antidemokratischen Wurzeln der Rechten
Die Aushöhlung der Demokratie begann früh: Bereits 1923 sammelte die NSDAP – hier bei einer Veranstaltung im Münchner Bürgerbräukeller – die antidemokratischen Kräfte. Neue und alte Rechte berufen sich letztlich auf die gleichen demokratiefeindlichen Denker wie Carl Schmitt. Foto: Bundesarchiv

So neu, wie die Bezeichnung vermuten lässt, sind die Neuen Rechten nicht. Neu an ihnen ist, dass sie sich auf eine alte Traditionslinie berufen, die durch den Nationalsozialismus Brüche erfahren hat. Die Neuen Rechten beziehen sich auf die sogenannte Konservative Revolution. Eine Bezeichnung, die während der Weimarer Republik für rechte Denker und Aktivisten gebraucht wurde, jedoch erst nach dem Zweiten Weltkrieg prägend wurde, um rechte Strömungen der Zwischenkriegszeit zusammenzufassen. Eine hochproblematische Strategie steckt dahinter, wie der Rechtsextremismusexperte Helmut Kellershohn im Interview erklärt.

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Was aber ist mit Konservativer Revolution gemeint? Die Bezeichnung klingt widersprüchlich, wie kann man konservativ und revolutionär zugleich sein? Wollen doch Konservative bewahrend sein, wo Revolutionäre radikale Veränderungen anstreben. Hier ist der historische Kontext entscheidend: Nach dem Ersten Weltkrieg war die Welt aus den Fugen. Die Monarchie war nicht mehr zukunftsfähig, Liberale, Demokraten, Kommunisten, Faschisten in verschiedensten Ausprägungen bestimmten das turbulente Leben in den 1920er-Jahren.

Die Konservativen Revolutionäre wollten nicht zurück zur Monarchie, konservativ waren sie in dem Sinn, dass sie sowohl den Liberalismus in seiner wirtschaftlichen und vor allem in seiner gesellschaftspolitischen Form ebenso radikal ablehnten wie die parlamentarische Demokratie. Revolutionär waren sie insofern, als sie Gewalt, Aufruhr oder auch Staatsstreiche für probate Mittel erachteten, um den Staat radikal zu verändern.

Der Schriftsteller Ernst Jünger, einer der prominentesten Vertreter der Konservativen Revolution, der durch seinen Kriegsroman „In Stahlgewittern“ Popularität erlangte, schrieb in den 20er-Jahren: „Ich hasse die Demokratie wie die Pest.“ Jünger sehnte sich nach neuer soldatischer Härte, beschwor einen Männlichkeitskult und verachtete die Parlamentarier. Jünger pflegte Kontakte zu Putschisten, aber auch zu linken Intellektuellen. Überhaupt gab es ein reges Hin und Her zwischen rechts und links. Hauptsache radikal, war das Motto.

„Das Minimum an geistigem Konsensus, das kein lebendiger demokratischer Staat entbehren kann, blieb ihr (der Weimarer Republik) versagt“, bilanzierte 1962 der Politikwissenschaftler Kurt Sontheimer in seiner lesenswerten Studie „Antidemokratisches Denken in der Weimarer Republik“. Dieser antidemokratische, illiberale Geist ist heute wieder in Mode. Nicht nur die in dieser Serie bereits vorgestellten Identitären beziehen sich auf Konservative Revolutionäre. Wer sich in Schriften der Neuen Rechten einliest, merkt das schnell. Und stößt immer wieder auf einen Namen: Carl Schmitt.

Der Staatsrechtler und politische Philosoph veröffentlichte in den 1920ern mit „Die geistesgeschichtliche Lage des heutigen Parlamentarismus“ eine Generalabrechnung mit der Weimarer Demokratie. Carl Schmitt unterscheidet darin zwischen Parlamentarismus und Demokratie mithilfe einer recht eigenwilligen Auslegung von Rousseaus Idee der „Volonté générale“, dem Gemeinwillen des Volkes. Dieser kann, sagt Schmitt, auch von nur einer einzigen Person vertreten werden. Schmitt wird diese Person später in Hitler finden. Ein Führer kann für das gesamte Volk stehen und in dessen Willen entscheiden, erklärt Carl Schmitt in seinem Buch.

Diese autoritäre bis diktatorische Auffassung von Demokratie stellt Schmitt die liberale Massendemokratie mitsamt dem Parlamentarismus gegenüber. Dies gehörte nicht zur eigentlichen Demokratie. Der Parlamentarismus sei eine liberale Erfindung, die endlose Diskussionen, aber keine Entscheidungen mehr zur Folge haben. „Die politische Kraft einer Demokratie zeigt sich darin, daß sie das Fremde und Ungleiche, die Homogenität Bedrohende zu beseitigen und fernzuhalten weiß.“ Der Parlamentarismus, der anstatt auf Einheit auf Vielfalt setzt, lehnt Schmitt entschieden ab. Das Parlament ist für ihn eine sinnlose „Quasselbude“, Gesetze, fordert er, müssen „sans discussion (ohne Diskussion) zustande kommen“.

Es ist diese Denkweise, die heute wiederkehrt, wenn von rechts unterstellt wird, das Parlament sei handlungsunfähig und ergehe sich in endlosen Diskussionen. Gerade in Bezug auf die sogenannte Flüchtlingskrise wurde der Vorwurf laut, Politiker würden nur reden, aber nicht aktiv werden. Dass parlamentarische Demokratie mühsam und mitunter auch langwierig, ja, ermüdend sein kann, gerade wenn es um wichtige Fragen geht, wird von Neurechten als Schwäche ausgelegt. Die AfD übt derweil den Spagat, zum einen Teil dieses Parlamentarismus zu sein und zum anderen eine Zack-zack-Politik zu versprechen, die unter parlamentarischen Bedingungen gar nicht möglich ist.

Neue Rechte applaudierten deshalb in den sozialen Medien besonders laut, als US-Präsident Donald Trump gleich nach seinem Amtsantritt Dekret nach Dekret erließ. Russlands Präsident Wladimir Putin hat ebenfalls ihre Sympathien, schwächt er doch das Parlament erheblich. Man darf sich aber auch jenseits der rechten Vordenker wundern, wenn eigentlich bürgerliche Politiker und Journalisten nach schnellem Durchgreifen und Ad-hoc-Entscheidungen in der Politik rufen – das stärkt nicht das Parlament, ist aber ein über die Neuen Rechten hinausgehender Trend, wenn etwa am Parlament vorbei die Bankenkrise ins Lot gebracht wird. Stets wird dabei suggeriert, man befinde sich im Ausnahmezustand und müsse schnell handeln.

Auch dieses Argument geht auf Carl Schmitt zurück, dessen berühmtester Satz lautet: „Souverän ist, wer über den Ausnahmezustand entscheidet.“ Der Ausnahmezustand wird zunehmend zum Normalzustand erklärt, denn dann ist politisch (fast) alles erlaubt. Der 1985 verstorbene Carl Schmitt spukt noch immer durch unsere Gegenwart. Aber auch völkische Ideen aus der Weimarer Zeit kehren wieder, wenn Deutschsein als etwas Essenzielles definiert wird und die deutsche Kultur als eine geschlossene Einheit begriffen wird, die angeblich vom Islam bedroht wird.

Auch wenn viele Bezüge zur Konservativen Revolution sich noch eher schriftlich als in Taten manifestieren, sollte man die Entwicklung nicht als Elfenbeinturmdiskurs abtun. Dahinter steckt das als „Metapolitik“ bekannte Konzept: Die Neuen Rechten wollen durch Schriften, Reden oder Posts in den sozialen Medien alte Begriffe und Denkmodelle wieder salonfähig machen. Das geschieht schleichend, aber es geschieht. Und plötzlich fordert dann auch der CSU-Politiker Alexander Dobrindt eine „konservative Revolution“. Die Neuen Rechten wird's freuen.

Von unserem Reporter Wolfgang M. Schmitt