London
Umstrittener Kunstverkauf: WDR bringt seine wertvollsten Bilder unter den Hammer

London. Wie bei den Diskussionen um den Austritt aus der Europäischen Union ist es auch mit den Kunstwerken. Es zählt letztlich der Wert, der dahinter steht. So ist es nicht nur ein finanzieller Vermerk, dass am Abend des „Evening Sale“ bei Sotheby’s zwei Bilder aus dem Besitz des Westdeutschen Rundfunks (WDR) verkauft werden, das Gemälde „Alpweg“ von Ernst Ludwig Kirchner und „Möwen im Sturm“ von Max Beckmann. Jeweils liegt der erzielte Wert dieser beiden eindrucksvollen Arbeiten etwas über 1 Million Euro.

Der WDR räumt auf: Beckmanns „Möwen im Sturm“ kam aus der Sammlung des Senders in London unter den Hammer – für rund eine Million Euro. Foto: Sotheby's

Der WDR verkauft in mehreren Auktionen bei Sotheby’s insgesamt 46 Werke aus seiner Sammlung. Die beiden herausragenden Arbeiten von Beckmann und Kirchner kommen im Zuge der großen Auktion mit Picasso und Modigliani und damit etwas im Schatten der beiden exorbitanten Zuschläge unter den Hammer. Es ist kurz nach 21 Uhr Ortszeit, im Programm des WDR hat gerade „Quarks & Caspers: Unser Körper – 7 Dinge, die Sie wissen sollten!“ begonnen. Eine Sendung, die im Bietersaal von Sotheby’s niemanden interessiert.

Aus dem Bestand des WDR in eine private Sammlung: Kirchners „Alpweg“ wird in London für rund eine Million Euro versteigert. Foto: Sotheby's

Los Nummer 25 ist „Möwen im Sturm“. Beckmanns Ölgemälde entstand 1942, als der Künstler in den besetzten Niederlanden lebte. Im Zeichen des tobenden Zweiten Weltkriegs spiegeln die Möwen, wie sie angespannt, aufmerksam und von den Winden gepeitscht auf einer Geländerstange am Meer sitzen, auf hintersinnig-ergreifende Weise die damalige Zeit wider. Für 821 000 Pfund wechselt das Bild den Besitzer, zu diesem Zeitpunkt vor dem Brexit sind dies umgerechnet 1,07 Millionen Euro.

Als nächstes Bild bringt Auktionatorin Helena Newman Kirchners „Alpweg“ zur Versteigerung, es wird wie Beckmanns Möwen in einer privaten Sammlung verschwinden. Das große quadratische Berglandschaftsmotiv, entstanden in einer späten Lebensphase des Künstlers im schweizerischen Graubünden, wird für 845.000 Pfund veräußert, dies sind 1,1 Millionen Euro, bis der Brexit kommt.

Weitere 21 Werke des WDR kommen am nächsten Morgen unter den Hammer, die zweite Hälfte des Bestandes folgt eine Woche danach sowie im Herbst. Der erste Teil des umfangreichen Verkaufs bringt dem WDR 2,88 Millionen Pfund ein, am Tag der Auktion sind dies 3,74 Millionen Euro, eine Woche danach rund 10 Prozent weniger. Dennoch dürften die Buchhalter beim Sender zufrieden sein.

Aus Sicht der Controlling-Abteilung mag es sinnvoll sein, abseits von TV-Werbung und Gebühren auf diese Weise Programminhalte zu finanzieren. „Die Entscheidung, 46 Werke aus dem Besitz des WDR zum Verkauf anzubieten, war keine leichte“, erklärt Intendant Tom Buhrow, wie das Auktionshaus Sotheby’s mitteilt. „Angesichts unserer schwierigen Haushaltslage war sie aber notwendig. Der Erlös kommt nun unserem Publikum zugute – in Form eines hochwertigen und vielfältigen Programms.“ Es ist hinlänglich bekannt, dass sich der Sender in einer wirtschaftlichen Schräglage befindet. Der Personalapparat gilt traditionell als üppig, manche Gage ebenso. Von Beginn an handelte sich Buhrow Kritik ein mit der Entscheidung, die Kunstsammlung zu verkaufen – denn angesichts eines Fehlbetrags von mittelfristig 1,3 Milliarden Euro sind die für den Verkauf insgesamt eingeplanten 3 Millionen Euro ein kleineres Trostpflaster. Der WDR hat schließlich einen Jahresetat von rund 1,4 Milliarden Euro.

Die Haushälter dürften begrüßen, dass der Verkauf der ersten 23 Werke mehr als die insgesamt angedachten 3 Millionen Euro eingespielt hat. Die Frage muss aber erlaubt sein, wie sinnvoll es ist, rare Kunstwerke dem öffentlichen Zugang zu entziehen, um sie aus rein pekuniären Gründen in private Sammlungen zu veräußern. In Zeiten des Brexit geht es in vielen Fällen eben vor allem um Geld.

Von unserem Chefreporter Volker Boch