Koblenz. Ein moderner, wachstumsorientierter Staat braucht gut ausgebildete Bürger: Es kommt daher nicht von ungefähr, dass auch in Preußen das lange vernachlässigte Schulwesen eine neue Bedeutung erhielt. In Koblenz sind zwei Bauprojekte des frühen 20. Jahrhunderts zu einem Symbol für die neue Bedeutung der Bildungspolitik geworden: das 1907 im Auftrag der Stadt fertiggestellte Kaiser-Wilhelm-Realgymnasium und das 1909 vollendete Königliche Lehrerinnenseminar auf dem Oberwerth.
Bis die Erkenntnis Früchte trug, dass eine breite Bildung kein Privileg einer Elite sein sollte, mussten viele Widerstände überwunden werden – und das, obwohl es in Preußen bereits seit 1717, in anderen deutschen Staaten sogar seit dem späten 16. Jahrhundert Vorformen der Schulpflicht gab. Die Realität war jedoch ernüchternd.
Mehr als 100 Kinder in einer Klasse
In den 1840er-Jahren zum Beispiel waren, so Dr. Ottwilm Ottweiler, in den Elementarschulen Klassenstärken von mehr als 100 Kindern keine Seltenheit. Dazu kam, dass das Auswendiglernen religiöser Texte wichtiger war als das Lesen und Schreiben. Das lag vor allem in der langen Tradition der Pfarrschulen, die auch in Koblenz weit in die Frühe Neuzeit zurückreicht.
Auch die Preußen überließen zunächst gern den Pfarrern das Terrain – auch im katholischen Rheinland. Ihre Rechnung war einfach: Der Staat wollte gehorsame Bürger und pünktliche Steuerzahlungen. Gottesfurcht und Demut galten als Schlüssel dazu, dieses Ziel zu erreichen. Weltliche Lehrer, die unterhalb des Existenzminimums bezahlt wurden und Nebentätigkeiten nachgehen mussten, waren in den Augen von Geistlichen Untergebene. Denn es war üblich, dass Pfarrer auf Gemeinde- und Kreisebene die Aufsicht über Schulen führten. Wenig förderlich war auch die ungleiche Behandlung bei der Förderung, wie das Koblenzer Beispiel zeigt. Denn die katholischen Einrichtungen mussten von Schulgeldern und Stiftungen leben, staatliche Zuschüsse gab es für sie nicht. Dabei war mit der Einführung der allgemeinen Schulpflicht in Preußen (1825) die Ausweitung des Angebots verbunden. Jetzt sollten auch Kenntnisse in Geschichte, Geografie, Naturkunde, Gesang und Zeichnen vermittelt werden. Doch wieder lagen Anspruch und Wirklichkeit weit auseinander.
Die örtlichen Gremien vernachlässigten die Schulen, in denen die Anzahl geeigneter Lehrer im krassen Missverhältnis zu den Klassenstärken stand. Prof. Dr. Edwin Schaaf geht davon aus, dass es in Koblenz 85 bis 125 Schüler pro Klasse gab. Dazu kam, dass reine Schulbauten die Ausnahme waren. Das sollte sich grundsätzlich erst im späten 19. Jahrhundert ändern.
Der Veränderungsprozess in den Elementarschulen verlief äußerst zäh, was auch mit den großen politischen Ereignissen zusammenhing. In der im Zuge des Wiener Kongresses eingeleiteten Restaurationspolitik galt es, liberale Strömungen zu unterbinden, die nicht nur einen anderen Staat, sondern eben auch einen Unterricht forderten, der die Schüler für das selbstständige Arbeiten begeistert.
Karriere trotz Festungshaft
Nur selten schafften es Reformer in höchste Stellen. Einer von ihnen sollte mehr als 30 Jahre lang in Koblenz wirken: Dietrich Wilhelm Landfermann (1880-1882), der als Provinzialschulrat auf allen Ebenen verkrustete Strukturen aufbrechen wollte und selbst den Konflikt mit dem zuständigen Ministerium nicht scheute. Der Philologe und Pädagoge hatte das Kunststück fertiggebracht, trotz seiner Mitgliedschaft in einer liberal-demokratischen Burschenschaft und fünfjähriger Festungshaft im preußischen Staatsdienst Karriere zu machen – zunächst als Leiter des Gymnasiums in Duisburg, ab 1841 als „Chefaufseher“ für die Gymnasien, Realschulen und Lehrerseminare der Rheinprovinz sowie für die Elementarschulen im Regierungsbezirk Koblenz. Die Zeiten, Reformen anzustoßen, waren allerdings auch günstig. In den vorrevolutionären deutschen Staaten rumorte es.
Auch in Koblenz und Ehrenbreitstein schlossen sich die chronisch unterbezahlten Lehrer zu einem Verein zusammen und wehrten sich gegen die Dominanz der Geistlichen. Landfermann war es schließlich, der an höchster Stelle Verbesserungen in der Lehrerausbildung forderte. Damit erinnerte er an die Ideale des Wilhelm von Humboldt, die im Alltag nur zu gern missachtet wurden.
Nach dem Scheitern der Revolution von 1848 wollte der Staat gezielt das Niveau an den Elementarschulen senken: Die „neuen“ Fächer sollten zurückgefahren, der Unterricht in den Städten und auf dem Land unterschiedlich gehandhabt werden, und schließlich plante man, Lehrerseminare fernab der intellektuellen Zentren anzusiedeln. Landfermann erreichte, dass dies in seinem Zuständigkeitsbereich abgemildert wurde. Allerdings blieb es bei der „Kasernierung“ der künftigen Pädagogen in den Lehrerseminaren.
Fortschritt zwingt zum Ausbau
Der rasante wirtschaftliche, soziale und technische Wandel zwang schließlich die Verantwortlichen, ihre antiquierten Vorstellungen von allgemeiner Schulbildung zu überdenken. Auch in Koblenz wurde die Forderung nach einer mittleren Säule der Schulbildung laut, die auf das Berufsleben vorbereiten sollte. Denn zwischen den Volksschulen und dem traditionsreichen humanistischen Gymnasium klaffte eine Lücke. Der örtliche Gewerbeverein machte Druck.
Die Kooperation zwischen Staat und Stadt ermöglichte es, dass 1855 im Krämerzunfthaus an der Kornpfortstraße/Danne die ersten beiden Klassen der neuen Gewerbeschule eröffnete wurde. Die neue Einrichtung wuchs schnell. Sie zählte bereits 1870 sieben Klassen und musste deshalb in das Alte Kaufhaus umziehen. 1890 wurde sie in ein Realgymnasium umgewandelt, dessen Träger die Stadt war. Damit klaffte aber wieder eine Lücke in der berufsorientierten Bildung, die schließlich im Zuge umfassender privater Initiativen geschlossen wurde.
Ebenfalls 1890 wird mit dem Baubeginn an der Schenkendorfschule eine geradezu stürmische Entwicklung eingeleitet, von der auch die Volksschulen profitieren: 1893 und 1894 wurden die Schule im Hohenfelder Haus und die katholische Volksschule erweitert, 1895/96 folgten der Ausbau der sogenannten Hohenzollernschule und der Volksschule in Neuendorf. In den Jahren 1899 und 1900 wurde schließlich die evangelische Volksschule in Lützel neu gebaut. Ein Jahr später begann der Bau der Thielenschule. Und schließlich mussten 1904/1905 die Hohenzollernschule und die Volksschule Neuendorf noch einmal erweitert werden. Ein weiteres Projekt: der Neubau der katholischen Volksschule Lützel (1910/1911).
Hohe finanzielle Belastungen
Das Bauprogramm brachte weitere immense finanzielle Belastungen für die Stadt, die in der Regel Trägerin der Einrichtungen war und keinen Ausgleich für die 1888 verfügte Schulgeldbefreiung für Vorschulkinder erhielt. Mit dieser Befreiung war übrigens auch die Auflösung der Freischulen für verarmte Kinder verbunden. Nur selten zahlte der Staat, so etwa beim Neubau des Kaiserin-Augusta-Gymnasiums von 1892 bis 1894 (heute Görres-Gymnasium) und des Lehrerinnenseminars von 1907 bis 1909. Vor diesem Hintergrund überrascht es, dass sich die Stadt trotz ihrer vielfältigen Belastungen für einen Neubau des Realgymnasiums an der Ecke Casinostraße/Friedrich-Ebert-Ring entschied. Der Vorläufer des Eichendorff-Gymnaisums wurde 1907 fertig.
Trotz allem sollte nicht vergessen werden, dass gerade auch Privatinitiativen das Aufblühen der mittleren und gehobenen Schulausbildung bewirkten. Beispiel ist die von Dr. Karl Hessel (1844-1911) 1878 gegründete Mädchenschule, die seit dem Umzug in den Neubau von 1902 Hildaschule heißt und heute ein Gymnasium für Mädchen und Jungen ist. Richtungsweisend wurde auch die kaufmännische Fortbildungsschule, die Dr. Franz Zimmermann – zunächst für Mädchen – 1894 am Altlöhrtor eröffnete und heute noch besteht.
Bildung in Koblenz
1798 Mit der Einrichtung der vier neuen linksrheinischen Departements beginnen die Franzosen auch eine Neuordnung des Schulwesens. Ein neues Schulgesetz wird am 28. April erlassen, mit dem die republikanische Volksbildung verwirklicht werden soll. In der Folgezeit werden Pfarrschulen durch Primärschulen, Gymnasien durch Zentralschulen ersetzt. Geistliche werden aus den Schulen verbannt, statt Religion wird „bürgerliche und republikanische Moral“ unterrichtet. In der Praxis scheitert die Umsetzung der neuen Regelungen am Mangel von geeignetem Personal.
1806 In Koblenz gibt es sechs Primärschulen, die jeweils von einer Lehrkraft betreut werden: die Knabenschule Liebfrauen (160 Schüler), die Mädchenschule Liebfrauen (145 Schülerinnen), die Knabenschule St. Kastor (70 Schüler), die Mädchenschule St. Kastor (60 Schülerinnen), die Mädchenschule in der Firmungstraße (95 Schülerinnen) und die private Mädchenschule am Jesuitenplatz mit 80 Schülerinnen. Außerdem gibt es drei kleine private Mädchenschulen für Kinder aus besseren Kreisen.
1807 Der französische Präfekt Adrien Lezay-Marnesia erreicht, dass in Koblenz eine Lehrerbildungsstätte eingerichtet wird. Die Departementshauptstadt hat damit eine Sonderstellung. Im Allgemeinen ist die Ausbildung für Lehrer schlecht.
1816 Der Beginn der preußischen Zeit verspricht Verbesserungen im Bildungswesen. Man beruft sich auf die Idee einer breiten „harmonischen Menschenbildung“ des Wilhelm von Humboldt. In Koblenz wird der Publizist und Lehrer Joseph Görres mit der Umsetzung der Schulreform beauftragt. Görres erfüllt die Erwartungen nicht und wird – auch wegen seines politischen Engagements – abgesetzt.
1825 Der preußische König Friedrich Wilhelm III. ordnet via Kabinettsorder die allgemeine Schulpflicht an. Sie gilt für jedes Kind nach „zurückgelegtem fünften Jahr“.
1855 Im Krämerzunfthaus wird die erste Gewerbeschule eingerichtet, einer Vorläuferin des Realgymnasiums.
1872 Der Kulturkampf hat Folgen für die Schulen. Das Schulaufsichtsgesetz vom 11. März bestimmt, dass die Kirchen ihr Recht auf Schulaufsicht verlieren. Im Rheinland wird das Gesetz nicht mit aller Schärfe umgesetzt. Die geistlichen Schulaufseher bleiben im Amt, handeln aber nun im Auftrag des Staates. Die „Christlichen Schulbrüder“ in St. Kastor und im Kemperhof und die Salesianerinnern in Moselweiß werden vor die Wahl gestellt: entweder Orden oder Unterricht.
1884 Der Kulturkampf ist überwunden, an den Volksschulen wird der Religionsunterricht wieder verstärkt. Die Schulaufsicht liegt meist wieder in den Händen der Geistlichen. Allerdings geht der Staat verstärkt dazu über, Rektoren der Volksschulen mit der unteren Schulaufsicht zu beauftragen.
1890 In Koblenz beginnt auch im Schulsektor eine Neubauwelle.
1919 Die Weimarer Verfassung schreibt die Schulpflicht für das gesamte deutsche Reich fest.
- Quellen: Erwin Schaaf, Das Schulwesen in Koblenz von 1794 bis heute, in: Geschichte der Stadt Koblenz, Bd. 2, Stuttgart 1993. Ottwilm Ottweiler, Dietrich Wilhelm Landfermann, in: Koblenzer Beiträge zur Geschichte und Kultur 14, Koblenz 2006.