Lieber Dennis Lukas, auch von der Nahe-Zeitung die herzlichsten Glückwünsche zu Ihrem Titel. Haben Sie den Erfolg schon realisiert und verarbeitet?
Vielen Dank. Ich glaube, es braucht noch ein paar Tage. Das Ergebnis ist natürlich phänomenal. Im Moment ist es so, dass ich weiß, dass ich gewonnen habe, aber so richtig packen kann ich es noch nicht.
Sie sind in den letzten Versuch, mit dem Wissen, persönliche Bestweite und Rheinland-Pfalz-Rekord stoßen zu müssen, um Deutscher Meister zu werden. Hatten Sie trotzdem das Gefühl, dass es klappen kann?
Durch die Serie von fünf Versuchen über 19 Metern habe ich natürlich gewusst, dass ich gut drauf bin und dass die Bestweite, die ich gebraucht habe, drin war.
Nehmen Sie uns mit. Wie sind Sie den letzten Stoß angegangen?
Mein Trainer Joachim Richter hat mir vorher ziemlich deutlich zu verstehen gegeben, dass ich auf keinen Fall zu zaghaft an die Sache gehen soll.
Was hat er zu Ihnen gesagt?
(lacht) Er hat wörtlich gesagt: „Stoß nicht auf schön, geh' drauf!“
Was Sie dann auch getan haben...
Ja! Ich habe mir gesagt, dass ich 'alles oder nichts' gehe. Entweder haut es mich vorne aus dem Ring, oder ich verursache sonst wie einen ungültigen Versuch, oder es klappt mit der herausragenden Weite, die ich gebraucht habe, um Gold zu gewinnen.
Hat es da geholfen, dass Sie eigentlich keinen Druck mehr hatten, denn Silber war Ihnen ja bereits sicher?
Klar! Als Dennis Lewke nach seinem letzten Versuch nicht besser war als ich, habe ich gewusst, dass ich Silber sicher habe, also erneut eine Medaille. Eigentlich konnte da schon nichts mehr passieren und ich konnte alles riskieren, um die benötigte persönliche Rekordweite zu erreichen.
Ihr Erfolg ist umso bemerkenswerter, weil es wegen Corona für Sie besonders kompliziert war, vernünftig zu trainieren. Wie haben Sie es geschafft, auf den Punkt fit zu sein?
Das ist eine gute Frage. Seit Ostern ungefähr konnte ich zumindest wieder einigermaßen normal trainieren und durfte mit und ohne Trainer auch in Hallen und in Krafträume. Ich denke aber, dass auch das viele Training zuvor zu Hause mit dem eigenen Körpergewicht und zum Teil eher ungewöhnlichen Hilfsmitteln dazu geführt hat, dass mein Körper so gestärkt wurde, dass ich genau rechtzeitig fit sein konnte.
Wir erinnern uns alle noch an ihr Interview vor einem halben Jahr, als Sie verraten haben, dass Sie manchmal bei sich in Regulshausen mit einer Kugel spazieren gehen, um vom geteerten Feldweg einen Stoß in die Wiese zu machen, um so das Gefühl für die Kugel nicht zu verlieren. Das erinnert schon sehr an die Vorbereitung von Rocky Balboa alias Silvester Stallone auf den Boxkampf im Hollywoodfilm Rocky IV. Sie mussten schon sehr improvisieren, oder?
(lacht) Es ging ja vielen Athleten so, dass sie improvisieren mussten. Es galt nun einmal, das Beste aus der Situation zu machen und eben auch alternative Wege zu gehen.
Sie haben vor der DM nur einen Wettkampf bestritten – in Saarbrücken. Wie wichtig war der als Vorbereitung?
Schon sehr. Es war wie im Vorjahr, als ich vor der DM auch nur bei einem Wettkampf am Start war. Es war wichtig, um zu sehen, wie das Training fruchtet, ob ich noch irgendwo an Stellschrauben drehen muss oder ob alles so bleiben kann. Hinzu kam, dass sich herausgestellt hat, dass die Bedingungen in Saarbrücken ähnlich wie in Braunschweig waren. Es war nass, nur vielleicht noch ein bisschen kälter als am Sonntag bei der DM.
So gesehen war Saarbrücken praktisch die optimale Vorbereitung...
(lacht) Ja, so kann man es sagen.
Auf jeden Fall haben Sie sich von den schwierigen Wetterbedingungen nicht aus dem Konzept bringen lassen. Haben Sie die Gegebenheiten einfach ausgeblendet?
Also mir wäre trockenes Wetter auch lieber gewesen, aber es war nun einmal anders. Die Bedingungen galten für alle, sie waren für alle Teilnehmer gleich, und es galt, das Beste daraus zu machen. Ich hatte jedenfalls das Gefühl, im Ring genügend Grip zu haben.
Sie sind fit und offensichtlich gut vorbereitet zur DM nach Braunschweig gefahren. Trotzdem bleiben ja Unwägbarkeiten. Wann haben Sie am Wettkampftag gespürt, dass sie gut drauf sind?
Ich mache vor dem Wettkampf und dem Einstoßen immer bestimmte Übungen, um mich einzustimmen. Sprünge, Liegestützen und solche Sachen. Je nachdem, wie mir diese Dinge von der Hand gehen, wie die einzelnen Muskelgruppen darauf reagieren, merke ich, wie ich drauf bin. Am Sonntag in Braunschweig sind sie mir wirklich gut von der Hand gegangen.
Ihr Trainer Joachim Richter hatte nach dem Einstoßen ein gutes Gefühl...
Ich habe da auch gemerkt, dass die Power da ist. Ich habe beim Einstoßen nur einmal aus der vollen Drehung gestoßen, und dabei ist die Kugel gleich gut über 19 Meter geflogen.
Wie sind Sie dann den Wettkampf taktisch angegangen? Haben Sie darauf geachtet, zunächst einmal einen gültigen Versuch zu haben oder sind Sie gleich mit einer gewissen Risikobereitschaft beim ersten Versuch in den Ring?
Die Balance war wichtig. Mir war klar, dass mir ein Sicherheitsversuch, der vielleicht bei 18 Metern landet, auch nicht weiterhilft. Dass gleich der erste Versuch dann auf 19,15 Metern geflogen ist, also genauso weit wie bei meinem Bronzemedaillengewinn vor einem Jahr, war hilfreich. Es war gut, mit der Weite anzufangen, mit der ich letztes Jahr aufgehört hatte. Es bedeutete, dass ich gleich mit meinem ersten Versuch zu 99 Prozent im Endkampf war.
Am Ende hatten Sie die Nase ganz vorne. Wie bewerten Sie ihren Titelgewinn vor dem Hintergrund, dass zum Beispiel Ex-Weltmeister David Storl nicht am Start war und der eigentliche Favorit, Simon Bayer, keinen gültigen Versuch zustande brachte?
Dass ich gewonnen habe, ist schon überraschend, und man muss diesen Titel auch realistisch sehen. Wenn David Storl dabei oder der Eine oder Andere fit gewesen wäre, dann weiß ich nicht, wo ich mit meiner Weite gelandet wäre. Aber diese 19,82 Meter und der Titel geben mir die Sicherheit, dass das Training, so wie ich es mache, Früchte trägt und die Zuversicht, dass ich mich weiter steigern kann.
Sie sehen sich also noch nicht am Ende Ihres Leistungsvermögens?
Es sind noch einige Dinge optimierbar – gerade technisch.
Erzählen Sie uns doch kurz, was Sie nach Ihrem Sieg alles erlebt haben?
Da ist wirklich jede Menge auf mich eingeprasselt. Ich habe unzählige Glückwünsche erhalten – auch von meinen Mitstreitern, die alle gesagt haben, dass ich mir die Goldmedaille absolut verdient hätte, weil ich offensichtlich der Fitteste von allen gewesen sei. Das hat mich natürlich sehr gefreut. Mein Handy ist von den ganzen Glückwunsch-Nachrichten förmlich übergelaufen. Es sind zu viele gewesen, um sie alle beantworten zu können. Aber ich bin wirklich überglücklich, dass sich so viele Menschen mit mir gefreut haben.
Was jetzt nach dem DM-Titel immer wieder auftaucht, ist die Frage nach dem Ticket für Olympia. Damit wird es trotz der Superleistung und der Goldmedaille nichts werden. Bitte erklären Sie noch einmal, warum nicht.
Naja, ganz einfach deshalb, weil die Olympianorm bei 21,10 Metern liegt. Ich bin also aktuell 1,30 Meter davon entfernt. Laien werden jetzt vielleicht sagen, dass diese 1,30 Meter ja kein Problem sein können, aber diese scheinbar kleine Distanz bedeutet einige Jahre enormen Trainingsaufwand – und selbst dann gibt es keine Gewissheit, diese Weite zu erreichen. Sicher ist, dass ich diese Lücke wohl nicht in den nächsten zwei, drei Wochen bei irgendeinem Wettkampf schließen kann.
Bestreiten Sie in nächster Zeit überhaupt einen Wettkampf?
Das steht noch nicht fest und hängt natürlich auch von der Corona-Entwicklung ab. Zunächst möchte ich mich etwas erholen und mit meiner Freundin und meiner Familie eine schöne Zeit haben; sie und mein Trainer waren das Team hinter mir und haben mich unglaublich unterstützt.
Das Gespräch führte Sascha Nicolay