So fordert der Bad Kreuznacher Kreisvorsitzende Michael Cyfka „unmissverständliche Konsequenzen aus der Wahlschlappe“, er sieht „dringenden Erneuerungsbedarf“ in seiner Partei. Welche Rolle dabei Julia Klöckner spielt, „das muss sie für sich selbst einordnen“. Seine Partei spreche nicht mehr die Sprache der Bürger, kritisierte Cyfka.
Klöckner äußerte sich am Montag nur in einer Pressemitteilung: „Der Bundestrend hat es uns nicht leicht gemacht hier vor Ort, im Gegenteil. Dass ich rund 5 Prozentpunkte bei den Erststimmen vor den Parteizweitstimmen liege, ist schön. Aber natürlich bin ich enttäuscht, dass wir es dieses Mal nicht geschafft haben.“ Zum Wahltag hin sei die Stimmung und Zustimmung „nach einem schwierigen Wahlkampf für die CDU immer besser geworden. Das sehen wir in den Ergebnissen im Vergleich zur Briefwahl.“ Zweimal habe sie das Direktmandat im Bundestags-, einmal im Landtagswahlkreis gewonnen, „dieses Mal leider nicht“. Ihre Partei habe „mit einer tollen Mannschaft hier vor Ort sehr engagiert gekämpft. Danke allen Unterstützerinnen und Unterstützern. Es hat Freude gemacht, so getragen zu werden.“
Auch Antje Lezius, die den Nahe-Wahlkreis 2013 und 2017 zweimal in Folge gewann, spricht von einem „verheerenden Ergebnis“ für die CDU. Am Dienstag fliegt sie nach Berlin zur gemeinsamen Sitzung der alten und der neuen Bundestagsfraktion: „Da wird's gewaltig krachen.“ Ihr tue es leid für die vielen Kollegen, die es nicht mehr ins Parlament geschafft haben. In der CDU seien im Vorfeld der Wahl auf Bundesebene „zu viele Fehler gemacht worden“, der Kanzlerkandidat habe sich denkbar ungeschickt angestellt. Dabei sei klar gewesen, dass der Wähler kein „Weiter so“ wolle: „Die Große Koalition hat keiner Partei gut getan.“ Die FDP habe es richtig gemacht, als sie 2017 auf eine Regierungsbeteiligung verzichtete: „Die haben sich erholt und sind nun gestärkt wieder da, um mitzureden.“
Es falle ihr schwer, das zu sagen, aber das sei „auch für die CDU der beste Weg“. Zum Abschneiden ihrer Nachfolgerin im Wahlkreis will sich die Idar-Obersteinerin nicht äußern: „Ich habe Joe Weingarten noch am Sonntagabend zu seinem Sieg gratuliert.“ Ihr habe gefallen, dass er und Klöckner einen „fairen und respektvollen Wahlkampf geführt haben – das war ja nicht immer so...“ Was ihr gar nicht gefalle, sei das starke Abschneiden der AfD im Wahlkreis: „Ich frage mich, wieso das so ist. Diese Partei und auch ihre Kandidatin sind dermaßen rückwärtsgewandt und in ihren Äußerungen oft offen rassistisch.“
Als das Ergebnis am Abend feststand, gab Bettina Dickes, KH-Landrätin und Kreiswahlleiterin, ihre Neutralität ein Stück weit auf und wurde deutlich: „Mit einem besseren Spitzenkandidaten als Armin Laschet wäre ein anderes Ergebnis dringewesen.“ Immerhin stand am Montagmorgen fest, dass Julia Klöckner über die Landesliste doch noch den Einzug ins Berliner Parlament geschafft hat. Selbst das war zwischenzeitlich ungewiss. Da sich aber auch in anderen Wahlkreisen SPD-Kandidaten durchsetzten, blieben am Ende zwei Mandate übrig, die über die CDU-Landesliste vergeben werden, wo Klöckner auf Position eins stand.
Gratulation mit Seitenhieb
Christian Wilhelm, CDU-Vorsitzender im Kreis Birkenfeld, spricht von einem „miserablen und enttäuschenden Ergebnis für die CDU und ihre Direktkandidatin. Dass wir uns im Bundestrend bewegen und Rot-Rot-Grün verhindert wurde, ist da nur ein kleiner Trost“. Gut sei, dass „die Region nun mit zwei Abgeordneten im Bundestag vertreten sein“ (Anm. der Red.: eigentlich sind es sogar drei). Das sei „ein taktisch kluges Ergebnis der Wählerinnen und Wähler für das Naheland“. Wilhelm gratuliert Weingarten mit einem Seitenhieb: „Jetzt kann er zeigen, ob er nicht nur Sprüche klopfen, sondern auch für die Region in Berlin etwas erreichen kann.“
Sabine Brunk, stellvertretende CDU-Stadtverbandsvorsitzende und Stadträtin in Idar-Oberstein, findet deutliche Worte: „Das alles überrascht mich nicht. Uns hat man Armin Laschet einfach so aufgedrückt und Julia Klöckner im Wahlkreis auch. Antje Lezius, die war eine von uns, wurde unsanft aus ihrer Position gekickt. Das ist die Quittung.“ Weder Olaf Scholz noch Laschet hätten aus ihrer Sicht einen eindeutigen Anspruch aufs Kanzleramt
Als SPD-Kandidat Joe Weingarten am Sonntag gegen 20.30 Uhr mit Familie und Freunden in die Kreisverwaltung Bad Kreuznach kam, hatte ihm seine Konkurrentin bereits per SMS-Nachricht zum Sieg gratuliert und somit ihre Niederlage eingestanden. Zwar fehlten zu diesem Zeitpunkt noch Auszählungsergebnisse, doch der Trend war überdeutlich: Starke Verluste für die CDU bei den Erst- und bei den Zweitstimmen, Zuwächse für die SPD in beiden Landkreisen, die den Wahlkreis 201 bilden. Für die Sozialdemokraten war damit der Bann gebrochen: „Die Nahe ist wieder rot!“, freute sich Weingarten und erinnerte an die Zeiten von Wilhelm Dröscher, als die politische Farbenlehre in diesem Landstrich klar definiert war. Das Zwischenhoch der CDU, in der Lezius zweimal das Direktmandat holte, ist Vergangenheit. Den Wahlsonntag beging Weingarten zunächst im heimischen Alsenz, fuhr dann zur Kreisverwaltung nach Bad Kreuznach. Danach gab es noch eine spontane kleine Siegerfeier in Bad Kreuznach mit Freunden und Wahlhelfern.
Spontane kleine Siegesfeier
Er sieht seinen Erfolg auch in der Geschlossenheit der SPD begründet: „Wir waren eng beisammen, haben füreinander eingestanden. Das hat man immer gemerkt. Der Bundestrend hat natürlich auch geholfen.“ Seinen Sieg, genau wie das Abschneiden der SPD im Bund, bezeichnet er als Sensation: „Julia Klöckner ist Bundesministerin, CDU-Landeschefin und stellvertretende CDU-Vorsitzende im Bund...“ Das starke Abschneiden der AfD im Wahlkreis bereitet ihm aber große Sorgen: „Das ist erschreckend. Das ist eine Partei, die keine Diskussionen führt und die keine eigenen Themen hat.“
Auch der FDP-Kreisvorsitzende Matthias Keidel gratuliert Weingarten zum Wahlsieg: „Sein Einsatz für die Region wurde honoriert.“ Mit dem Abschneiden seiner FDP ist Keidel „sehr zufrieden. Die Freien Demokraten gehören zu den Gewinnern der Bundestagswahl. Wir liegen im Wahlkreis genau im Bundesschnitt. Unser Direktkandidat Marvin Griesbach hat ein sehr respektables Ergebnis erhalten.“ Hoffnung für künftige Wahlen mache ihm der Blick auf den Stimmanteil bei den Erstwählern: „Da sind wir bundesweit stärkste Kraft.“ Der Kirschweilerer geht davon aus, dass die Regierungsbildung „eine zähe Angelegenheit“ wird: „Klar ist, dass die FDP in der Regierung gebraucht wird. Eine Große Koalition darf es nicht erneut geben. Das wäre ein fatales Signal. Deutlicher als an diesem Wahlsonntag kann man die CDU nicht abwählen. Eine neue Regierung muss deshalb ein fortschrittliches Bündnis sein, das bei Bildung, Rente, Digitalisierung und in Europa Reformen anstößt. “
Der SPD-Landtagsabgeordnete Hans Jürgen Noss lobt Weingarten für dessen „großartigen und ambitionierten Wahlkampf“. Er habe viele Bürgerkontakte gehabt und dabei seine große Sachkenntnis unter Beweis gestellt. Das sei honoriert worden. „Die SPD ist wieder Nummer eins in Deutschland, in Rheinland-Pfalz, im Nahetal und im Kreis Birkenfeld – das ist sehr schön.“ Der CDU sei am Ende nichts mehr eingefallen als die Linksrutsch-Argumentation. Das habe der Wähler aber durchschaut: „Die SPD ist stärkste Partei und hat die meisten Zugewinne, die CDU die stärksten Verluste. Da ist es für mich unverständlich, dass Herr Laschet weiter Kanzler werden will.“ Noss wünscht sich in Berlin eine Ampelkoalition: „Das hat sich in Rheinland-Pfalz bestens bewährt und ist eine gute Basis, um gemeinsam zu regieren.“
Landrat Matthias Schneider hätte Julia Klöckner ein besseres Wahlergebnis gewünscht: „8 Prozent Verlust im Direktmandat, auch wenn es sich nicht um den gleichen Kandidaten handelte – das ist ein herber Schlag.“ Auch Weingarten habe „trotz des sehr hohen Aufwandes und seiner Omnipräsenz in den vergangenen Wochen“ nur gering zulegen können. „Da sind für mich noch sehr viele Fragen offen. Offenbar war für die CDU der Kanzlerinnenbonus in den vergangenen Jahren sehr groß.“ Es bleibe zu hoffen, dass die Regierungsbildung zum Wohle Deutschlands und vor allem Europas so schnell wie möglich erfolgt. Ich persönlich wünsche mir zwei Dinge: eine Jamaika-Koalition in Berlin und eine inhaltliche wie personelle Erneuerung der CDU.“
Der Idar-Obersteiner Oberbürgermeister Frank Frühauf legt seinen Fokus auf das, was nun kommt: „Es geht um die Bürger. Der Wahlkampf ist vorbei. Es gibt viele Probleme, und uns läuft die Zeit davon. Wir müssen schnellstens eine Regierung erhalten, wie auch immer die aussieht. Und dann muss mit Verstand an Sachthemen gearbeitet werden.“ FDP und Grüne an einem Tisch, um die Lage zu sondieren: „Da gibt es schon genug Reibereien.“
Tanja Krauth, Kreisvorsitzende der Linken, erwartet von ihrer Partei eine schonungslose Analyse: „Da gibt es nichts schönzureden. Das ist ein desaströses Abschneiden.“ Hatte man die falschen Themen? Haben die Wähler den Blick aufs Wesentliche verloren, weil es nur noch um Laschet, Scholz oder Baerbock ging? Aus Krauths Sicht durchaus eine Erklärung: „Im Kreistag werden wir noch intensiver arbeiten. Das steht fest.“ ⋌
Susanne Alfs, Vorsitzende der Kreistagsfraktion von Bündnis 90/Die Grünen, bekennt: Wir haben zwar überall leicht zugelegt, hätten uns aber natürlich deutlichere Zuwächse gewünscht.“ Offensichtlich habe die Wählerschaft die drängenden Probleme nicht so wahrgenommen, wie sich die Grünen das erhofft haben. Im Kreis Birkenfeld habe auch eine Rolle gespielt, dass der Direktkandidat wenig bekannt gewesen sei. Mit Blick auf mögliche Koalitionspartner ihrer Partei auf Bundesebene sagt sie klar: „Die größere Schnittmenge haben wir mit der SPD. Aber das ist nicht so einfach. Da muss man abwarten, was die Gespräche ergeben.“ Der grünen Basis sei eine Koalition mit CDU/CSU kaum zu vermitteln.
Ihr eigenes Abschneiden ist für Linke-Direktkandidatin Bianca Steimle eine riesige Enttäuschung. Das schlechte Abschneiden ihrer Partie führt sie auch darauf zurück, dass der Wahlkampf ganz auf das Duell der Kanzlerkandidaten zugespitzt war, dadurch die Sachthemen und Inhalte in den Hintergrund gedrängt wurden. Man müsse sich aber auch an die eigene Nase fassen. So hätten zum Beispiel viele Sahra Wagenknecht als Spitzenkandidatin vermisst. Dass die Linke über drei gewonnene Direktmandate bei 4,9 Prozent doch noch in den Bundestag einzieht, ist für Steimle nur ein schwacher Trost. Die Partei drohe in der Bedeutungslosigkeit zu verschwinden, zumindest im Westen, fürchtet sie. Bei zwei denkbaren Koalitionen – Jamaika und der Ampel – können die Grünen mitspielen, Regierungsverantwortung übernehmen, mitgestalten. Für den grünen Direktkandidaten im Wahlkreis, Christoph Benze war dies das wichtigste Wahlziel. Und das wurde erreicht. Die Chance für eine Ampelkoalition schätzt er als gut ein. „Darüber bin ich auch sehr froh.“ Seit Montagmorgen sind diese aus seiner Sicht noch gestiegen. Er ist zudem überzeugt, dass es vor Weihnachten eine neue Bundesregierung gibt. Benze bewertet sein Ergebnis und das seiner Partei durchweg positiv. Insgesamt haben die Grünen sowohl in der Stadt Bad Kreuznach als auch im Wahlkreis bei den Stimmen den zweitmeisten Zuwachs verzeichnet, betont er. „Der Klimawandel ist das Thema, das die Menschen bewegt.“ Und er ist überzeugt, wenn das im Wahlkampf eine noch größere Bedeutung gespielt hätte, hätten die Grünen ein noch besseres Ergebnis geholt.