Gonsenheim – Ramirez ist drei Jahre alt und hat einiges erlebt. In einem spanischen Tierheim. Seit einem Tag wohnt er in Gonsenheim – und ist bereits berühmt. Übermäßig reges Interesse an seinem neuen Umfeld haben Gonsenheimer und Ordnungsmacht sieben Stunden auf Trab gehalten.
Durchs Halsband dem Herrchen geschickt entschlüpft, macht er sich auf eigenmächtige Erkundungstour. Ein rot-brauner Setter mit weißer Nase und ohne Halsband rennt absichtslos quer durch Gonsenheim. Herrchen ist völlig aus dem Häuschen, Frauchen auch.
Polizei und Ordnungsamt sind alarmiert und begeben sich auf Spurensuche. Alle zehn Minuten geht ein Anruf ein: Ramirez wurde auf der Breiten Straße gesichtet. In 150 Meter Entfernung an der Ampel am Jux-Platz: Ramirez wartet, bis die Fußgänger Grün bekommen – und überquert die Straße. Herrchen ist bis auf 50 Meter an ihm dran. Ramirez schlägt einen Haken – und flitzt im Affenzahn die Finther Landstraße hoch. Herrchen atmet schwer.
Mit Leine aber ohne Hund wird Herrchen bei unbeteiligten Passanten auffällig: „Sie suchen einen rot-braunen Setter?“ Eine Frage, die Herrchen an diesem Tag 100 Mal gestellt und von ihm mit „Ja – haben Sie ihn gesehen?“ beantwortet wird. Die Richtungsangaben schwanken zwischen Gonsbachtal und Wildpark.
Herrchen tut sein Bestes, um dran zu bleiben. Das Beste ist zu wenig. Ramirez hat selbst nach drei Stunden in feinstem Regen noch nicht die Schnauze voll. Die Polizei meldet: Ramirez wurde am Gonsenheimer Wald gesichtet. Jogger ändern hilfsbereit ihre Laufrichtung, Radler stellen selbstlos ihren Drahtesel zur Verfügung: „Damit können sie dem Tier besser auf den Fersen bleiben.“
Die Polizei versucht es mit Leckerlis. Nur: Ramirez hat gut gefrühstückt und zeigt wenig bis gar kein Interesse an Leckerlis irgendwelcher Art. Herrchen brennen die Füße, Frauchen die Ohren durch ständigen Kontakt mit den freundlichen Beamten von Polizei und Ordnungsamt, die das Tier inzwischen lieb gewonnen haben. Im Radio läuft eine Durchsage – wegen der Autobahnnähe.
Ramirez wohnt gerademal 24 Stunden in Gonsenheim und kennt schon mehr Menschen als seine Halter, die immerhin 20 Jahre hier leben. Herrchen ist nicht nur deswegen verzweifelt! Frauchen auch. Inzwischen ist Ramirez sechs Stunden on Tour – die Ordnungsmacht und unzählige hilfsbereite Gonsenheimer im Nacken.
Levin, Nachbarsjunge von Herrchen, hört bei den Schularbeiten von der breit angelegten Fahndung. Er schnappt sich ein paar Leckerlis seines eigenen Hundes, schwingt sich aufs Rad – und kommt eine halbe Stunde später zurück: mit Ramirez im Schlepptau. Aufgegriffen im Gonsbachtal, völlig fertig mit sich und der Welt. Er schafft es gerade noch ins Körbchen, dann gehen die Lampen aus.
Frauchen und Herrchen sind hoch beglückt und bedanken sich bei ihren vielen Helfern. Dann trinken die beiden eine Flasche feinsten spanischen Rotweins. Und noch eine – und legen sich neben Ramirez. Ab morgen passen wir besser auf, versprechen sich die beiden. Dann wird es auch um sie dunkel.
Sylvio Verfürth