Mainz – Kuppelshows, Knebelverträge, Kandidaten werden nach Drehbuch vorgeführt … Unsere Berichterstattung zum Thema griff das ZDF-Fernsehmagazin „Frontal21“ in seiner Sendung am Dienstagabend auf. Unter anderem zitierte ein Kandidat aus Köln aus dem Drehbuch für die Trash-TV-Sendereihe „Schwer verliebt“ auf Sat.1.
Er bestätigt somit, was Kandidatin Sarah H. aus Fischbach bei Idar-Oberstein unserer Zeitung bereits berichtet hatte. Die 27-Jährige hatte immer wieder betont: „Es gab ein Drehbuch, an das ich mich zu halten hatte, ob ich wollte oder nicht.“
Der Leverkusener Medienfachanwalt Martin Huff, der Sarahs Vertrag auch für unsere Zeitung bewertet hatte, forderte zudem im ZDF-Interview: „Die Landesmedienanstalten haben nach dem Rundfunkstaatsvertrag unter anderem die Aufgabe zu prüfen, ob die Sender gerade auch die Regelung zum Schutz der persönlichen Ehre, also das Persönlichkeitsrecht, einhalten. Das hat mit Menschenwürde erst einmal nichts zu tun, sondern hier geht es um allgemeine Gesetze, und diese Programmgrundsätze werden hier verletzt. Für mich wäre das eine klassische Aufgabe der Landesmedienanstalten, dies zu überprüfen.“
Das sieht die Landesmedienanstalt Rheinland-Pfalz anders, wie es bei „Frontal21“ heißt. „Es geht nicht darum, dass wir die Verträge bewerten. Das ist nicht unsere Zuständigkeit, das machen wir nicht. Wir bewerten und prüfen das, was auf dem Bildschirm passiert. Und hier sind wir dabei“, sagt Joachim Kind, Sprecher der Anstalt.
Joan Kristin Bleicher ist Professorin am Institut für Medien und Kommunikation der Universität Hamburg. Im „Frontal21“-Interview bewertet sie gescriptete Realitiy-TV-Formate und auch den Fall Sarah: „Die Protagonistin hatte bestimmte Erwartungen an den Dreh, aber sie kannte natürlich das Format gar nicht. Auf der anderen Seite waren da Produzenten, die ein Ablaufschema im Kopf hatten, ganz genau wissen, welche Szenen sie wollen. Der Selbstdarstellungswunsch und die Inszenierungsvorgaben der Produzenten sind ein Dauerkonflikt in solchen Formaten.“ Man dürfe Menschen nicht gegen ihren Willen in bestimmte Situationen hineinzwingen, die sie nicht kontrollieren können: „Und man darf Menschen, die das nicht einschätzen können, nicht in dieser Art und Weise bloßstellen und der Lächerlichkeit preisgeben. Da sind meiner Ansicht nach die Grenzen längst überschritten.“
Die Hamburgerin weiter: „Ich glaube, dass Produzenten deutlicher beachten sollten, was Menschwürde ausmacht und eine würdige Darstellung eines Menschen ist. Das, was im Moment dominiert, ist wirklich der Unterhaltungswert der Menschen und nicht ihre selbstbestimmte Darstellung ihrer eigenen Lebenswelt. Insofern sollten die Produzenten deutlicher darauf achten, wie sie mit den Kandidaten umgehen und in welcher Art und Weise sie inszeniert werden. Ob man damit allerdings Quote machen kann, ist die andere Frage. Spricht man mit Zuschauern, ist erschreckend, wie viele glauben, dass es sich um dokumentarische Produktionen handelt. Und genau da sollte man deutlichere Hinweise geben.“ Ihr Fazit: „Ich glaube, wir brauchen ein neues ethisches Bewusstsein, auch für Menschenwürde.“
Schlechte Erfahrungen mit Reality-TV hat auch die aus Idar-Oberstein stammende Familie Fischer gesammelt. Sie lebt seit viereinhalb Jahren in Australien und nahm an der Auswanderer-TV-Serie „Goodbye Deutschland“ teil. Unsere Zeitung fragte nach. Udo Fischer erzählt: „Es wurden teilweise gestellte Szenen gedreht, weil es dramatischer rüberkommen sollte, als es in Wirklichkeit war. Und dann wurde das Ganze teilweise so geschnitten, wie die Fernsehmacher es darstellen wollten.“
Unterdessen wurde im sozialen Netzwerk Facebook eine Solidaritätsseite „Gegen menschenverachtende TV-Formate à la ,Schwer verliebt’“ eingerichtet. Wer bei Facebook angemeldet ist, kann dort durch einen Klick auf „Gefällt mir” seine Unterstützung bekunden. Ebenso ist es möglich, durch „Teilen” der Seite seinen eigenen Bekannten bei Facebook einen Hinweis auf die Seite zu geben.
Von unserer Redakteurin Vera Müller