Neuwied/Bad Breisig/Parabe- Knapp 1700 Kilometer über Autobahnen und Landstraßen durch Deutschland und Polen mitten ins Herz Europas führt der Weg nach Pabradis Vaikil Globos Namai. Es ist ein Heim mit Schulanschluss für Kinder aus untersten sozialen Verhältnissen in der Kleinstadt Pabrade in Litauen, 40 Kilometer nördlich der Hauptstadt Vilnius und nur fünf Kilometer von der Grenze nach Weißrussland entfernt. Die beiden Patenschulen in Neuwied und Bad Breisig haben nun einen Hilfstransport nach Pabrade gestartet.
Zieht man eine Linie diagonal vom nördlichsten Punkt unseres Kontinents zum südlichsten, und vom westlichsten zum östlichsten, dann liegt der Schnittpunkt nur sechs Kilometer westlich der litauischen Kleinstadt. Der kleine baltische Staat ist seit 2004 Mitglied der EU. Seit dem Beitritt zum Schengener Abkommen am 21. Dezember 2007 sind die Grenzübertritte zu Polen und Litauen zwar unkompliziert, die Fahrt über die für große Lkw zwar gesperrten, aber dennoch mit Vollgas genutzten Landstraßen in Ostpolen und Litauen selbst jedoch weiterhin abenteuerlich.
In Pabrade ist das Heim eine Heimat für Kinder aus den untersten sozialen Schichten und Armutsverhältnissen geworden. Viele der Kinder sind traumatisiert wie der kleine Silva, der mit mehr als zwei Promille Alkohol im Blut das Licht der Welt erblickte – von einer Mutter, die mit 3,6 Promille im Krankenhaus zur Geburt eingeliefert wurde. Oder die achtjährige Miriam, die miterlebte, wie der volltrunkene Vater die Mutter mit einem Beil tötete. 61 Kinder sind es zurzeit, die im Heim Unterkunft finden, liebevoll betreut werden und sich in öffentlichen Schulen des 7000-Einwohner-Städtchens auf ein Leben ohne Angst vorbereiten. Seit 1982 ist Joleta Veronika Dubauskiene Rektorin des Heims, in dem zeitweise 260 Kinder gewohnt, gespielt und gelernt haben, betreut von 80 Mitarbeitern wie Lehrern, Erzieherinnen, Köchinnen, Elektrikern, Handwerkern und Hausmeistern.
Mittlerweile ist das alles ganz anders. Jetzt ist die Europäerin Joleta gar nicht mehr so gut auf Brüssel und die EU zu sprechen: Geblieben ist von all dem Positiven, was in der Vergangenheit vielen Kindern zum Segen geworden ist, nur noch das gemeinsame Essen. Ständig kommen neue Verordnungen, wenn die alten noch gar nicht erfüllt sind. So wurde 2003 aus dem Internat ein Kinderheim, von dem aus 160 Kinder die öffentlichen Schulen der Stadt besuchten. Hier im Heim blieb nur noch die Förderung in musisch-künstlerischen Bereichen und im Sport. Dann wurde die Küche auf europäischen Standard gebracht, was heute schon wieder überholt ist. Denn die Zahl der Kinder darf gegenwärtig 60 nicht mehr überschreiten, und die müssen sich zusammen mit einer Erzieherin in Kleingruppen selbst verpflegen. „Wir müssen im Rahmen der freien Marktwirtschaft überwiegend kostendeckend arbeiten und neue Wege gehen, soll nicht eine Etage in unserem Heim aus Kostengründen komplett geschlossen werden.“ So plant die Rektorin nun ein Tageszentrum für Senioren und Behinderte, ein Beratungszentrum für Risikofamilien – nicht nur im Haus, sondern auch mit externen Besuchen. Darüber hinaus will sie eine Kleiderkammer für sozial schwache Familien einrichten, die für alle Altersklassen geöffnet sein soll. Ein Plan, bei dem sie Unterstützung braucht, so wie sie die Malteser in Halle an der Saale seit 1996 und ein Freundeskreis im nördlichen Rheinland-Pfalz seit 2005 anbieten.
Aus Halle schwappte die Welle der Hilfsbereitschaft aufgrund verwandtschaftlicher und freundschaftlicher Beziehungen an den Rhein. Mit der Heinrich-Heine-Realschule Neuwied sowie der Lindenschule in Bad Breisig beteiligen sich mittlerweile zwei Patenschulen an dem Projekt „Hilfe für Pabrade“.
In diesem Jahr war die Lindenschule erstmals dabei, während in Neuwied bereits Routiniers an der nächsten Fahrt arbeiten. Dabei packen die Schüler persönliche Päckchen für die Kinder in Litauen, werden Kleiderspenden, jetzt für alle Altersklassen, gern entgegengenommen und werden auch Geldspenden direkt an die Rektorin übergeben. Zuletzt war es zum Beispiel ein annähernd vierstelliger Betrag, den Joleta Dubauskiene zum Ausbau von zwei Kleinküchen für die neu zu bildenden Kleingruppen einsetzen will.
Sie kämpft weiter, allen Schwierigkeiten zum Trotz. Für „ihre Kinder“ und jetzt für alle sozial Schwachen in Pabrade und Umgebung – „wenn die Hilfe nicht auch noch irgendwelchen EU-Normen zum Opfer fällt“. Die Rektorin erhält weiterhin die Unterstützung der Malteser in Sachsen-Anhalt und von Privatleuten sowie den Schulen aus den Kreisen Neuwied und Bad Neuenahr-Ahrweiler, die sich ihrerseits über die großzügige Unterstützung vieler Sponsoren freuen. So beispielsweise von HELFT UNS LEBEN, der Hilfsaktion unserer Zeitung, der Lotto-Stiftung oder der Autovermietung Leute/Sinzig.
(Von Peter Armitter)