Um die Partie zwischen dem SC Idar-Oberstein und dem TuS Kirchberg zu beschreiben, genügen eigentlich zwei Phrasen aus dem Handbuch für Fußballexperten. Merke erstens: Wer seine Chancen nicht verwertet, der wird dafür bestraft! Merke zweitens: Glück muss man sich erarbeiten!
Der SC Idar-Oberstein besaß über die 90 Minuten im Haag tatsächlich unglaublich viele Möglichkeiten. 13 große waren es am Ende, und ein paar kleinere kamen noch hinzu. Er nutzte keine einzige davon. Der TuS Kirchberg war dagegen exakt zweimal vor dem Idarer Tor. Das reichte den Gästen aber, um Phrase eins zu bestätigen und den entscheidenden Treffer anzubringen. Damit dieses Tor des Ex-Idarers Yannik Kerzan aus der 9. Minute am Ende genügte, um den SC Idar-Oberstein auszuknocken, kämpfte der TuS Kirchberg wahnsinnig. Er warf all seine Leidenschaft, sein defensives Geschick, seine Willenskraft in die Waagschale. Er arbeitete extrem angestrengt und schuf so die Voraussetzung dafür, das Phrase zwei mal wieder Gültigkeit besaß.
„Von der Mentalität und Leidenschaft her, war unser Sieg nicht unverdient“, sagte TuS-Coach Patrick Joerg. „Und außerdem“, bemühte Joerg einen Vergleich höherer Ebene: „Es redet doch keiner mehr davon, dass Liverpool unverdient das Champions-League-Finale verloren hat, sondern jeder davon, dass Real Madrid einen weiteren Titel in seiner Vita stehen hat.“ Kirchberg wie Real, der SC Idar wie Liverpool – der Vergleich ist durchaus zulässig, zumal Joerg indirekt damit zugibt, dass der eigene Sieg tatsächlich schon sehr, sehr glücklich war. „Ich glaube nicht, dass die bessere Mannschaft gewonnen hat“, sagte Flavius Botiseriu, der den SC als Kapitän aufs Feld geführt hatte.
Botiseriu: Es war zu wenig von uns
Der Ex-Profi im Idarer Dress machte es sich freilich nicht so einfach, alleine fehlendes Abschlussglück für die Niederlage verantwortlich zu machen. Er stellte klar: „Wir müssen uns nicht über irgendetwas beim Fußballgott beschweren. Wir müssen uns an die eigene Nase fassen. Wir haben nicht gewonnen, weil unsere Mannschaftsleistung in einem Heimspiel vor toller Kulisse nicht ausgereicht hat.“ Es sei „zu wenig von uns“ gewesen, meinte Botiseriu und erklärte: „Wir hätten noch engagierter, noch aggressiver sein müssen.“
Zumindest auf die Anfangsphase bezogen stimmte Botiserius Kritik. Tatsächlich kam der TuS Kirchberg besser in die Partie, wirkte wacher, giftiger, williger, heißer als der SC. Und während die Kirchberger Bank ab der ersten Minute jeden Ballgewinn, jeden gewonnenen Zweikampf, jeden ins Aus gegrätschten Ball feierte und sich so selbst die notwendige Kampfatmosphäre schuf, wirkten die Idarer zunächst so, als seien sie gedanklich noch bei der Verabschiedung von Florian Muuss und Lukas Stallbaum kurz vor dem Anpfiff. Womit wir bei einem wichtigen und entscheidenden Unterschied zum Champions-League-Finale sind.
Dort hatte Liverpool von Anfang an das Heft in der Hand und auch die ersten klaren Möglichkeiten. Das war im Haag nicht so. Wenn von Kampfrichtern Wertungspunkte verteilt worden wären, dann wären die ersten an den TuS Kirchberg gegangen. Nicht umsonst hatten die Gäste auch die erste Chance des Spiels, die sie auch gleich nutzten. Dass ausgerechnet der Ex-Idarer Yannik Kerzan sie zum 1:0 nutzte, gehört in die beliebte Kategorie „Geschichten, die nur der Fußball schreibt“.
Es ehrt den spielenden SC-Kotrainer Christian Henn, dass er keine Ausflüchte suchte, sondern das Kirchberger Tor auf seine Kappe nahm, aber „es war das Schlimmste, was passieren konnte“, sagte Coach Baumgartner und erklärte: „Es hat die Kirchberger in die Lage versetzt, etwas zu verteidigen, und das haben sie beherzt getan.“
Allerdings nahm der SC den Kirchberger Wirkungstreffer wie ein guter Boxer. Er schien die Gastgeber geweckt zu haben, angestachelt. Der SC begann nämlich, sich zu wehren – kämpferisch, aber augenfällig auch immer wieder fußballerisch. Gerne über seine rechte Seite, wo Danny Lutz und Marius Botiseriu den Kirchberger Linksverteidiger Patrick Sehn Henn ein ums andere Mal überforderten und Chancen vorbereiteten.
Unterstützt wurden sie meist trefflich von Flavius Botiseriu. Jedoch – auf der anderen Seite ging wenig bis gar nichts. Marius Gedratis hatte ebenso einen schlechten Tag erwischt wie die Brasilianer Alex und Thiago. Womit wir bei einem weiteren wichtigen Grund für die Idarer Niederlage wären: Zu viele Akteure waren zu weit weg von ihrer Bestform. Das trifft irgendwie auch auf Florian Zimmer zu.
Zimmer-Service liefert nicht
Der Torjäger des SC rackerte, spielte, kämpfte, vergab aber reihenweise beste Möglichkeiten. Der Zimmer-Service lieferte diesmal einfach nicht. Alle vier Top-Gelegenheiten in Durchgang eins gingen auf sein Konto. Zweimal schoss er haarscharf aus 16 Metern rechts vorbei (12., 19.). Zwischendurch hatte er nach einem Traumpass von Lennert Arend TuS-Keeper Marc Reifenschneider schon ausgespielt, wartete aber zu lange mit dem Abschluss und scheiterte dann an Sehn Henn auf der Linie (17.). Und dann hätte sein Kopfball nach einem Gedratis-Freistoß wohl das 1:1 gebracht, wenn Reifenschneider nicht noch irgendwie die Hand an den Ball gebracht hätte.
Diese Rettungstat des Tormanns stand symbolisch für den Kirchberger Auftritt. Sie vereinigte Klasse und viel Glück. Klasse war nämlich der Reflex. Glück war, dass Reifenschneider damit kaschieren konnte, dass er sich beim Rauslaufen eigentlich verschätzt hatte.
Womit wir nebenbei bei zwei weiteren Punkten wären, warum der SC ohne Erfolgserlebnis blieb. Zum einen besaßen die Idarer zwar 13 Möglichkeiten, aber sie trafen das Tor relativ selten. All zu viele Glanztaten musste der Sicherheit und Souveränität ausstrahlende Reifenschneider gar nicht zeigen. Ziemlich viele dieser Chancen landeten neben oder über dem Kasten. Zum Zweiten hatte der SC zwar 14 Eckbälle und sicher ähnlich viele Freistöße. Wirklich gefährlich wurde es aber nur ganz selten. Nur der eingewechselte Alexander Davidenko hätte nach einer verlängerten Ecke treffen können, ja müssen. Frei konnte er am Fünfereck volley schießen, traf die Kugel aber nicht richtig (54.).
Ein bisschen Glück hatte der SC Idar-Oberstein übrigens auch – nämlich dass er nur mit einem 0:1-Rückstand in die Pause ging. In der Nachspielzeit der zweiten Hälfte konterte der TuS Kirchberg nämlich großartig, und Kerzan lief von rechts alleine auf Keeper Michel Schmitt zu. Wenn er den mitgerannten Artem Sagel auf der anderen Seite des Strafraum gesehen und bedient hätte, dann wäre das zweite Kirchberger Tor mit dem zweiten Angriff fällig gewesen. Kerzan scheiterte aber an Schmitt, der den Abschluss stark blockierte (45.+1). Danach tauchte der TuS Kirchberg eigentlich nicht mehr gefährlich in der Nähe des SC-Torwarts auf.
Schnell Chancen nach der Pause
Es wäre spannend gewesen zu sehen, wie der TuS Kirchberg auf einen schnellen Idarer Ausgleichstreffer reagiert hätte – ob er so leidenschaftlich und defensiv ordentlich organisiert geblieben oder ob er in sich zusammengebrochen wäre. Es bleibt Spekulation, denn der SC traf ja nicht, obwohl Davidenkos schon beschriebene Gelegenheit in der 54. Minute schon die dritte nach der Pause war. Zuvor hatte Lutz ans Außennetz geschossen (48.), und Flavius Botiseriu war mal wieder wie ein gereizter Stier durchgegangen, hatte dann aber zu schwach abgeschlossen. Die Kugel passierte zwar noch Reifenschneider, nicht aber Tim Müller, der relativ mühelos kurz vor der Linie klärte (51.).
Danach ging es für den zunehmend müder werdenden SC nur noch um den Ausgleich, der freilich alle Chancen im Aufstiegsrennen gelassen hätte. Ganz nah dran war das Baumgartner-Team in der 75. Minute, als sich Lutz rechts durchwurschtelte, quer auf Justus Klein spielte, um dann dessen Pieken-Schuss selbst im Weg zu stehen. Der Ball tanzte auf der Linie zwischen Klein, Lutz und Keeper Reifenschneider, rollte dann aber statt ins Tor zur nächsten Ecke, die mal wieder verpuffte.
„Ich kann meiner Mannschaft eigentlich keinen großen Vorwurf machen. Es gibt halt so Tage, da will der Ball nicht ins Tor, so bitter das ist“, sagte Baumgartner. In der dritten Minute der Nachspielzeit riss es allen Idarern noch einmal die Arme nach oben. Zimmer, der in Minute 71 per Kopf aus ähnlicher Position wie Kerzan bei seinem Siegtreffer das Tor verfehlte, machte diesmal im Prinzip alles richtig. Sein Schuss war gut und unerreichbar, aber er krachte an die Latte. Und als Sekunden später Philipp Schneider an Keeper Reifenschneider scheiterte, war auch die 13. Chance der Idarer verpufft, der Kirchberger Sieg perfekt und die Oberliga für den SC Idar-Oberstein ganz weit weg.