Mit einem Grinsen setzt sich Michael Schug eine vor Jahren gehäkelte, bunte Mütze auf den Kopf. Sie mutet an wie die Häkelmützen, die einst auf Toilettenrollen thronten, die dekorativ in der Hutablage eines Autos zu finden waren. Michael Schug leidet nicht an Geschmacksverirrung, sondern ist an diesem Abend Pudelkönig. Die Mütze muss er tragen, weil er vier Wochen zuvor beim Treffen des Kegelklubs „Senn esch dran“ die meisten „Rinnen“ (auch „Pudel“ genannt) kegelte. Seine Schande leuchtet auf dem Kopf – und bleibt ihm nun so lange erhalten, bis der nächste bei einem Spiel daneben kegelt. Dass das ausgerechnet seine Frau ist, wird von den Kegelfreunden mit Humor genommen.
Besser haben es da die Kegelkönigin Katja Lück und Kegelkönig „Honne“ (Thomas Ulbrich), die stolz auf ihre Insignien sein können: Eine glänzende Silberkette mit einem Kegelanhänger gebührt der Frau, die beim letzten Treffen am besten kegelte, der König ist an einem Anstecker zu erkennen, der aus einer Krone mit einem kleinen Kegel daran besteht. Wie lange das Königspaar in Amt und Würden bleibt, ist nicht genau zu sagen. Kann es doch sein, dass beide auch an diesem Abend vielleicht wieder am besten da stehen bei Spielen, die so klingende Namen haben wie „Böse Fünf“, „kleine und große Hausnummer“ oder „Seifenkistenrennen“ und „Hürdenlauf“. In der Regel müssen aber Königinnenkette und Königsanstecker am Ende eines Kegelabends an neue Gewinner weitergereicht werden.
Mit welchem Spiel die Kegelfreunde beginnen, das sucht an diesem Abend „Kalle“ (Volker Birk) aus, der überzeugt ist: Unser Kegelverein, das ist der „geilste Club der Welt“! Gemeinsam mit seiner Frau Corinna Birk kam er vor sechs Jahren zu dem Kegelclub hinzu, der sich einmal im Monat im Gasthaus „Zur Linde“ in Mudenbach trifft. Jeder versucht, diesen Termin wahrzunehmen. „Ich freue mich tierisch darauf, da ist immer eine Bombenstimmung“, bekennt Gründungsmitglied Michael Lück. Er lacht und erzählt, was es mit dem Namen des Klubs auf sich hat: An den Kegelabenden geht es stets so ausgelassen zu, dass es immer wieder vorkam, dass unter allem fröhlichen Plaudern und Gelächter jemand im besten Platt fragte: „Senn esch dran?“ Und schon war der Name gefunden.
„Wir haben aber schon Ehrgeiz“, sagt Katja Lück, „wir werfen ja nicht einfach die Kugel nach vorn.“ Und ihr Mann Michael ergänzt: „Wir können gezielt eine Zahl kegeln.“ Egal ob Einzel- oder Mannschaftsspiel, immer steht dabei der Spaß im Vordergrund. „Wir sind ja kein eingetragener Kegelverein, der Hochleistungssport macht“, betont Michael.
Der Kegelclub ist ein munteres Trüppchen, das die verschiedensten Berufe vereint – vom Berufssoldaten bis zum Schornsteinfegermeister, einer Arzthelferin oder einem Metallbauer. Die Freunde kommen aus verschiedenen Orten des Westerwaldes, sind zwischen 38 und 59 Jahren jung und kennen sich eigentlich schon viel länger – als Fußballer kickten beispielsweise ein Teil der Männer gemeinsam bei der SGN Müschenbach. „Wir sind eine richtig gute Clique“, sagen die Freunde.
Zu erkennen ist „Senn esch dran“ an den schwarzen Shirts mit dem Vereinsnamen, auf deren Rückseite originelle Sprüche wie „Nicht nur mit der Kasse einfach klasse“ oder „Im Club das Küken, aber im Gackern ganz groß“ stehen. „Das sind Wichtelgeschenke“, erklärt Präses Michael Lück, der selbst die Slogans passend zu jedem Spieler kreiert hat. Er hält die organisatorischen Fäden in der Hand. Zu seinen Aufgaben gehört beispielsweise, dass sich die Kegelbrüder und -schwestern bei ihm abmelden, wenn sie an einem der Treffen nicht teilnehmen können. Was schade für sie ist, denn dann verpassen sie „den lustigsten Tag im Monat“, wie Lück sagt. Auch die „Genehmigung“ eventueller Gastkegler läuft über ihn. Eingeläutet wird der feucht-fröhliche und sportliche Abend von einigen bereits mit einem leckeren Abendessen in ihrem Vereinslokal „Zur Linde“. Schließlich muss ja eine ordentliche Grundlage gelegt werden, bevor der Kegelverein die 14 Stufen hinab zur Kegelbahn steigt, das Licht anknipst und kurze Zeit später die ersten Kugeln schiebt.
„Senn esch dran“ ist einer von zehn Kegelklubs, die regelmäßig in der „Linde“ ihrem Hobby frönen. Seit 1971 gibt es in dem Gasthaus bereits eine Kegelbahn, erzählt Wirtin Ingrid Henn. Damals sei die Nachfrage so groß gewesen, dass sich ihre Eltern Luise und Heinz Christian dazu entschlossen, gleichzeitig mit einem weiteren Gasthaus in Mudenbach eine Kegelbahn einbauen zu lassen. Anfangs wurden sogar Wettkämpfe auf der Bundeskegelbahn durchgeführt. „Das war ein richtiger Boom, fast jeden Abend war ein Klub da“, erinnert sich Ingrid Henn.
Diese Zeiten sind längst vorbei, seit rund fünf Jahren ist die Nachfrage gravierend zurückgegangen. Weil manche der Kegelbrüder einfach zu alt für ihr Hobby geworden sind, andere nicht so regelmäßig kommen wollen, es die Jugend eher zu einer Bowlingbar ziehen würde, mutmaßt die Wirtin. Lange Zeit zum Erzählen hat sie nicht an diesem Abend. Die „Senn esch dran“-Freunde haben nun ihr Essen bestellt, ihre Gläser wollen nachgefüllt sein, und in der Gaststube warten noch weitere Gäste.
Dann ist es so weit: Der Kegelclub schreitet zur Tat. Fröhlich geht es die Treppen hinab, dann beugen sich alle der Pflicht ihres ersten Rituals: In ein Brett stecken sie kleine, nummerierte Kegelfiguren. Der Präses schreibt an die Tafel mit Kreide alle Namen, und Kalle verkündet das erste Spiel..
Es wird laut, nicht nur, weil Kalle die Musik anwirft – querbeet von Rock bis Partymusik. Logistiker Schuggi (Michael Schug) ordert bei der Vereinswirtin die erste Runde. Sie wird von Kalle spendiert, der auf seine zehnjährige VDK-Mitgliedschaft anstoßen lässt. Die Runde wird vom Präses mit einem donnernden Spruch angekündigt, in den alle kräftig einstimmen: „Wir bedanken uns für diese Runde mit einem donnernden, schallenden, ewig knallenden, niemals verhallenden Gut – Holz, Gut – Holz, Gut – Holz, Holz, Holz. Prost, ihr Säcke! Prost du Sack!“
Insgesamt sechs Spiele absolvieren die Freunde an diesem Abend. Elektronisch wird gezählt, dass knapp 500 Kugeln die Bahn entlangsausten. Noch ganz ohne Elektronik trägt Kassenwartin Katja Lück in einem Heft die Ergebnisse ein. Nach knapp vier Stunden wird das Licht in der Kegelbahn ausgeknipst, nachdem die neuen Würdenträger gekürt worden sind: Neue Kegelkönigin ist Bettina Schug, der Kegelkönig heißt Michael Lück, und die Häkelmütze hat nun beim nächsten Treffen Michael Schmidt zu tragen.