Mainz – 16 Pflichtspiele haben die Profis von Trainer Jürgen Klopp bereits in den Knochen, mehr als jeder andere Bundesligaspieler. Die Borussia hat in der Europa League schon beim FK Karabakh Agdam (1:0) und beim FK Karpaty Lwiw (4:3) gespielt, in Dortmund stellten sich der FC Sevilla (0:1) und Paris St. Germain (1:1) vor.
Am Mittwoch sind die Dortmunder im DFB-Pokal bei Kickers Offenbach (0:0) im Elfmeterschießen ausgeschieden. An diesem Sonntag steht das Bundesliga-Spitzenspiel in Mainz an. Danach geht es nach Lwiw, danach zum Tabellendritten Hannover 96. Die MRZ sprach exklusiv mit dem langjährigen Mainzer Volkshelden Jürgen Klopp (43).
Herr Klopp, hatte das Pokal-Aus bei einem Drittligisten in diesen Stresswochen auch zu tun mit zunehmenden Kräfteverschleiß?
Offenbach war für mich schwer zu verarbeiten. Und noch schwerer zu akzeptieren. Wir hatten gefühlt 80 Prozent Ballbesitz und vier, fünf riesengroße Chancen. Da habe ich zwischendrin gedacht: Meine Fresse, jetzt schießt den Ball doch einfach mal rein! Wir waren vorne nicht durchschlagskräftig.
Natürlich haben wir diese 16 Spiele in den Knochen. Aber haben wir deswegen weniger Kraft? Uns hat in Offenbach von Anfang etwas gefehlt, und wir haben nicht mehr in die Spur gefunden. Klassisch. Kraftverlust ist für uns kein Thema.
Wir haben eine intensivere Zeit als Mainz, ganz klar. Aber müde ist man nur, wenn man darüber nachdenkt. Offenbach eingeschlossen haben wir vier Auswärtsspiele hintereinander, aber wir machen uns deswegen doch keinen Kopf.
Und nun das Bundesliga-Spitzenspiel am Bruchweg. Erster gegen Zweiter. Was löst das bei Ihnen aus mit Ihrer Mainzer Vorgeschichte?
Das ist außergewöhnlich, das ist überragend. Supergeil. Und das war ja schon seit drei, vier Wochen absehbar, dass dies das absolute Spitzenspiel wird. Den Ergebnissen nach, das muss man ganz klar sagen, haben diese beiden Mannschaften die Liga dominiert. Das direkte Aufeinandertreffen zu diesem Zeitpunkt ist wahnsinnig reizvoll. Für alle.
Was macht den Erfolg der Mainzer Ihrer Meinung nach aus?
Erstens: Sie haben einen außergewöhnlich guten Kader. Zweitens: Der Trainer geht mit diesem Kader außergewöhnlich gut um. Drittens: Sie bringen an jedem Spieltag elf Spieler auf den Platz, und das sind ja nicht immer dieselben, die den Plan eindrucksvoll umsetzen. Und zwar fast immer Eins zu Eins. Das alles ist Qualität, und das führt zu Ergebnissen. Darüber hinaus haben die Mainzer sich eine individuelle Qualität, die erarbeitet und transferiert ist.
Was beeindruckt Sie bei den Mainzern mannschaftlich?
Die enorme Bereitschaft, die mannschafts- und gruppentaktischen Vorgaben umzusetzen. Das hängt zusammen mit der Überzeugungskraft des Trainers. Natürlich spielen da auch die guten Ergebnisse eine Rolle. Und dann fällt mir auf, dass die Bereitschaft da ist unabhängig von Zwischenständen oder bestimmten Entwicklungen im Spiel. Auch das ist Qualität.
Wie würden sie die individuelle Qualität der Mainzer beschreiben?
Ganz einfach: Ein Malik Fathi sitzt auf der Bank, weil ein Christian Fuchs so stark spielt. Das sagt schon alles. Rechts spielt ein Zabavnik, und Heller sitzt draußen, der das auch sehr, sehr gut spielen kann. Noveski ist der überragende Innenverteidiger, Superklasse. Bo Svensson ist als Innenverteidiger einer der besten Aufbauspieler der Liga, wegen seiner Passqualität haben wir ihn damals ja auch aus Gladbach geholt. Soto, Karhan und Polanski als Sechser. Schürrle, Holtby, Risse davor. Szalai, Allagui, Rasmussen im Sturm.
Das ist nicht Bayern München, das ist auch nicht HSV. Aber das ist Qualität, eine sich entwickelnde Qualität. Und das ist in Verbindung mit der Laufbereitschaft und der mannschafts- und gruppentaktischen Qualität brandgefährlich.
Beide Mannschaften haben einen sehr ähnlichen Ansatz in der Spielweise. Artet das am Sonntag in einen Pressingkrieg aus?
Das könnte passieren. Wobei beide Mannschaften ja auch deutlich darum bemüht sind, in den Räumen, die sich ergeben, Fußball zu spielen. Das wird am Sonntag vielleicht etwas schwierig, aber wir werden es versuchen. Wenn wir im Training Elf gegen Elf spielen, dann ist das brutal. In der Liga hat sich noch niemand so auf uns gestürzt, wie wir das im Training praktizieren. Am Sonntag ist es so, dass sich beide Mannschaften in der Mentalität und in der Bereitschaft nur im Promillebereich voneinander unterscheiden. Es wird also für beide gleich schwer, das Fußballerische durchzubringen.
Es macht den Eindruck, als habe sich das Passspiel Ihrer Mannschaft im Vergleich zur Vorsaison deutlich verbessert...
Wir haben seit dem Sommer das Training noch mal umgestellt. wir haben unseren Ballbesitz in den Vordergrund gerückt. Und da haben wir uns eindeutig verbessert. Wir waren in allen Spielen, ganz besonders beim 0:1 gegen Sevilla, die dominierende Mannschaft. Wir haben das Gefühl und die Gewissheit: Wenn wir uns alles abverlangen, dann sind wir ein extrem unangenehmer Gegner, der auch Fußball spielen kann. Aber das gilt ja auch für die Mainzer. Das Tor zum 1:0 gegen Hoffenheim zum Beispiel war Weltklasse herausgespielt. Der Gegner steht hoch, der Pass von Holtby war genau richtig reingelegt in die Gasse.
Thomas Tuchel und Jürgen Klopp dominieren mit ihren ähnlichen Spielweisen die Bundesliga? Was sagt das aus?
Sagen wir es so: Diese Spielweisen haben bis zum 10. Spieltag zu Ergebnissen geführt. Wir als Trainer geben aber nur den Plan vor. Entscheidend ist, dass die Qualität der Spieler diesen Tabellenstand auch hergibt. Tatsache ist, dass wir nicht die individuelle Qualität haben wie etwa die Bayern.
Oder nehmen wir Edin Dzeko. Dem gibst du den Ball, und dann macht der das Ding irgendwann rein. Was bleibt ohne Dzeko-Qualität? Es geht dann nur über mehr Invest. Wir laufen wie die Wahnsinnigen. Würden wir so in der Bezirksliga antreten, dann würden wir uns wahrscheinlich gegenseitig über den Haufen rennen.
In der Bundesliga, das machen wir den Jungs klar, ist das mit unseren Möglichkeiten der einzige Weg zum Erfolg. Natürlich ist das der anstrengendere Weg. Und jeder weitere Punkt verbessert die Basis.
Spiegelt das Tabellenbild die Qualität beider Mannschaften wieder?
Am 10. Spieltag eindeutig ja.
Das Gespräch führte Reinhard Rehberg