Aus Bayreuth berichtet unser Kulturchef Claus Ambrosius
Vermeintlich sakrosankte Traditionen, aufgebauschte Momente des dramatischen Ausharrens, überpathetisches Zerdehnen: All das findet in diesem, durch die Attentatserie in Bayern in der vergangenen Tagen in Bayern deutlich überschatteten „Parsifal“, auf dem Grünen Hügel nicht statt. Stattdessen erleben die aus Sicherheitsgründen um den roten Teppich und den traditionellen Staatsempfang gebrachten Premierengäste ein schlankes, dabei durchaus effektvolles und punktgenaues Dirigat eines Wagner-Experten, der trotz minimaler Probenzeit und dank eigenem mitgebrachten Notenmaterial (beinahe ein Sakrileg) diese Eröffnung durchaus gerettet hat. Sein Vorteil: Man war auf ihn angewiesen, Bayreuths musikalischer Spiritus Rector Christian Thielemann hielt sich nach dem Verprellen Andris Nelsons mit unerbetenen Ratschlägen heraus. Der Stunt gelang – und das dafür durchaus sensible Bayreuther Publikum feiert Haenchen und das Orchester, die Wagners letzte Oper in einer durchgängig flotten Tempi, aber – abgesehen von der leicht atemlosen Blumenmädchenszene – dabei kaum übereilten Interpretation zelebrieren.
Wechsel in der Regie
Auch in der Regie hatte jemand übernommen, allerdings nicht in letzter Minute: Schon viele Monate ist der Rauswurf Jonathan Meeses her. Dass man die bildenden Künstler überhaupt jemals verpflichtet hatte, war so dumm nicht: Nach Stefan Herheim, der die jüngste „Parsifal“-Deutung auf dem Hügel geschaffen hatte, die wegen ihrer zahlreichen Deutungssysteme und Bildmächtigkeit von nahezu allen Zuschauern außer der Festspielleiterin als epochal gefeiert wurde, musste etwas gänzlich Anderes her, was sich dem Vergleich mit Herheim schon ästhetisch nicht würde stellen müssen. Doch Meese scheiterte schon am Erstellen umsetzbarer Bühnenentwürfe: Uwe Eric Laufenberg, Intendant in Wiesbaden, hatte noch einen unbenutzten „Parsifal“ in der Schublade und übernahm. Und genau an dieser Stelle tritt ein „Herheim-Effekt“ ein: Auch Laufenberg fährt mehrere Deutungsebenen auf – allerdings bietet er nicht die volle Breitseite durch Interpretations- und deutsche Geschichte wie sein Vorgänger, sondern verengt die Sicht auf den Aspekt der auf einen Gott bezogenen Religionen – unter Ausblendung nicht nur der starken Bezüge des Librettos zum Buddhismus und anderen Lehren. Für seine Gralsrittergemeinschaft gibt es ein Vorbild im irakischen Mossul. Und so startet der „Parsifal“ in einer christlichen Kirche, einer Exklave in muslimischem Umfeld, in der eine Mönchsgemeinschaft nur überlebt, indem sie Gralskönig Amfortas blutdürstig regelmäßig zur Ader lässt.
Über drei Aufzüge erlebt man den Kirchenraum, den Bühnenbildner Gisbert Jäkel klaustrophobisch klein und somit die Chöre ungünstig verstärkend auf die gigantische Festspielbühne gezwängt hat, auch als türkische Bad: Die Blumenmädchen, die die Mönche zur Sünde verlocken sollen, treten erst in Burka auf, unter der die Erotik der „Zuckerpuppe aus der Bauchtanzgruppe“ lauert. Im Schlussakt wird der Raum zur „Karfreitagsaue“, in der gigantische Pflanzen den Rahmen bilden für Nackedei-Badebilder à la „Zärtliche Cousinen“ – so kann man hinter vorgeblicher Freizügigkeit die größtmögliche Spießigkeit auffahren.
Ob es klug ist, im Lichte aktueller Konflikte ein recht beliebiges panreligiöses Spektakel aufzufahren, mag jeder selbst entscheiden. Die Erlösung am Ende heißt: Werft alle heiligen Symbole eurer Religionen, seien sie christlich, jüdisch oder islamisch, in den Sarg, mit dem wir den Monotheismus beerdigen. Dieser wenig zwingende Ansatz, der auf „Parsifal“ arg aufgepfropft wirkt, ist in seiner handwerklich oft unbeholfen und mitunter unfreiwillig überaus komisch wirkenden Umsetzung, die zum Ende noch schnell Juden vor einer Mauer klagen lässt, um nun wirklich alle betroffenen Religionen beisammenzuhaben, von ärgerlicher Beliebigkeit.
Kundrys Stimme lässt aufhorchen
Bei den Sängern können sich der hervorragende, feinnervig spielende Georg Zeppenfeld als Gurnemanz und Hügel-Debütantin Elena Pankratova als Kundry über den donnerndsten Applaus freuen: Die Sängerin kann in Sachen Verständlichkeit und Textausdeutung noch etwas zulegen, hat aber mit im Sachen Stimme mit grandioser Tiefe und kerniger Höhe die umfassendsten Möglichkeiten, die eine Kundry in den vergangenen 20 Jahren auf dem Grünen Hügel zeigte. Klaus Florian Vogt, Bayreuths gefeierter Lohengrin und “Meistersinger„-Stolzing, trifft auch als Parsifal den unschuldigen Ton des naiven jungen Helden überzeugend. Ryan McKinny fällt gegen die Vorgenannten etwas und Gerd Grochowski als Klingsor etwas deutlicher ab.
So bleibt nach einem Eröffnungsabend mit 2000 Zuschauern und 400 Polizisten eine erfolgreiche Premiere einer Produktion zu vermelden, die in den kommenden Jahren eine Frage immer wieder stellen wird: Warum musste Stefan Herheims maßstäbliche Inszenierung dafür weichen?
Info: Der Fernsehsender 3Sat überträgt eine Aufzeichnung dieser “Parsifal"-Produktion an diesem Samstag, 30. Juli, um 20.15 Uhr.
Hintergrund: „Parsifal“ ist die letzte Oper Richard Wagners (1813–1883) und die einzige, die er speziell für das Bayreuther Festspielhaus geschrieben hat. Er vollendete sie am 13. Januar 1882; unter seiner Regie wurde sie am 26. Juli 1882 uraufgeführt. Nach seinem Willen sollte der „Parsifal“ ausschließlich in Bayreuth gezeigt werden. Wagners Witwe Cosima versuchte vergeblich, Aufführungen der Oper außerhalb des Bayreuther Festspielhauses zu verhindern.
Zentrales Thema des „Bühnenweihfestspiels“, wie Wagner sein Werk nannte, ist die Erlösung: Parsifal, der „reine Tor“, soll den durch sexuelle Lust schuldig gewordenen Gralskönig Amfortas erlösen; doch er versagt, die Tat gelingt erst Jahre später im zweiten Anlauf. Die diesjährige „Parsifal“-Interpretation von Uwe Eric Laufenberg, der die Aufgabe von dem gefeuerten Skandal-Künstler Jonathan Meese übernommen hat, ist die zehnte auf dem Grünen Hügel. Richard Wagners eigene Inszenierung lief in Bayreuth jahrzehntelang, erst 1934 gab es eine Neuinszenierung von Regisseur Heinz Tietjen. 22 Jahre lang stand allein die Produktion von Wieland Wagner (1951) auf dem Spielplan. Wolfgang Wagner brachte das Werk zweimal (1975 und 1989) auf die Bühne.