Von unserem Autor Andreas Pecht
Die Trgödie „Orestes“ entstand vor 2425 Jahren und erzählt von einer dieser unglückseligen, generationenübergreifenden, endlosen Schuld-Rache-Verwicklungen, die in tausenderlei Verästelungen die griechische Antike durchwuchern. Und wieder einmal fasziniert das Phänomen, wie aktuell und interessant so ein Uraltstück für uns Heutige sein kann.
Die Inszenierung von Niklaus Helbling startet so: Da liegt einer seit Tagen hungernd und stinkend auf einem Matratzenlager im Innenhof des Palasts zu Argos. Es ist der Sohn dieses Königshauses, Orestes; niedergeworfen von Schuld wegen des Mordes an seiner Mutter Klytaimnestra, mit dem er deren Ehebruch und Gattenmord an Agamemnon gerächt hat.
Den jungen Mann, mit einigem Elan gespielt von Nicolas Fethi Türksever, schütteln wahnhafte Heimsuchungen und zugleich reale Angst vor einem tödlichen Urteil der eben draußen tagenden Volksversammlung gegen ihn und seine Schwester Elektra. Dies ist der Tag der Entscheidung – über ein Verbrechen, dessen Wurzeln bis zu einem Götterfluch fünf Generationen zuvor zurückreichen.
Trefflicher Ton zu Beginn
Mit dem großen Eingangsmonolog Elektras findet die Inszenierung in den ersten Minuten einen trefflichen Ton. Lilith Häßle gibt da eine von den Unbilden des vorherigen Geschehens und der Umsorgung des Bruders in Sprache und Gestus erschöpfte Frau. Doch hat sie weder Kraft noch Zuversicht vollends verloren: Verbissen, ja stolz richtet sie sich auf, reißt auch Orestes aus der Matratzengruft, zwingt ihn unter die Dusche, um den Dreck der Verzweiflung abzuwaschen.
Sie ist es, die den Bruder erinnert an die vermeintliche Richtigkeit seiner Bluttat als gerechte Rache für die Verbrechen der Mutter am Vater. Zur Seite steht Elektra eine Truppe aus sieben jugendlichen Mädchen. In Schuluniform-Röckchen und mit schwarzen Lippen tanzen, stampfen, singen, skandieren sie sich zu modernem Blaster-Sound durch die Funktion des antiken Theaterchores. Eine schöne Idee.
Überraschend aktuell
Die krude Selbstlegitimation der Geschwister für den Muttermord ist wohl die wichtigste jener Essenzen, die das alte Stück gerade dieser Tage so aktuell machen. Denn daraus leitet sich die Verwandlung Orestes', Elektras und des mitverschworenem Pylades (Rüdiger Hauffe) zum Terroristentrio in einem erkennbar zerrütteten Staatswesen her. Vom aufgepeitschten Volk zur Steinigung verurteilt, vom Königsonkel Menelaos im Stich gelassen, erschlagen die drei Tante Helena, nehmen deren kleine Tochter als Geisel und zünden kaltblütig den Palast an. Wie meist bei den antiken Stücken, sind Ursache und Wirkung, Gut und Böse kaum eindeutig festlegbar.
Schicksalhafte Verstrickung aller ist ihr Wesensmerkmal. In diesem Falle ist die Sache derart verfahren, dass am Ende nur der sehr komisch angelegte Auftritt des göttlichen Apollon (knuffig: Henner Momann) eine Lösung herbeiführen kann. Bei aller Tragik hat der zweistündige pausenlose Abend doch eine Reihe von Schmunzelmomenten. Die sind teils schon bei Euripides angelegt, teils Resultat von Helblings Regie. Da wird aus Meneleas bei Murat Yeginer ein weinerlicher, geschwätziger Verlierertyp, aus Helenas Vater Tyndareos bei Armin Dillenberger ein schnöseliger Seniorgrantler.
Und Helena selbst formt Leoni Schulz als bloß in die eigene Schönheit verliebtes, geistloses Prachtmodel. Das hat alles seinen Reiz, doch droht darüber der von Häßle anfangs vorgegebene ernst differenzierende Atmosphäreton nachher zwischen ein bisschen zu viel Volkstümlichkeit verloren zu gehen.
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