Hamburg/Mainz – Freche, provozierende, mitunter gar respektlose Sprüche, die jahrelang Bundesligaduelle zusätzlich angeheizt haben – das gehört der Vergangenheit an.
Weil heute Interviews mit Trainern und Spielern autorisiert werden müssen. Vor der Veröffentlichung müssen sämtliche Zitate per Mail der Pressestelle des betreffenden Profiklubs zugestellt werden. Dort wird der Text vermessen und gewogen. Und dann werden vom Mediendirektor sämtliche Ecken und Kanten abgeschliffen, zuweilen werden ganze Textpassagen gestrichen und durch frei erfundene (in der Regel harmlos-belanglose) Inhalte ersetzt.
Dem Hamburger SV muss da in diesen Tagen etwas durchgerutscht sein. In der gestrigen Ausgabe des Fachmagazins „kicker“ lehnte sich Paolo Guerrero mutig aus dem Fenster. Die Frage lautete: „Fahren sie wirklich als Außenseiter nach Mainz?“ Die Antwort des HSV-Stürmers: „Mainz ist überragend gestartet und hat nicht nur einen Lauf, sondern auch eine starke Mannschaft. Aber wir sind besser als Mainz, haben eine höhere Qualität.“ Bingo! Das ist doch endlich mal wieder eine Ansage. Und der 26-Jährige betonte noch ausdrücklich: „Das ist meine Überzeugung. Wir müssen unser Spiel durchdrücken.“
Autorisiert war dieses Kurzinterview sicher nicht. Pressechef Jörn Wolf hätte diese Thesen niemals durchgehen lassen. Auch nicht folgende Passage. Da wurde Paolo Guerrero gefragt, ob der HSV verhindern werde, dass es den Mainzer Trainer Thomas Tuchel nach dem Abpfiff wieder in Siegerpose auf den Fanzaun zieht (wie nach dem 4:2 gegen die TSG Hoffenheim). Die Antwort des Nationalspielers aus Peru: „Wenn wir konzentriert sind, werden wir Mainz schlagen und das verhindern.“
Das zeigt das Selbstverständnis des HSV. Die aufmüpfigen Mainzer mögen ja Spitzenreiter sein, sie mögen dem Tabellensiebten auch um einige Punkte enteilt sein (genau genommen sind es fette zehn Zähler) – doch deswegen wird ein Hamburger SV doch nicht gleich als Außenseiter am Bruchweg antreten...
Und daran ändert auch nichts die Tatsache, dass Trainer Armin Veh mit Eljero Elia (Fersenentzündung), David Jarolim (Faserrriss) und Mladen Petric (Bluterguss) und Maxim Choupo-Moting (Magen-Darm-Virus) vier sehr gute Fußballer mit großer Wahrscheinlichkeit fehlen werden in Mainz.
In der Tat liest sich die wahrscheinliche Aufstellung der Hamburger immer noch wie die einer möglichen Spitzenmannschaft: Rost – Demel, Westermann, Mathijsen, Jansen – Kacar, Zé Roberto – Pitroipa, Trochowski – van Nistelrooy, Guerrero.
Heiko Westermann, Marcell Jansen und Piotr Trochowski sind Nationalspieler im Kader des WM-Dritten Deutschland. Joris Mathijsen stand als Abwehrchef mit Holland im WM-Finale. Für das Oranje-Team stürmt inzwischen auch der 34 Jahre alte Ruud van Nistelrooy wieder international. Der 36 Jahre alte Zé Roberto hat 84 Länderspiele für Brasilien bestritten. Nebenmann Gojko Kacar (23) gilt nach 19 Länderspieleinsätzen als eine der ganz großen Hoffnungen im serbischen Nationalteam.
Drei Siege, zwei Remis, zwei Niederlagen bei 12:11 Toren, das stellt in der Weltstadt Hamburg weder die Zuschauer zufrieden, noch den ehrgeizigen Vorstandsvorsitzenden Bernd Hoffmann. Mit der Verpflichtung von Trainer Armin Veh verband sich der Anspruch, einen technisch gepflegten Offensivfußball und die Champions-League-Plätze anzustreben. Das hat bis jetzt nicht funktioniert.
P Der HSV startete im DFB-Pokal mit einem 5:1 beim Torgeolwer SV Greif. Dem folgten in der Bundesliga ein 2:1 gegen schalke 04 und ein 2:1 bei der Frankfurter Eintracht. Danach schlich sich der Schlendrian ein: 1:1 gegen den 1. FC Nürnberg, 1:1 im Stadtderby beim FC St. Pauli, 1:3 zu Hause gegen den VfL Wolfsburg, 2:3 im Nordderby beim SV Werder Bremen. Zuletzt quetschte sich der HSV ein 2:1 gegen den spielerisch und taktisch besseren Aufsteiger 1. FC Kaiserslautern heraus. Nach einem kuriosen Schlussakkord in der 84. Minute: Der FCK hatte frei vor dem Kasten die Siegchance, im direkten Gegenzug konterte der HSV und Choupo-Moting mogelte die Kugel zum von 57 000 Zuschauern gefeierten 2:1 über die Linie. Und nun noch mal Paolo Guerrero: „Gegen Kaiserslautern haben wir mühsam gewonnen, aber legen wir in Mainz nach, wäre das unser Anfang.“ Anfang wovon? Keine Ahnung.
Reinhard Rehberg