Auf die Turner wartet in Sotschi ein strammes Programm. Neben den Einzelwettkämpfen stehen auch Team- und Synchronentscheidungen an. „Auf den Synchronwettkampf freue ich mich besonders“, sagt Vogel, der mit Caio Lauxtermann aus Cottbus beim Abschlusslehrgang im Bundesleistungszentrum in Bad Kreuznach einige Einheiten absolvierte. „Zudem haben wir auch ein recht solides, ausgeglichenes Team am Start. Es wird schwer, aber warum sollten wir nicht das Mannschafts-Finale erreichen“, erklärt Vogel.
Zumal sich der Deutsche Turner-Bund entschieden hat, sein Kontingent an Turnern auszuschöpfen, im Gegensatz zu anderen Nationen, die nur drei Turner gemeldet haben und somit ohne Streichergebnis durchkommen müssen. Einige ambitionierte Nationen wie beispielsweise die Briten verzichten aufgrund der Corona-Pandemie sogar komplett auf die Reise nach Sotschi. Das Gros der Spitzenteams wie Belarus, Portugal und die russischen Gastgeber werden aber wie die Deutschen auf die Geräte gehen.
Vogel ist als amtierender Deutscher Meister die Speerspitze des DTB-Teams. Eine Muskelentzündung im Rücken hatte ihn vor einigen Wochen ausgebremst, doch mittlerweile geht es ihm wieder besser. „Ich bin gut drauf“, sagt der 26-Jährige. Er wird in Sotschi wie beim nationalen Qualifikationswettbewerb seine anspruchsvollste Kür zeigen. Sie verfügt über eine Schwierigkeit von 17,1. „Das ist internationaler Standard, die muss auf diesem Niveau sitzen, daran führt kein Weg vorbei“, sagt der Bad Kreuznacher, der nach wie vor die Qualifikation für die Olympischen Spiele in Tokio im Blick hat, auch wenn noch immer nicht feststeht, wo die letzten Tickets vergeben werden. Im Juni soll das der Fall sein, und mit guten Vorstellungen in Sotschi will Vogel das Selbstvertrauen sammeln, um nach dem Strohhalm greifen zu können. „Wenn ich die Kür gut treffe, bin ich sehr zuversichtlich, bei der EM ein gutes Ergebnis zu erreichen und weit nach vorne zu kommen“, erklärt Vogel, der sich konkret eine Top-15-Platzierung im Einzel zum Ziel setzt. Mit dem Team und im Synchron gibt es dann ja noch zwei weitere Finaloptionen.
Für Silva Müller wird es nach Spanien 2016 der zweite Auftritt bei einer Europameisterschaft im Frauenbereich sein. Es gibt einige Parallelen zu Vogel: Auch sie musste vor einigen Wochen aus gesundheitlichen Gründen passen, hat aber rechtzeitig die Kurve bekommen. „Ich habe mich gut zurückgekämpft, sehe mich auf einem guten Weg“, sagt Silva Müller. „Ich ziehe den Hut vor ihr, wie sie das ständige Auf und Ab meistert. Das kostet Kraft, trotzdem glaube ich, dass sie das in Sotschi gut hinbekommen wird“, ist Steffen Eislöffel, der Cheftrainer des Bundesstützpunkts, überzeugt. „Wenn ich die Übung gut treffe, vergleichbar mit dem Qualifikationswettkampf, dann kann ich im Einzel das Halbfinale erreichen. Davon bin ich überzeugt. Und wenn das nicht meine Zielsetzung wäre, bräuchte ich gar nicht den Aufwand betreiben und nach Sotschi reisen“, zeigt sich die 25-Jährige selbstbewusst.
Auch im Frauenfeld macht sich das reduzierte Teilnehmerfeld bemerkbar. Statt normalerweise fünf erreichen dieses Mal nur vier Teams das Finale, da zu wenig Nationen gemeldet haben. Die Deutschen sind aber zum ersten Mal seit Jahren wieder mit drei Turnerinnen vertreten und könnten sich so für die Final-Veranstaltung qualifizieren. Silva Müller ist froh, überhaupt mal wieder aufs Gerät und sich (internationaler) Konkurrenz stellen zu dürfen. Die Zahl der Wettkämpfe ist auch im Trampolin auf ein Minimum geschrumpft. Nachdem nun auch die deutschen Meisterschaften, die im Rahmen eines Multisport-Events im Juni geplant waren, abgesagt wurden, sind die Europameisterschaften eine der wenigen Veranstaltungen, die stattfinden. „Ich bin dem DTB sehr dankbar, dass wir in Sotschi starten dürfen. Das Ganze stand ja lange auf der Kippe“, sagt Silva Müller. Da lässt sich auch verschmerzen, dass die Turner aufgrund der Corona-Bedingungen einen Bogen um die Sehenswürdigkeiten der Olympiastadt und den beliebten Strand machen müssen. „Vom Hotel zur Halle und wieder zurück zum Hotel, viel mehr werden wir nicht sehen. Aber das ist ja auch zu unserer Sicherheit“, erklärt Silva Müller. Zumal die Konzentration bei der EM ohnehin auf dem Sportlichen liegen sollte.
Über die Aussichten von Aurelia Eislöffel im Juniorinnen-Wettbewerb berichteten wir bereits.