Moskau
Militärexperte: Der Westen überlässt Putin die Führungsrolle

Wieder im Spiel: Russlands Präsident Wladimir Putin Foto: dpa

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Moskau. Was hat der Kreml in Syrien vor? Der Militärexperte Alexander Golz, stellvertretender Chefredakteur des Moskauer Nachrichtenportals Jeschedewnij Jurnal, über den Rücktritt Baschar al-Assads und die Gefahren einer Bodenoffensive.

Herr Golz, werden Russland und die USA in Syrien gemeinsam vorgehen?

Es sieht danach aus. Vor zwei Wochen gab sich Washington noch unbeugsam: Russland solle sich raushalten. Inzwischen führen die Verteidigungsminister bereits Gespräche. Vereinbarungen gibt es noch nicht, der Prozess steht erst am Anfang. Dennoch: De facto stimmten die USA einer Beteiligung Russlands bei der Lösung des Konflikts zu.

Wie erklärt sich der rapide Sinneswandel in Washington?

Dem Westen fehlt immer noch ein klares Konzept, wie er mit Wladimir Putin umgehen soll. Bei den führenden Politikern im Westen liegen jedes Mal die Nerven blank. Ihr „Darm ist schwach“, heißt es bei uns.

Die USA sind nach wie vor nur bereit, mit Assad über dessen Rücktritt zu reden.

Natürlich liegen noch einige Widersprüche auf dem Weg. Für Russland und Iran ist Assad der rechtmäßige Präsident. Entscheidend ist jedoch, dass der Westen Putin offensichtlich die Führungsrolle überlässt. Putin wird diese Rolle nutzen, um sich aus der weltweiten Isolation zu befreien. Letztes Jahr in Brisbane beim G 20-Gipfel wollte niemand mit ihm reden. Das soll sich vor den UN am Montag nicht wiederholen. Dank der russischen Syrien-Initiative wird er vor den UN im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit stehen.

Sie behaupten, der Westen gebe nach und weiche zurück. Inwiefern?

US-Außenminister Kerry will den Rücktritt Assads unbedingt durchsetzen. Gleichzeitig verzichtet er aber darauf, ein konkretes Datum festzusetzen. Unter solchen Bedingungen lassen sich die Verhandlungen bis zum Sankt-Nimmerleinstag ausdehnen.

Was ist für den Kremlchef so entscheidend an der Figur Assads.

Das Allerwichtigste im Syrien-Konflikt ist Putins persönliche Wahrnehmung Assads und was mit ihm passieren könnte. Im Kreml vermutet man hinter jedem gewaltsamen Vorgehen gegen Diktatoren eine Verschwörung der CIA. Putin ist kein Gefühlsmensch, aber er reagierte sehr emotional auf den Tod Gaddafis. Er sah sich an dessen Stelle. Seither ist es außenpolitische Hauptaufgabe, bunte Revolutionen zu unterdrücken, wo immer sich etwas rührt.

Es gibt kaum verlässliche Informationen über das russische Engagement in Syrien. Erinnert Sie das an die hybride Kriegsführung gegen die Ukraine?

Wir wissen nicht viel, auch so gut wie nichts über die Situation in den umkämpften Gebieten. Alle lügen. Die Lage ist völlig unübersichtlich. Ein Brei, in dem jeder gegen jeden kämpft. Wer die Oberhand hat, ist kaum auszumachen. Wenn Russland Flugabwehrraketensysteme dort aufstellt, obwohl der IS keine Flugzeuge besitzt, stellt sich die Frage: Mit wem will Assad denn nun tatsächlich kämpfen? Auch Abfangjäger MIG 31 sollen geliefert worden sein, die für die Luftabwehr bestimmt sind und am Boden nichts nützen. Einen Sieg hat Moskau auf jeden Fall errungen: Man kooperiert und verhandelt wieder mit dem Kreml.

Bereitet sich Moskau auf einen langen Einsatz in Syrien vor?

Sollte sich der Kreml darauf einlassen, wird daraus ein langes und qualvolles Unternehmen.

Die 810. Marineinfanteriebrigade wurde gerade nach Syrien verlegt. Könnte sie für den Bodenkrieg vorgesehen sein?

Ich hoffe, dass der Kreml über genügend Vernunft verfügt und keine Bodenoffensive startet. Die Erfahrungen der vergangenen 50 Jahre zeigen, solche Kriege sind nicht zu gewinnen. Wahrscheinlich ist die Brigade nur für die Bewachung der militärischen Objekte vorgesehen. Eine Wiederholung des Afghanistan-Krieges wäre fatal, dieser Krieg würde noch gnadenloser. Außerdem hatten wir damals mit Afghanistan eine gemeinsame Grenze.

Im kürzlich abgehaltenen Manöver „Zentrum 2015“ wurde ein syrisches Szenario durchgespielt ...

... um eine Gruppe wie den IS zu vernichten, bedarf es einer Truppe von 90.000 Soldaten, schätzte der russische Generalstab.

Wird die Gefahr des IS für Russland nicht übertrieben? Solange die Islamisten in Syrien kämpfen, bleiben sie dem Nordkaukasus fern.

Nein, das ist kurzsichtig. Die jungen islamistischen Kämpfer kehren eines Tages in den Kaukasus zurück. Schon der kleinste Erfolg des IS zieht nicht nur die radikal gesinnte islamische Jugend wie ein Magnet an, er weckt auch das Interesse der jungen Leute in anderen Regionen.

Das Gespräch führte Klaus-Helge Donath