Interviewstaffel: Dennis Lukas, DM-Bronzemedaillengewinner im Kugelstoßen über sein Training, Technikumstellung und Olympiaambitionen
„Mentale Kriegsführung mit sich selbst ist sinnlos“: Kugelstoß-Ass Dennis Lukas in der Interviewstaffel
Kugelstoßer Dennis Lukas von der LG Idar-Oberstein gehört zu den Aushängeschildern des Sports im Kreis Birkenfeld. Foto: Joachim Hähn
Wolfgang Birkenstock

Idar-Oberstein. Dennis Lukas gehört ohne Zweifel zu den Aushängeschildern des Sports im Kreis Birkenfeld. Wie Rallyepilot Marijan Griebel bewegt er sich in dem erlauchten Kreis von ganz wenigen Sportlern unserer Region, die über die Landesgrenze hinaus in der Spitze mitmischen und Erfolge feiern können. Die Fähigkeit des Kugelstoßers der LG Idar-Oberstein, sich seit Jahren immer weiter zu verbessern, war der wichtigste Grund, warum Heike Schwarm den Staffelstab der NZ-Serie „Interviewstaffel“ an Dennis Lukas weitergereicht hat. Zweifellos eine gute Wahl der Olympiateilnehmerin im Turnen, weil alleine schon Lukas' Erfolge in diesem schwierigen Coronajahr für sich sprechen. Seine Bronzemedaille bei der Deutschen Meisterschaft in Braunschweig war sogar ein historischer Erfolg, denn Lukas ist der erste Leichtathlet aus dem Kreis Birkenfeld, der bei einer Deutschen Meisterschaft der Männer und Frauen (keine Altersklassen oder Jugend) als Einzelsportler für einen Verein des Kreises Birkenfeld eine Medaille geholt hat. Im Interview mit dem Inhaber des Rheinland-Pfalz-Rekordes im Kugelstoßen (19,46 Meter) geht es aber um mehr als die bloße Aufzählung seiner herausragenden leichtathletischen Leistungen – sondern unter anderem auch um seine Erfolge als Rettungsschwimmer und um Training auf Feldwegen.

Lieber Dennis Lukas, trainiert ein Leistungssportler, wie Sie es sind, auch jetzt an Weihnachten?

Ich absolviere bis zum Heiligabend mein normales Programm, aber an Heiligabend sowie den beiden Weihnachtsfeiertagen lege ich mal eine Pause ein – vielleicht von einem Spaziergang abgesehen, um ein bisschen in Bewegung zu bleiben.

Zu trainieren, ist ja ohnehin wegen der Corona-Pandemie und dem dazu gehörenden Lockdown gerade nicht einfach und wahrscheinlich auch für einen Individualsportler anders als sonst. Wie sieht Ihr Training in diesen Tagen aus?

(lacht) In der aktuellen Zeit ist tatsächlich sehr viel Kreativität gefragt. Vor dem Lockdown habe ich mir starke Gummibänder für das Krafttraining bestellt, und zum Glück habe ich bei meinen Eltern in der Garage auch noch ein paar alte Gewichte und eine Hantelstange gefunden. Außerdem kann man von einem geteerten Feldweg aus auch mal die Kugel in die Wiese stoßen.

Sie gehen spazieren und haben dann eine Kugel dabei?

(lacht) So ungefähr. Ich habe den Vorteil, dass mein Elternhaus am Ortsausgang von Regulshausen steht. Wenn man da raus und 200 oder 300 Meter Richtung Wassergall geht, dann kann man auch mal eine Kugel mitnehmen und sie in die Wiese befördern. Aber klar, da geht es vor allem darum, das Gefühl für die Kugel und den Stoß beizubehalten. Das gilt im Übrigen gerade für das ganze Training. Primäres Ziel ist, nicht abzubauen.

Wie sind Sie eigentlich zum Kugelstoßen gekommen?

Durch den Schulsport. Mein Lehrer am Heinzenwies-Gymnasium, Matthias Fuhs, hat mich stoßen gesehen und mir ein paar Tipps gegeben – danach habe ich relativ schnell eine gute Weite gestoßen. Daraufhin hat er mir geraten, dass ich mal zur LG Idar-Oberstein gehen soll. Dort hatte er eine Verbindung zu Joachim Richter, der ja noch heute mein Trainer ist.

Was Viele vielleicht nicht wissen oder woran sie sich nicht mehr erinnern, Sie waren auch ein recht erfolgreicher Schwimmer...

Ich habe Rettungsschwimmen bei der Wasserwacht betrieben. Das ist etwas anders als das DSV-Schwimmen. Es werden eher kurze Strecken geschwommen, aber dafür mit Flossen oder mit Kleidung. Tauchen spielt eine große Rolle oder eben Schleppschwimmen mit zu rettenden Leuten. Mit der Wasserwacht-Mannschaft war ich dreimal bei einer Deutschen Meisterschaft, wo man außer zu schwimmen auch einen Erste-Hilfe-Parcours bewältigen muss, der dann bepunktet wird. Mir hat das großen Spaß gemacht, weil wir als Staffel mit mehreren Leuten angetreten sind.

Sie haben dann Leichtathletik und Rettungsschwimmen parallel betrieben...

Ja, ich habe mit 15 Jahren mit der Leichtathletik angefangen und drei Jahre lang überlappend beides betrieben. Mit 18 habe ich dann aber meine Schwimmflossen an den Nagel gehängt. Schwimmen hat mir Spaß gemacht, aber die Leichtathletik hat mich noch mal mehr gereizt.

Haben Sie sich gleich auf die Wurfdisziplinen oder gar auf Kugelstoßen konzentriert?

Anfangs habe ich noch Mehrkampf betrieben. Im Sprint und Wurf war ich nicht schlecht, aber beim Sprung und Läufen über hundert Meter war ich aufgrund meiner physischen Gegebenheiten im Nachteil.

Mehrkampf war also nichts für Sie?

Ich bin sogar mal bei Rheinland-Meisterschaften in Daun gestartet. Im Fünfkampf habe ich so 2700 Punkte geholt. Das ist jetzt nicht die Welt, aber tausend Punkte habe ich alleine mit Kugelstoßen eingesammelt. Das Schlimmste war der 400-Meter-Lauf am Schluss. Das ist wirklich die brutalste Disziplin überhaupt. Hintenraus nach 200 Metern bricht man ein. Mit 17 Jahren haben Joachim Richter und ich uns darauf verständigt, dass ich mich auf die Wurfdisziplinen konzentriere. Wobei – als Sprinter war ich gar nicht schlecht. Da gibt es eine Story, die Joachim Richter gerne erzählt...

Bitte lassen Sie uns teilhaben...

Naja, bei einem dieser Mehrkämpfe haben wir am Start des Hundertmeterlaufs gestanden, als wir hörten, wie sich andere amüsiert haben. Das ging nach dem Motto, 'dieser Schrank soll tatsächlich hundert Meter laufen, was soll dabei herauskommen?' Am Ende war ich sogar viert Schnellster des gesamten Starterfeldes.

Eigentlich kein Wunder, denn beim Sprint ist Schnellkraft ein wichtiger Faktor – und die spielt zweifellos auch bei den Wurfdisziplinen eine entscheidende Rolle.

Genau, in Sachen Athletik und Schnellkraft stehen wir Sprintern in nichts nach. Als Kugelstoßer kann man eine passable Technik und viel Kraft haben, wenn man aber nicht schnellkräftig ist, dann wird das nichts. Das ist ja auch so ein Punkt, der Zuschauer oft überrascht. Wir Kugelstoßer werden ja noch immer abgestempelt als die großen, kräftigen, starken Jungs. Das ist ja auch nicht ganz falsch, aber um erfolgreich zu sein, muss man auch schnell sein.

Was macht für Sie die Faszination ausgerechnet vom Kugelstoßen aus?

Eigentlich genau das, was wir gerade besprochen haben. Die Kombination aus Athletik, Schnellkraft, Kraft, Koordination und Technik fasziniert mich. Alle Komponenten sind wichtig. Für den Zuschauer ist oft schwer nachvollziehbar, warum es zum Teil große Weitenunterschiede gibt, obwohl die Typen im Ring ungefähr gleich gebaut sind. Beim Kugelstoßen müssen aber eben alle Komponenten passen.

Waren Sie in der Schule am Heinzenwies-Gymnasium früher eigentlich der Typ, der einen Schlagball quer über den Sportplatz in den Hang hinter dem Tor geschmissen hat?

(lacht) Ich war jetzt nie ein schlechter Ballwerfer. Hohe Fünziger- oder tiefe Sechziger-Weiten waren schon drin, aber im Vergleich zu anderen Kollegen habe ich mich da eher in einem normalen Rahmen bewegt.

Sie sind durchaus auch in anderen Wurfdisziplinen konkurrenzfähig, aber natürlich nicht so stark wie beim Kugelstoßen. Warum haben Sie sich aufs Kugelstoßen spezialisiert?

Technisch ist beispielsweise beim Speerwurf ein ganz anderer Bewegungsablauf gefordert. Wenn ich unsere deutschen Speerwerfer beobachte, die in der Welt alles und jeden schlagen können, dann bin ich beeindruckt. Wenn die ihren Stemmschritt machen, um in diesem Moment die ganze Kraft in den Speer zu legen, dann wirken Kräfte von bis zu einer Tonne. Wir Kugelstoßer dagegen sind sehr dynamisch, es gibt nicht diese abrupte Kraftübertragung. Kugelstoßen fasziniert mich eben noch ein bisschen mehr.

Vor drei Jahren haben Sie Ihre Technik umgestellt. Statt anzugleiten führen Sie jetzt den Drehstoß aus. Können Sie Laien kurz und knapp den Unterschied erklären?

Es ist ein anderer Weg, um in die Standstoßposition, in der man die vorher generierte Energie auf die Kugel umsetzt, zu kommen. Der Unterschied und das Schwierige im Vergleich zum Angleiten ist die Drehung. Beim Angleiten beschreitet man sozusagen einen linearen Weg. Man schaut nach hinten und dreht um 180 Grad. Beim Drehstoßen macht man eine Sechsviertel-Drehung, man dreht sich eineinhalb Mal.

Ist dabei die Orientierung ein Problem?

Ja. Sich zu orientieren ist nicht ganz leicht. Man muss nach eineinhalb Umdrehungen wissen, wo man steht. Es ist ein bisschen so wie das Spiel, bei dem man sich um einen Stock drehen und dann umgehend auf ein Ziel zulaufen muss.

War die Umgewöhnung schwierig, mussten Sie viel dafür trainieren?

Man versucht natürlich permanent die Technik zu optimieren. Beim Drehstoß ist das Schwierige, dass man den Körper zu einem Bewegungsablauf zwingt, den er aus biomechanischer Sicht so nicht machen würde. Es ist eine Bewegung, die in weniger als zwei Sekunden abläuft. Dabei fixiere ich zum Beispiel zur Orientierung für wenige Zehntelsekunden einen Punkt, aber während ich das tue, muss mein rechtes Bein die Bewegung fortführen.

Sie waren überraschend schnell ein ganzes Stück erfolgreicher als vorher beim Angleiten. Hat Sie das überrascht?

Sogar sehr. Joachim Richter und ich konnten es beinahe nicht fassen, dass ich meine Bestweiten sofort bestätigt oder sogar übertroffen hatte. Es hat sich gezeigt, dass man höhere Weiten erzielen kann, und es spricht für sich, dass die allermeisten Kugelstoßer von Format die Drehstoßtechnik einsetzen.

Mittlerweile ist es vier Monate her, dass Sie Ihren bisher größten Erfolg, die DM-Bronzemedaille, geschafft haben. Wie schauen Sie heute, nach einiger Zeit, auf diesen Wettkampf?

Ich versuche das Gefühl von diesem Wettkampf im Kopf zu behalten, es nachzuempfinden, um es in Zukunft wieder hervorzuholen und nutzen zu können.

Schauen Sie sich den Wettkampf ab und zu noch an?

(lacht) Ich habe natürlich von mehreren Freunden und Bekannten Videos bekommen. Ich schaue sie tatsächlich ab und zu an. Ich versuche, mich dahin zurückzuversetzen und daraus Motivation zu ziehen.

Sie sind ein Athlet, der auf großen Meisterschaften wie einem Deutschen Titelkampf genauso antritt wie bei kleineren Wettbewerben, zum Beispiel beim Werfertag der LG Idar-Oberstein. Man möchte fast fragen, warum tun Sie sich kleine Wettkämpfe noch an?

Ich bin nicht der Typ, der sagt, ich trainiere jetzt nur auf einen Wettkampf hin. Ich will öfter antreten, möchte die Möglichkeit haben, meine persönlichen Bestweiten zu steigern. Um auf die unterschiedlich großen Wettbewerbe zurückzukommen, ich mag beide Ebenen. Vor vielen Zuschauern die Kugel zu stoßen, das kann total beflügelnd sein. Alleine die Geräuschkulisse – absolut extrem war es 2019 in Berlin – sorgt dafür, dass einem das Adrenalin ins Blut schießt. Aber ich mag es ganz genauso, an kleineren Wettbewerben teilzunehmen. Da ist es das familiäre Umfeld, Freunde, Bekannte, die mich pushen.

Das heißt, kurz nach der DM in Konz anzutreten und einen fast 50 Jahre alten Stadionrekord zu brechen, hatte für Sie einen vergleichbaren Wert?

Eine Bronzemedaille bei einer DM ist natürlich schon etwas Besonderes, aber Konz war wirklich auch schön. Einige Kollegen, mit denen ich beim 1. FC Kaiserslautern trainiere und die die Veranstaltung in Konz organisieren, haben mich gefragt, ob ich vielleicht Lust hätte, mitzumachen. Mal abgesehen davon, dass ich es mir nicht nehmen lasse, ein paar Kollegen eine Freude zu machen, habe ich mich ein bisschen mit dem Wettbewerb beschäftigt und gesehen, dass der Stadionrekord bei 16,48 Metern lag. Das hatte dann schon einen Reiz für mich. Ich konnte außerdem eine Woche darauf hintrainieren und habe dann versucht das Beste herauszuholen.

Das hat ja auch geklappt. Der Stadionrekord liegt jetzt ungefähr zwei Meter höher bei 18,39 Metern.

Ja, aber vor allem war ich froh, dass ich im August nach der DM noch einen Wettkampf bestreiten konnte. So hat sich diese außergewöhnliche Corona-Saison zumindest ansatzweise ein bisschen wie eine normale Saison angefühlt.

Sie halten auch den Landesrekord mit 19,46 Metern. Wann übertreffen Sie die 20-Meter-Marke. Ist das überhaupt Ihr Ziel?

Also, ich bin nicht der Typ der sich vornimmt, dass die 20 Meter unbedingt fallen müssen. Das ist mentale Kriegsführung mit sich selbst, und das macht für mich keinen Sinn. Mein primäres Ziel ist immer, meine persönliche Bestleistung nach oben zu treiben und dabei Spaß zu haben. Auch Gesundheit spielt natürlich eine wichtige Rolle. Wenn die 20 Meter irgendwann fallen sollten, dann freue ich mich natürlich und weiß, dass sich das viele Training vorher gelohnt hat. Aber wie gesagt, ich setze mir keine konkreten Ziele, was die Weite betrifft.

Verhält sich das mit einer Teilnahme bei Olympia ähnlich? Vor einigen Jahren habe ich Ihnen die Frage schon einmal gestellt und da haben Sie Olympische Spiele als für Sie ziemlich unwahrscheinlich eingeschätzt und praktisch ausgeschlossen.

Ich kann mich sehr realistisch einschätzen. Die Qualifikationsweite für Olympia liegt mehr als eineinhalb Meter über meiner persönlichen Bestweite, weil die Weltelite im Kugelstoßen so stark ist wie seit den 1980er Jahren nicht mehr. Ich weiß, was es bedeutet, eineinhalb Meter aufholen zu müssen. Je weiter man im Kugelstoßen kommt, umso größer wird der Aufwand für wenig Weite. Natürlich wären Olympische Spiele ein Traum, aber die nächsten im Sommer 2021 zu erreichen, ist, wie gesagt, realistisch betrachtet für mich kaum möglich. Und ob ich den Sport bei den nächsten Spielen danach noch in dem Umfang wie jetzt betreibe, das weiß ich gar nicht.

Sie studieren in Kaiserslautern. Haben Sie die Leichtathletik im Kreis Birkenfeld im Blick?

Ich interessiere mich durchaus, und wenn jemand zum Beispiel auf eine DM fährt, dann will ich alles darüber wissen. Trotzdem ist es schwierig für mich, die ganze Leichtathletik im Kreis im Blick zu behalten. Auf dem Niveau wie Heinz Hofmann kann ich das nicht.

Das ist ja auch fast unmöglich.

(lacht) Ja, Heinz-Hofmann-Niveau kann eben nur Heinz Hofmann selbst.

Sie hatten in Joachim Richter immer den selben Trainer. Warum hält diese Beziehung so gut?

Wir ergänzen uns einfach sehr gut. Joachim ist der Ruhepol, während ich sehr impulsiv sein kann. Ich bin froh, dass Joachim und ich die ganzen Erfolge gemeinsam erarbeitet haben.

Ebenso ungewöhnlich scheint es zu sein, dass Sie nach wie vor für die LG Idar-Oberstein und nicht für einen großen Verein starten. Warum ist das so?

Ein Wechsel zu einem anderen Verein hat für mich bisher keinen Sinn gemacht. Hochburgen, mit Erfahrung im Bereich Kugelstoßen, wie Leipzig, Sindelfingen, Leverkusen oder Wattenscheid sind von meinem Studienort Kaiserslautern eben ein ziemliches Stück entfernt. Außerdem fühle ich mich wohl bei der LG und ergänze mich mit meinem Trainer auch über die Distanz gut.

Stimmt es, dass Sie überdies in Kaiserslautern gute Trainingsmöglichkeiten haben?

Absolut. Wir haben eine gute Universitätssportanlage, es gibt ein gut ausgestattetes Fitnessstudio, und auch der 1. FCK bietet im Schulzentrum Süd oder der Barbarossahalle sehr gute Möglichkeiten. In der Barbarossahalle gibt es auch einen ordentlichen Kraftraum, um Gewichtheben zu trainieren. Ich trainiere dort bewusst das Umsetzen. Das ist ein komplexer Bewegungsablauf, der mir beim Kugelstoßen sehr hilft.

...und den man auf einem Feldweg nicht trainieren kann...

(lacht) So ist es.

Das Gespräch führte

Sascha Nicolay