Mainz – Bong! Bong! Bong!“ Wenn die Höllenglocken der australischen Hardrockband AC/DC erklingen, dann ist schon so manchem Profi am Millerntor das Herz in die Hose gerutscht. Das legendäre Intro des Songs „Hell´s bells“ haben viele Klubs als Einlaufmusik gewählt, nirgendwo hat dieses Einschüchterungsritual diese Wirkung erzeugt wie im Stadion des FC St. Pauli.
Wenn dazu noch ein paar Tausend Totenkopffahnen wehen. Dann weiß der Gegner: Hier gibt es gleich 90 Minuten Stress.
Weil die heimische Mannschaft direkt im Anschluss an das Höllenglockengeläut mächtig Gas gibt. Und die positiv fanatischen Pauli-Anhänger diese in braun gekleideten elf Kicker ohne Pause unerbittlich nach vorne peitschen. Diese kultige Höllenatmosphäre macht Spaß. Als Gegner muss man darauf eingestellt sein. Das mag logisch nicht nachvollziehbar sein. Empirisch ist aber belegt, dass Holger Stanislawskis Team vor diesem Publikum meistens prächtig in Schwung kommt. Was aber nicht heißt, dass der Aufsteiger jedes Heimspiel gewinnen würde. Die aktuelle Bilanz von erst zwei Siegen am Millerntor, zwei Remis und schon vier Niederlagen liest sich nicht furchterregend.
Am Samstag (18.30 Uhr) hat sich der FSV Mainz 05 unweit der Hamburger Reeperbahn zu behaupten. Das letzte Spiel in 2010. Ein Jahr, das dem Klub viel Erfolg und sehr viel bundesweite Anerkennung gebracht hat. Diesen ausgesprochen positiven Eindruck will die Elf von Trainer Thomas Tuchel am Millerntor noch einmal bestätigen. „Die Mannschaft ist sehr konzentriert und fokussiert“, sagt Tuchel. „Das wird ein Spiel gegen einen sehr emotionalen Gegner, das wir mit aller Macht gewinnen wollen.“
Das letzte Vorrundenspiel. Überragende 30 Punkte haben die Mainzer auf dem Konto. 13 Punkte mehr als der Gegner. Das macht einen fußballerischen Unterschied deutlich zwischen beiden Mannschaften. Nur müssen die 05-Profis diese Unterschied auch im direkten Duell auf den Platz bringen.
„Es ist unser Wunsch und unser Wille, das Jahr positiv ausklingen zu lassen“, erklärt der 05-Trainer. Ein allgemeines Rezept für die Einstellung auf die Höllenstimmung in St. Pauli gebe es nicht. „Der Schwerpunkt wird auf unserem eigenen Spiel liegen, damit sind wir immer gut gefahren“, sagt der Fußballlehrer. „Wir werden um jeden Zentimeter Boden fighten, wir werden uns nicht einschüchtern lassen.“ Der Schlüssel für diese Partie: „Wir glauben an uns. Die Mannschaft macht einen sehr gefestigten und entschlossenen Eindruck.“ Ein Erfolg beim FC St. Pauli führt über leidenschaftlichen Kampf gegen den Ball und Mut, Überzeugung in den Ballbesitzphasen. Die Aufgabenstellung ist damit klar formuliert.
Das jüngste 0:1 gegen Schalke 04 ist abgearbeitet. Die Spieler hatten sich nach dem Abpfiff selbst gegeißelt. Mancher hatte das Gefühl, kämpferisch, emotional nicht ans Limit gekommen zu sein. Das sei auch nicht mehr als ein Gefühl, sagt Tuchel. Er könne nicht erkennen, dass dieses Team Defizite in der Emotionalisierung oder in der Eigenmotivation habe. Das Team habe Mängel in der Handlungs- und Wahrnehmungsschnelligkeit gehabt. Und einige der taktischen Prinzipien seien nicht da gewesen. „Deshalb haben sich die Spieler nicht so drin gefühlt im Spiel. Das waren aber keine emotionalen Defizite, sondern das hatte mehr inhaltliche Ursachen.“ Etwa den Zuwachs an Querpässen, „das ist nicht unser Stil, das sind nicht wir“.
Deshalb laute das Ziel für die Paulipartie: Möglichst viel der gewohnten Spielart von Mainz 05 auf den Platz bringen. „Auch gegen Schalke war der absolute Wille da, wie die Mannschaft es immer wieder versucht hat, das war außergewöhnlich“, so Tuchel. „Wir haben nur die falschen Mittel gewählt.“ Das Team sei vielleicht sogar zu sehr drin gewesen in der Aufgabe, zu sehr verkopft. „Wir müssen die Emotionen kanalisieren, wecken müssen wir sie nicht.“
Und dass die Kraft fehle zum Ende der Vorrunde für einen großen Fight gegen einen kämpferischen, läuferisch starken, sehr zügig nach vorn orientierten Gegner, das kann der Trainer auch nicht feststellen. „Dagegen sprechen alle physischen Daten und Werte.“ Reinhard Rehberg