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Kopie von Bundestag: Wer vermisst die FDP?

Der Traum von Union und FDP von einer Wiederauflage ihrer Koalition ist am Wahlabend geplatzt. Was sind die Folgen des Scheiterns der Liberalen?

S. Wolf

Seit die FDP nicht mehr im Bundestag sitzt, wächst der Druck auf den Wirtschaftsflügel der Union. „Wir sind das letzte ordnungspolitische Gewissen im Parlament“, sagt der Vorsitzende des Parlamentskreises Mittelstand (PKM) der Unionsfraktion, Christian von Stetten.

Von Rena Lehmann

Ordnungspolitik legt den Rahmen fest, in dem sich wirtschaftliche Prozesse verbessern sollen. Doch ob die CDU-Wirtschaftspoliker mächtig genug wären, einen flächendeckenden gesetzlichen Mindestlohn, wie ihn die SPD will, oder Steuererhöhungen, denen auch Teile der Union nicht abgeneigt sind, zu stoppen, ist fraglich.

Ihre Macht ist begrenzt. Der Parlamentskreis ist zwar immerhin eine Interessenvertretung innerhalb der Unionsfraktionen, in der mehr als die Hälfte der Bundestagsabgeordneten von CDU und CSU organisiert sind. Viele von ihnen sind allerdings auch Fachpolitiker in anderen Bereichen und würden für ihre Lieblingsprojekte wie Mütterrenten, Kindergeld oder Lebensleistungsrente lieber mehr als weniger Geld ausgeben.

Die Spitze des Kreises hält unterdessen schon enge Kontakte zu Wirtschaftsverbänden und Unternehmen. Einmal im Jahr lädt man Hunderte Gäste aus dem ganzen Land zum Empfang des PKM, die Bundeskanzlerin findet zu diesem Anlass gern warme Worte für den Mittelstand, dankt für Arbeitsplätze und Leistungsbereitschaft. Trotzdem fremdelt sie bisweilen mit der Wirtschaft – und die Wirtschaft mit ihr.

Staunend mussten Unternehmer zur Kenntnis nehmen, dass Angela Merkel wenige Monate nach einer Laufzeitverlängerung für die Atomkraftwerke umschwenkte auf eine unkalkulierbare Energiewende. Merkel wiederum machte die Erfahrung, dass die Wirtschaft und ihre Wissenschaftler in der Euro- Krise mit Bewertungen und Lösungsvorschlägen falsch lagen. Die Wirtschaft und ihre Vertreter haben bei ihr jedenfalls keinen höheren Stellenwert als andere Teile der Gesellschaft.

Bei der FDP war das anders. Viele Unternehmer sahen sich bei ihr besser vertreten, auch wenn sie ihre Wahlversprechen von Steuervereinfachung und Steuerentlastungen schließlich nicht hielt. Der PKM, der in der schwarzgelben Koalition eher selten mit offensiven Forderungen zu vernehmen war, sondern mehr hinter verschlossenen Türen wirkte, ist jetzt stärker gefragt denn je. Sprecher von Stetten stellt wenige Tage nach der Wahl fest: „Man nimmt uns jetzt viel stärker wahr.“

Allerdings will die Öffentlichkeit jetzt auch genauer wissen, wie sich der Wirtschaftsflügel der Union aufstellt. Er muss nun Ergebnisse liefern. In der vergangenen Woche war das erstmals zu beobachten. Als Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) in einem Interview durchklingen ließ, dass Steuererhöhungen mit der Union nicht ganz ausgeschlossen sind, liefen neben dem PKM-Chef auch der Koblenzer Wirtschaftspolitiker Michael Fuchs und der Abgeordnete Carsten Linnemann Sturm.

Linnemann will sich in der nächsten Woche zum Bundesvorsitzenden der CDU-Mittelstandsvereinigung MIT wählen lassen. Bundesweit 40 000 Mitglieder aus Wirtschaft und Union sind in der Interessenvertretung organisiert. Auch Linnemann kündigt an, selbstbewusst aufzutreten: „Wir werden uns stark zu Wort melden, und der Wirtschaftsflügel muss natürlich bei den Koalitionsverhandlungen mit am Tisch sitzen.“

Steuererhöhungen müssten verhindert werden. „Das war die Überschrift des Wahlkampfes der Union, davon können wir uns jetzt nicht verabschieden“, bekräftigt er. Linnemann will aber noch mehr erreichen als nur Steuererhöhungen zu verhindern, was schwer genug werden dürfte. Bürokratie will er abbauen, ein sonst von der FDP stets lautstark formuliertes Ziel.

„Wir müssen die Vorfälligkeit der Sozialbeiträge zurücknehmen, weil das den Unternehmen Liquidität entzieht. Das wäre ein spürbarer Bürokratieabbau.“ Solche Vorhaben müssten in den Koalitionsverhandlungen festgezurrt werden. Andere Stimmen sind weniger optimistisch, dass das gelingt. Kurt Lauk, Präsident des Wirtschaftsrates der CDU, einem mächtigen Interessenverband mit 12 000 Mitgliedern, der sich als „starke Stimme der sozialen Marktwirtschaft“ begreift, beschreibt die neue Lage deutlich nüchterner: „Es kommen herausfordernde Zeiten auf uns zu“, sagt Lauk.

„In dieser Konstellation kann es nur Koalitionen mit Partnern links der CDU geben.Was immer bei den Verhandlungen herauskommt – höhere Steuern für die Wirtschaft und die Rücknahme der Haushaltskonsolidierung treffen bei uns auf Widerstand.“

Der Wirtschaftsrat hat der Bundeskanzlerin schon mal vorsorglich ein „100-Tage-Programm für Wachstum, Stabilität und Innovation“ ans Herz gelegt. Darin wird unter anderem gefordert, eine Mietpreisbremse zu verhindern und das Erneuerbare-Energien-Gesetz grundlegend zu reformieren. Auch die Abmilderung der kalten Progression, ein Lieblingsthema der FDP, das in dieser Legislaturperiode aber am Widerstand der Länder gescheitert war, soll vorangetrieben werden.

Der Wirtschaftsflügel der Union müsste sich nun „anders aufstellen“, fordert Lauk. „Was wir tun und sagen, wird wichtiger. Wir brauchen die noch engere Kooperation mit den Parlamentariern“, meint der Wirtschaftsratschef. Schon an diesem Freitag kö

nnte es bei ersten Sondierungsgesprächen zwischen Union und SPD zur ersten Kraftprobe kommen. Der Wirtschaftsflügel lehnt zwei Kernforderungen der Sozialdemokraten ab, die diese zur Bedingung machen wollen, überhaupt Koalitionsgespräche zu beginnen: Mindestlohn und höhere Steuern. Bei den ersten Gesprächen zählt schon mal kein ausgewiesener Wirtschaftspolitiker der Union zu den Unterhändlern. Das härteste Nein zu Steuererhöhungen kam bisher von CSU-Chef Horst Seehofer.

Er sitzt zwar mit am Tisch – ändert aber gern mal seine Meinung. Auf ihn wird sich der Wirtschaftsflügel schwerlich verlassen können.