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Mainz
Kleinkunst: Schwarze Chansons, sehr schön gespielt

Annamateur & Außensaiter gelten als eine der kreativsten Formationen des modernen Chansons. Mit ihrem neuen Programm "Screamshots" überraschten sie im Unterhaus sogar eingefleischte Fans.

Mainz - Die mächtige Frau mit dem Wuschelkopf maßregelt ihr Publikum im Unterhaus. "Ruhe", schmettert Annamateur. Die Lacher verstummen langsam. "Es kann nicht immer alles Spaß machen. Man muss sich auch mal konzentrieren." Kim Efert versteckt das Gesicht hinter seiner Gitarre, Christoph Schenker beugt sich übers Cello, seine Schultern zucken: Ganz ernst nehmen die beiden Außensaiter ihre Chefin in der Mitte nicht.

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Mainz – Die mächtige Frau mit dem Wuschelkopf maßregelt ihr Publikum im Unterhaus. „Ruhe“, schmettert Annamateur. Die Lacher verstummen langsam. „Es kann nicht immer alles Spaß machen. Man muss sich auch mal konzentrieren.“ Kim Efert versteckt das Gesicht hinter seiner Gitarre, Christoph Schenker beugt sich übers Cello, seine Schultern zucken: Ganz ernst nehmen die beiden Außensaiter ihre Chefin in der Mitte nicht.

„Screamshots – Ein musikalisches Oberhead-Projekt“ nennt die Dresdnerin Anna Maria Scholz ihr jüngstes Programm. Als Annamateur bekam sie mit den Außensaitern für ihr Debüt „Walgesänge“ 2008 den Deutschen Kleinkunstpreis des Unterhauses. Nun ist sie zurück und serviert etwas völlig anderes.

Witzige Chansons

„Inge schmiert Tipp-Ex in die Wunden, / Inge schläft auf Löschpapier“, singt Annamateur mit großer Stimme von der Frau im Altersheim. „Inge zerschneidet die Sekunden, / Inge ist schon lange hier.“ Ein düsteres Bild entfaltet sich, in skurrile Poesie gegossen. „Inge badet in Buchstabensuppe, / Kauderwelsch umspielt ihre Zehen.“ Inges Hirn will nicht mehr. „Synapsen platzen und kratzen die letzten Erinnerungen aus den Ecken.“ Mit ihren „Walgesängen“ brachte Annamateur witzige Chansons höchst kunstvoll auf die Bühne, oft melancholisch zwar, aber doch mit einer gewissen Leichtigkeit. Mit „Screamshots“ ist alles schwerer, düsterer und absurder geworden. Für Fröhlichkeit bleibt wenig Platz, der Witz kommt bitter daher.

Auf die Folie eines Overhead-Projektors zeichnet die 35-Jährige Strichmännchen beim Wettpinkeln. Wenige Stiche reichen. Doch dann wird das Bild peu à peu wilder. Aus dem männlichen Protzen wird Krieg, aus Wettkämpfern Feinde, die unter fetten schwarzen Strichen vergehen.

Frau mit Originalität

Kein Zweifel, an Originalität ist diese Frau mit ihren beiden herausragenden Musikern kaum zu übertreffen. Sie mischt Dada mit großartigen Chansons und überzeugt als mächtige Jazzröhre ebenso wie als gestrenge, Phrasen dreschende Lehrerin, die ihre Klasse, das Publikum, maßregelt.

„Screamshots“ ist ein gelungenes Programm, aber eines, das anstrengt, Konzentration fordert und Nerven kostet. Nur ganz selten findet sich eine Szene, über die die beiden Außensaiter und das Publikum wirklich unbeschwert lachen können.

„Ich habe keine Emotion, ich habe keine Fantasien“, singt Annamateur, „ich pass gut in die Gesellschaft, weil ich nachvollziehbar bin.“ Das ist sie natürlich nicht. Gerade mit „Screamshots“ überrascht sie sogar ihre eingefleischten Fans.

Erst zur Zugabe kommt Spaß auf. Die alten Chansons wirken gerade als Kontrast besonders frisch. Entsprechend gewaltig fällt der Applaus aus. Das wollten viele hören, denn auch wenn das neue Programm überzeugt: Gute Laune macht es nicht, es passt zum dunklen November.

Gerd Blase