Koblenz/Berlin
Kleemann im Interview: Kein Endlager für Atommüll im Land

Warnt vor einer langen Endlagersuche: Ulrich Kleemann (59), Geologe und hauptberuflich Präsident der Struktur- und Genehmigungsdirektion Nord in Koblenz, war als Grünen-Mitglied unter anderem Beigeordneter im Kreis Neuwied und Technischer Geschäftsführer des Atommülllagers Asse II.

Sascha Ditscher

Koblenz/Berlin - Ulrich Kleemann ist ein ungeduldiger Mensch. Schon als technischer Geschäftsführer des Atommülllagers Asse II nahe Wolfenbüttel im Jahr 2009 haderte er mit dem langsamen Mahlen der Mühlen von Politik und Behörden.

Warnt vor einer langen Endlagersuche: Ulrich Kleemann (59), Geologe und hauptberuflich Präsident der Struktur- und Genehmigungsdirektion Nord in Koblenz, war als Grünen-Mitglied unter anderem Beigeordneter im Kreis Neuwied und Technischer Geschäftsführer des Atommülllagers Asse II.

Sascha Ditscher

Die Folge: Bis heute sei das Problem mit dem in der Asse gelagerten schwach und mittelradioaktiven Müll nicht gelöst. Jetzt drückt der derzeitige Präsident der Struktur- und Genehmigungsdirektion (SGD) Nord bei der Endlagersuche aufs Tempo: Heute nimmt die 33-köpfige Endlagerkommission ihre Arbeit auf. Der Geologe Kleemann, der auf Vorschlag seiner Grünen-Partei und der SPD als Wissenschaftler in dem Gremium sitzt, wünscht sich eine rasche Einigung auf einen Standort. Warum, erklärt er im Interview:

Was kann man aus der Asse für die Endlagersuche lernen?

Bevor man einen Standort aussucht, muss man sich sehr intensiv mit den Gegebenheiten auseinandersetzen. Dabei muss man auch kritische Wissenschaftler hinreichend berücksichtigen. Das ist bei der Asse nicht geschehen. Dadurch hat man eine katastrophale Fehlentscheidung getroffen.

Wie muss das künftige Endlager denn beschaffen sein?

Es muss sichergestellt sein, dass die radioaktiven Substanzen mindestens über eine Dauer von einer Million Jahren – eine lange Zeit für uns Menschen – nicht in Kontakt treten können mit der Biosphäre. Das geht nur in geologisch sehr dichten Gesteinen, die sich nicht wie etwa die Alpen heben. Das ist eine einfache Rechnung: Ein Standort, der sich jährlich um einen Millimeter hebt und 1000 Meter tief liegt, ist nach einer Million Jahren an der Erdoberfläche. Dort darf es auch keine vulkanischen Aktivitäten und keine tektonischen Bewegungen geben. Daher scheiden die Osteifel und der Oberrheingraben aus.

Ist damit Rheinland-Pfalz schon jetzt ausgeschlossen?

Ja. Rheinland-Pfalz hat keine günstigen geologischen Verhältnisse. Es gibt zwar Tonvorkommen in Rheinhessen. Die befinden sich aber nicht in ausreichender Tiefe. Damit ist sichergestellt, dass Rheinland-Pfalz bei der Auswahl nicht zum Zug kommen wird.

Das sagen Sie aus rein wissenschaftlicher Sicht oder auch mit landsmännischer Genugtuung?

(schmunzelt) Aus rein wissenschaftlichen Gründen. Es gibt Untersuchungen, die zeigen, wo welche Wirtsgesteine in Deutschland vorkommen. Das sind im Wesentlichen die Tonvorkommen in Norddeutschland, die sich von NRW über Niedersachsen bis Brandenburg erstrecken, sowie in Süddeutschland, vor allem in Baden-Württemberg. Hinzu kommen Salzgesteine in Norddeutschland und die Kristallinvorkommen in Bayern und Sachsen. Dass Rheinland-Pfalz dabei nicht zum Zug kommt, ist für mich aber natürlich auch ein entscheidender Vorteil: Ich kann unbelastet von Sankt-Florians-Gedanken in die Diskussion gehen.

Niedersachsen wird das Atomproblem also vielleicht behalten?

Niedersachsen wird sicherlich lange in der engeren Auswahl bleiben. Baden-Württemberg könnte aber auch zum Zug kommen. Dort gibt es in der Schwäbischen Alb geeignete Tonvorkommen. Die Schweiz sucht in der gleichen Formation nach einem Endlager.

In die Erkundung des Standortes Gorleben sind bereits mehr als 1,5 Milliarden Euro geflossen. Halten Sie es überhaupt für denkbar, dass man sich von diesem Standort verabschieden wird?

Das Standortauswahlgesetz sagt, dass ein ergebnisoffenes Auswahlverfahren durchgeführt werden soll. Deshalb gehen wir von einer weißen Deutschlandkarte aus und entwickeln zunächst Kriterien, nach denen die Standorte bewertet werden. Ich gehe davon aus, dass Gorleben schon in einer frühen Phase dieses Verfahrens ausscheiden wird – und zwar aus streng wissenschaftlichen Gründen.

Wie wichtig ist das Kriterium Kosten – Stichwort Schadensersatzklagen der Atombranche?

Sehr wichtig. Deshalb kommt es darauf an, dass wir Gorleben nicht aus politischen Gründen aus dem Verfahren nehmen, sondern dass es nach streng wissenschaftlichen Kriterien zu einer Entscheidung kommt. Diese ist dann auch gerichtsfest. Die Umweltverbände hätten am liebsten, dass Gorleben aus politischen Gründen ausgeschlossen wird. Doch dann ergibt sich viel eher das Problem der Schadensersatzforderungen.

Ist das für Sie als langjähriger Atomkraftgegner und grünes Parteimitglied die klügere Strategie?

Ja. Denn am Ende wird nach einer allein wissenschaftlichen Debatte das Ergebnis stehen, dass Gorleben nicht in die engere Wahl kommt. Dafür müssen Kriterien und Auswahl aber transparent sein.

Besteht nicht die Gefahr, dass das Gremium zum Spielball politischer Interessen wird?

Interessanterweise haben die Vertreter der Länder und des Bundestags kein Stimmrecht, sondern nur die der Wissenschaft und die der gesellschaftlichen Gruppen. Das hat es bisher noch nicht gegeben. Ich habe eine lange Erfahrung mit solchen Gremien. Irgendwann findet man eine gemeinsame Arbeitsebene und einen Konsens. Und wir müssen dieses Problem möglichst schnell lösen, um es nicht den Folgegenerationen zu überlassen. Ich halte eine Einigung auf einen Standort in den nächsten 10 bis 15 Jahren für möglich. Unsere Generation – und das sage ich auch als Grüner – hatte einen Nutzen von der Atomkraft. Jetzt haben wir uns von dieser Energieform verabschiedet und müssen die Endlagerfrage lösen. Diese Erkenntnis ist bei allen Gremienmitgliedern vorhanden.

Eine schnelle Lösung auch mit Blick auf die schrumpfende Kapitalbasis der Atomindustrie?

Ja. Die Atomkraftwerke werden Zug um Zug stillgelegt. Es wird irgendwann kein wirtschaftliches Interesse der Energieversorger mehr geben, eine Lösung der Endlagerfrage zu finden. RWE ist heute schon in wirtschaftlichen Schwierigkeiten, weil der Konzern auf die falsche Energieform gesetzt hat. Wenn wir jetzt nicht schnell handeln, muss der Steuerzahler später teuer dafür bezahlen. Der jetzige Vorschlag der Atombranche, die Risiken in einer Bad Bank zu bündeln, zielt genau in diese Richtung. Die Kosten sollen auf den Steuerzahler abgewälzt werden. Das dürfen wir nicht zulassen. Die Atomindustrie muss im Boot bleiben.

Das Gespräch führte Christian Kunst