Im Vorfeld der Kreistagsentscheidung über Gutachten gibt es in Kirn kollektiven Widerstand
Klare Meinung der Stadtspitze: Rettungswache in Kirn belassen und Standort stärken
Die Kirner Rettungswache (vorn links) steht auf dem Prüfstand. Die Lehrwache ist räumlich beengt, müsste saniert und erweitert werden. Platz genug gibt es auf dem benachbarten Krankenhaus-Grundstück. Das Nachbargebäude ist baufällig, müsse abgerissen werden, keiner traut sich mehr rein. Dann wäre Platz für Gebäude und Autos, und auch das Teamwork Sanitäter/Notarzt wäre gut umsetzbar, argumentieren die Befürworter. Foto: Sebastian Schmitt
sebastian Schmitt

Die Rettungswache in Kirn muss bleiben! Ebenso die Rettungswache in Bad Sobernheim. Und der einst geplante Bau einer Rettungswache im Soonwald sollte realisiert werden. Das ist die klare Meinung der Kirner Stadtspitze um Stadtbürgermeister Frank Ensminger (FDP) und der Beigeordneten Christa Hermes (CDU) und Michael Kloos (SPD).

Die Kirner Rettungswache (vorn links) steht auf dem Prüfstand. Die Lehrwache ist räumlich beengt, müsste saniert und erweitert werden. Platz genug gibt es auf dem benachbarten Krankenhaus-Grundstück. Das Nachbargebäude ist baufällig, müsse abgerissen werden, keiner traut sich mehr rein. Dann wäre Platz für Gebäude und Autos, und auch das Teamwork Sanitäter/Notarzt wäre gut umsetzbar, argumentieren die Befürworter. Foto: Sebastian Schmitt
sebastian Schmitt

Jedenfalls wollen Ensminger und sein Kreistagskollege und FDP-Fraktionsvorsitzender Thomas Bursian den Verwaltungsvorschlag des Kreises ablehnen. Darin ist zu lesen, dass man aufgrund eines Gutachtens der Uni Kaiserslautern die Rettungswachen Kirn und Bad Sobernheim schließen will und mit Neubauten in Waldböckelheim und Hochstetten-Dhaun dann den unterversorgten Soonwald abdecken will. „Ein Schlechtachten ist das für Kirn und Sobernheim, kein Gutachten“, sagt Gesundheitsexperte Michael Kloos, Verwaltungsdirektor der Meisenheimer Glantal-Klinik.

Das Kirner Land wird weiter abgehängt.

Claus Tressel sieht in der Einsparung im Rettungsdienst den Trend bestätigt.

Schlechtachten statt Gutachten. So sehen es auch Dr. Peter Schwebel (FDP), Allgemeinmediziner und als früherer Leiter der Bereitschaftsdienstzentrale und Stadtbeigeordneter guter Kenner der Verhältnisse im Rettungsdienst und im Gesundheitswesen (Krankenhaus, Arztversorgung) allgemein. Die Kritik am Gutachten wird verstärkt und detailliert mit Argumenten untermauert von einer ausführlichen Analyse.

Zwei ausgewiesene Experten im Rettungswesen an der Nahe (Namen der Redaktion bekannt) haben das Gutachten unter die Lupe genommen und sehen die Entscheidung für zwei Neubauten in vielen Bereichen als Verschlechterung des Ist-Zustands. Vor allem Kirn und Bad Sobernheim sind betroffen, etliche Orte schneiden bei einem Neubau in Hochstetten-Dhaun deutlich schlechter ab. Es ist die Rede von 47 Prozent der Betroffenen, die mindestes vier Minuten später erreicht werden als bisher. Das sei fast die Hälfte der Bevölkerung der Region Kirn, Hahnenbach, Oberhausen, Hennweiler oder Schneppenbach. Das sei mit Kirn nicht zu machen, sagt Stadtbürgermeister Frank Ensminger deutlich, und die Gesprächsrunde im Rathaus-Sitzungssaal stimmt zu.

Ein Gutachten ist keine Basis für die Entscheidung.

Mediziner Dr. Schwebel zweifelt die Aussagekraft der Untersuchung an.

CDU-Sprecher Claus Tressel sieht im Gutachten und dem vorbereiteten Beschluss, den der Kreistag absegnen soll, einen Trend bestätigt: „Hinter Waldböckelheim ist für die meisten Kommunalpolitiker der Kreis Kreuznach zu Ende, der Westen wird mal wieder abgehängt.“ Da ist man sich ausnahmsweise mal einig. Und es wird überlegt, bei der heutigen Stadtratssitzung eine Resolution auf den Weg zu bringen, um die Kreistagsentscheidung am 21. März zu kippen.

Jahrelang habe man um das Problem gewusst, habe verzögert, lamentiert, und jetzt solle alles holterdiepolter entschieden werden, obwohl der Rettungsdienst vom 1. Juli an gar nicht mehr Sache des Kreises Kreuznach sein wird. Dass die neuen Organisatoren in Rheinhessen den Bestand mit der nicht mehr gesetzkonformen Rettungswache in Sobernheim und der renovierungs- und sanierungsbedürftigen, gut ausgestatteten Lehrwache in Kirn nicht akzeptieren könnten und auch den einst beschlossenen Neubau am Soonwaldrand nicht wollen, das könne wohl sein. Das dürfe aber nicht zur Eilentscheidung führen.

Gespräch am Freitag in Rüdesheim

Wer hat das Gutachten mit welchem Ziel in Auftrag gegeben? Das will Thomas Bursian jetzt im Gespräch wissen, das am Freitag im Vorgriff auf die Kreistagssitzung in Rüdesheim geführt wird. Kurzfristig haben Kirner Vertreter Gelegenheit, die Planungen einzusehen, die bisher wie ein Schatz gehütet worden waren, heißt es.

Für Hausarzt Peter Schwebel reicht dieses einzelne Gutachten keineswegs als Entscheidungsgrundlage. Es sei ein Leichtes, ein anderes mit anderem Ergebnis zu erstellen. Es sei interessant, sich den Auftrag zeigen zu lassen. Vielleicht habe der schon lenkenden Charakter.

In dem Schreiben zur Bewertung der Standortverlegungen, das ein Mediziner und langjähriger Rettungswagenfahrer angefertigt und an wichtige politische Entscheider geschickt hat, wird auch ein Bezug zum Krankenhaus Kirn und der Zukunftsperspektive des Gesundheitszentrums (Zug-Pilotprojekt, Anita-Seniorenbetreuung) genommen. Im Gespräch im Rathaussitzungssaal macht der Autor zusammen mit einem erfahrenen Rettungssanitäter deutlich, dass die sogenannte Hilfsfrist (15 Minuten reine Fahrtzeit bis zur Hilfeleistung) ohnehin schon in Kirn und Bad Sobernheim oft nicht eingehalten werde.

Es gehe um Einsparungen, sonst nichts. Für die vor Jahren getroffene Entscheidung, eine fünfte Rettungswache im Kreis zu bauen (am Soonwald) habe es kein Gutachten gebraucht. In Kirn werde aufgrund etwa von Altenheimen, Schulen, Freibad und Industrie ein Rettungswagen sehr häufig gebraucht. Mediziner Schwebel sieht durch die Verlagerung und den Verzicht auf eine weitere Rettungswache wieder ein Stück Gleichwertigkeit von Stadt und Land in Richtung Ballungsgebiet verschoben. In Frankfurt und Mainz gebe es etliche Rettungswachen, am Flughafen allein vier.

Was also tun? Einfach mal abwarten, mal den Ist-Zustand an die neue zuständige Stelle in Mainz übergeben, schauen was passiert. Der Autor der Analyse verweist auch auf die gut funktionierende Zusammenarbeit von Wache, Notarzt und Krankenhaus bei den beiden Krankenhäusern in Bad Kreuznach und vor allem in Simmern.

Gesundheitszentrum auch in Kirn möglich?

Ein Gesundheitszentrum sei auch in Kirn möglich, der Platz vorhanden. Das frühere Verwaltungsgebäude an der Krankenhauspforte (fünf Jahre lang auch Bereitschaftsdienstzentrale) sei baufällig und könne zugunsten der Rettungswachen-Erweiterung abgerissen werden. Da sei ein barrierefreier Ausbau möglich. Notarzt und Rettungssanitäter arbeiteten im Einsatz vertrauensvoll und auf Augenhöhe. Eine Trennung dieser Institutionen (hier Wache, dort Notarzt) mache in der Praxis keinen Sinn, sagen die Experten.

Was also tun: „Wir wollen den Ausschreibungstext sehen“, sagt FDP-Kreisvorsitzender Bursian und bekräftigt, er könne nicht guten Gewissens akzeptieren, dass es für 47 Prozent der Bürger im Kirner Raum Verschlechterungen geben solle. Da würden Leben riskiert, sagt Mediziner Schwebel. So formuliert der Autor der Analyse als Ziel, möglichst viele Menschenleben zu retten und schnellstmöglich Hilfe zu leisten. Das gehe durch neue Standorte nicht durch Verlegung und Schwächung bislang gut versorgter Regionen.

Es gelte zusammenzuarbeiten, offen zu denken, gemeinsam zu planen statt Einzelinteressen schnell durchzusetzen. Erster Schritt sei das zwingende Verhindern der Kreistagsentscheidung. Auch deshalb, weil die aktuell Verantwortlichen ab Juli gar nicht mehr zuständig sind.