Von unserer Berliner Korrespondentin Rena Lehmann
Die gesetzlichen Möglichkeiten reichten aus. Aber: Die Jugendämter müssten besser ausgestattet werden, um früher wirksam eingreifen zu können.
Als Reaktion auf den Tod der dreijährigen Yagmur hat Hamburgs Sozialsenator Detlef Scheele (SPD) eine Initative der SPD-geführten Bundesländer angekündigt, per Gesetz einen besseren Kinderschutz zu ermöglichen. Indem die Kinderrechte im Grundgesetz festgeschrieben werden, soll der Staat künftig auch stärker durchgreifen können, wenn Eltern ihre Kinder misshandeln. Der Staat müsste Kinder dauerhaft in Obhut nehmen können. Experten sehen darin allerdings nicht unbedingt eine gute und dauerhaft praktikable Lösung für die Kinder.
Seit aufsehenerregenden Fällen wie dem Tod des kleinen Kevin in Bremen im Jahr 2006 ist die Zahl der Inobhutnahmen bereits um 43 Prozent gestiegen. 2012 wurden 40 000 Mädchen und Jungen vorübergehend aus ihren Familien genommen. „Das jetzige Recht hat alle Möglichkeiten. Man kann Kinder aus der Familie nehmen, Prävention leisten, schon mit Schwangeren arbeiten“, sagt der Präsident des Deutschen Kinderschutzbundes, Heinz Hilgers. Der Tod der kleinen Yagmur ist für ihn kein typischer Fall für das Versagen des Jugendhilfesystems insgesamt.
Hilgers kritisiert aber, dass Jugendämter zu unterschiedlich und viele oft zu schlecht ausgestattet sind. Sie würden deshalb oft erst eingreifen können, wenn es zu spät ist. „Wenn wir Jugendämter wollen, die Prävention statt Intervention leisten, brauchen sie auch das Budget dafür. Das haben sie in Deutschland aber vielfach nicht“, meint Hilgers. Gerade die ärmeren Städte mit niedrigen Steuereinnahmen könnten der Vielzahl der zu betreuenden Familien kaum gerecht werden.
Aus Hilgers Sicht müssten Hilfen an schwierige Familien herangetragen werden, um den Druck, der etwa durch Armut und Überforderung entsteht, wegzunehmen. Statt einer Verschärfung von Gesetzen fordert Hilgers: „Wir brauchen einen Rechtsanspruch auf frühe Hilfen, auf sozialpädagogische Familienhilfen.“ Nur so könnte Unterstützung gewährleistet werden. Für viele Kommunen sind solche Leistungen aber schon heute ein kaum zu bewältigender Kostenfaktor. „Präventiv zu arbeiten, ist aber am Ende sogar konstengünstiger“, argumentiert Hilgers. Darauf zu setzen, dass eine Verschärfung des Strafrechts Eltern davon abhält, ihre Kinder zu schlagen, hält er für falsch. „Ein Kind aus der Familie zu nehmen, muss auch nicht immer richtig sein. Das kann für das Kind eine traumatisierende Erfahrung sein“, meint Hilgers.
Der Kinderschutzbund will seit Langem die Rechte von Kindern insgesamt stärken, indem sie im Grundgesetz festgeschrieben werden. „Die Hamburger Initiative geht aber in eine falsche Richtung. Wir wollen nicht die Rechte des Staates gegenüber den Eltern stärken, sondern die Rechte der Kinder gegenüber dem Staat“, meint Hilgers. Kinder seien Menschen mit einer eigenen Würde. „Sie sind nicht Eigentum der Eltern.“ Dass Kinderrechte im Grundgesetz nicht vorkommen, zeige, „dass am Leitbild unserer Nation etwas nicht stimmt“. Im Koalitionsvertrag der Großen Koalition werden der Schutz von Kindern vor Gewalt, Vernachlässigung und die Weiterentwicklung der Wahrnehmung der Rechte von Kindern als „ein zentrales Anliegen“ aufgeführt. Konkret ist bisher nichts vorgesehen.