Mainz/Wiesbaden – Die Stadt Wiesbaden will in den kommenden Jahren prüfen, ob sich ein Gymnasium in einem Rhein-Stadtteil lohnt. Das erklärt der Pressesprecher der Stadt Wiesbaden, Siegfried Schneider, auf MRZ-Anfrage.
Dann könnte der Nachwuchs aus den rechtsrheinischen Mainzer Stadtteilen Amöneburg, Kostheim und Kastel (AKK) wieder vor der Haustür Abitur machen – und weniger nach Mainz pendeln. Sollte sich ein Gymnasium wegen sinkender Schülerzahlen nicht lohnen, rücken als Alternative auch Ausgleichszahlungen an Mainz in den Blick, so Schneider.
Schneider verweist auf den im Sommer beschlossenen Wiesbadener Schulentwicklungsplan bis 2015. Darin heißt es: „Wenn die Voraussetzungen für die Errichtungen eines Gymnasiums an der Rheinschiene vorliegen, sollen die zahlgenmäßigen und finanziellen Verhältnisse vorgelegt werden.“
Kurt Merkator (SPD), Mainzer Schuldezernent, hört die Töne aus Wiesbaden mit Interesse. Vor kurzem hat er angekündigt, den Zustrom aus Hessen stärker zu drosseln: Mainz müsse für den hessischen Nachwuchs umgerechnet zwei Schulen bereit halten und sehe dafür aus Hessen keinen Cent, argumentiert Merkator und kündigte mit Blick auf wachsende Sparzwänge der Stadt eine „restriktive Politik“ an. Damit bekräftigte er nur, was schon seit Jahren gilt, aber jetzt noch strenger gehandhabt werden soll: Mainzer Schulen dürfen keine „Hessen-Klassen“ bilden, um die Nachfrage von der anderen Rheinseite zu bedienen. Nur wo Klassen nicht mit Mainzern voll werden, dürfen sie „aufgefüllt“ werden – zuerst mit Rheinland-Pfälzern, dann mit Hessen.
Dabei genießen die nach dem Zweiten Weltkrieg von Mainz getrennten AKK-Stadtteile aufgrund der historischen Verbundenheit mit Mainz zumeist Vorfahrt. Laut Statistischem Landesamt kamen im vergangenen Schuljahr 12,4 Prozent der Schüler an weiterführenden Mainzer staatlichen Schulen aus Hessen, insgesamt 1400. Das sind weniger als die zunächst vom Schuldezernat geschätzten 1700, entspricht aber rechnerisch immer noch fast 47 Klassen.
„Die Innenstadtschulen waren schon immer stark von hessischen Schülern frequentiert“, sagt Joachim Bliemeister, Direktor am Frauenlobgymnasien und Sprecher der Mainzer Gymnasien. Er plädiert für einen Finanzausgleich: „Es kann nicht sein, dass die Stadt Mainz alle Lasten trägt und die hessische Seite die Vorteile hat.“ Allerdings bedeuten hessische Schüler und ihre Eltern auch Kaufkraft für Mainz, gibt Bliemeister zu bedenken. Und ins hessische Grenzgebiet zugezogene Familien würden ohnehin nicht verstehen, warum ihr Kind nicht drei Kilometer weiter zur Schule gehen kann, nur weil Stadt- und Landesgrenzen dazwischen liegen.
Eine gewisse Sonderstellung billigt die Stadt dem Rabanus-Maurus zu, als einzigem humanistischen Gymnasium weit und breit, das ab der fünften Klasse Latein und Englisch gleichzeitig anbietet. „Wir sind ein altsprachliches Gymnasium und brauchen Zugangsmöglichkeiten für die, die sich bewusst für dieses Profil entscheiden: Altsprachlichhkeit inklusive eines musikalischen und mathematisch-naturwissenschaftlichen Schwerpunkts“, sagt Schulleiterin Marie-Luise Noll-Ziegler. Allerdings ist durch die Beschränkung auf Vierzügigkeit auch die Aufnahme kleiner Lateiner aus Hessen beschränkt.
Die Leiterin des Schlossgymnasiums Brigitte Wonneberger zeigt Verständnis für die Sparzwänge der Stadt. Gleichzeitig bedauert sie, dass die Aufnahmebremse für Hessen Familientraditionen zerschneidet. „Die Großväter sind im Förderverein und die Enkel dürfen nicht mehr aufs Schloss.“ Einige Schüler aus AKK könnten sogar von ihrem Fenster aufs Schlossgymnasium schauen. „Es wäre schöner und entspannter für uns, wenn die Schüler von beiden Seiten des Rheins kommen könnten.“
Die jungen Hessen kommen nicht nur aus AKK. Auch Eltern aus Hochheim, Flörsheim sowie weiteren Orten im Kreis Groß-Gerau und Main-Taunus-Kreis schicken ihre Kinder gerne in die Domstadt auf die Schule. Merkator ist klar: Ein neues Gymnasium in AKK würde seine Sorgen lindern, aber nicht beseitigen: „Ich kann doch nicht mit allen hessischen Gemeinden reden.“
Claudia Renner