Von unserem Autor Andreas Pecht
Zur Halbzeit des Abends tauschen die Schauspielerinnen Lisa Mies und Karoline Reinke die Rollen: Erstere spielt statt des Haushaltsroboters Gou 300 F nun eine Menschenfrau, Letztere umgekehrt. Dies ist einer der vielen hintersinnigen Momente in Ulrike Arnolds Inszenierung der Komödie „Ab jetzt“ des Londoner Dramatikers Alan Ayckbourn am Staatstheater Wiesbaden. Das Schlussbild zeigt nach zweieinhalb Stunden, wie die Maschine zum Schrauber greift, um selbsttätig ihre Programmierung zu ändern. Damit gibt das eigentlich boulevardeske Stück dem vergnügten Premierenpublikum sogar noch eine finale Bedenklichkeit mit auf den Heimweg.
„Ab jetzt“ stammt aus dem Jahr 1987, also aus der Präinternetzeit, und wurde seither ziemlich selten gespielt. Mag sein, die Mixtur aus Boulevardkomödie und Science-Fiction erschien den Theatermachern gar zu abwegig. Die frühere Kölner Intendantin Karin Beier gelangte dann 2015 zu anderer Ansicht und stellte es als krachendes, viel beachtetes Slapstick-Spiel auf die Bühne des Hamburger Schauspielhauses. Wiesbaden folgt nun einem etwas anderen Ansatz, geht es ruhiger an, rückt den ernsten, modernekritischen Subtext von Ayckbourns Werk in den Vordergrund – und baut auf eher leise-zynischen Britenhumor.
Abschluss zur feindseligenAußenwelt
Bühnenbildner Bartholomäus Martin Kleppek hat Decke und Wände der Akustikisolation eines Tonstudios nachgebildet. In diesem zur feindseligen Außenwelt hermetisch abgeschlossenen Raum lebt Komponist Jerome mit Laptop, Lautsprechern, Bildtelefon, raffiniert vernetzter Haustechnik und dem vor allem aus nervigen Fehlfunktionen bestehenden Roboter im sexy Frauendesign. Dort komponiert er: nichts. Seit Ehefrau Corinna (Mies) ihn mitsamt Töchterchen verlassen hat, plagt ihn eine Blockade und sitzt ihm das Jugendamt mit ständigen Anrufen im Nacken. Ein Ortstermin aller Beteiligten soll Klarheit um das Kindssorgerecht bringen. Um dabei mit vorgetäuschter Solidität trumpfen zu können, engagiert Jerome die Schauspielerin Zoe (Reinke) als vermeintliche neue Lebenspartnerin.
Doch die selbst ziemlich schrille Zoe entflieht bald „diesem Irrenhaus“. Die durchgeknallte Roboterin macht ihr Angst und Jeromes Abhörmikrofone in sämtlichen Räumen bringen sie auf die Palme: Ihre Forderung „man will doch eine Privatsphäre haben“ stößt bei ihm auf völlige Verständnislosigkeit. Michael Birnbaum gibt den Jerome trefflich als Typen, der sich zwischen Phlegma, Nervenzusammenbruch, Egozentrik und Unfähigkeit zur sozialen Empathie die Technik zum Rettungsanker erkoren hat. Insofern stellt er die Personifizierung mancher Strömung heutiger Gesellschaftsentwicklung dar. Die Unart des Roboters, menschliche Stimmen und Verhaltensmuster blind zu imitieren, bringt Jerome auf die Idee: GOU 300 F wird bei der Konfrontation mit Jugendamt und ehemaliger Familie die Funktion der neuen Gefährtin übernehmen. Rollentausch – und die Tragikomik nimmt ihren Lauf.
Stück und Inszenierung verknüpfen ein am Theater seit jeher vielfach beackertes Problem menschlichen Zusammenlebens mit modernsten Alltagstechniken der Gegenwart oder nahen Zukunft. Was 1987 erst erahnbar war, ist mittlerweile wenig hinterfragter Standard: Vernetzung des Haushaltes, Überwachungstechnik allüberall, freiwillig gestattetes Eindringen des Außen ins Private via permanenter Erreichbarkeit ...
Übernahme sozialer Funktionen
Und keineswegs nur mehr Zukunftsmusik ist die Ersetzung sozialer Funktionen durch Roboter. Dass im Stück GOU 300 F in der Kinderfrau-Funktion das missratene Töchterchen besser in den Griff kriegt, als es das zerrüttete Elternpaar je vermochte, darf als Zuspitzung der hinter allerlei Vergnüglichkeiten rumorenden Frage verstanden werden: Könnte am Ende die Maschine der bessere Mensch sein?
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